Rheinland-Pfalz
Fraktionschef Joachim Streit ist auf dem Sprung nach Brüssel: Kracht es nach Sonntag bei den Freien Wählern?
Sommerinterview Freie Wähler Rheinland-Pfalz
Schafft der amtierende FW-Fraktionsvorsitzende Joachim Streit (re.) am Sonntag den Sprung nach Brüssel? In diesem Fall würde die sechsköpfige Fraktion im Mainzer Landtag einen neuen Chef benötigen. Für den Posten gehandelt wird Stephan Wefelscheid (li). Er ist aktuell Parlamentsgeschäftsführer der Fraktion sowie sarteivorsitzender der Freien Wähler im Land.
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Wie geht es weiter bei den rheinland-pfälzischen Freien Wählern (FW), wenn Joachim Streit ins Europaparlament einzieht? FW-Parteichef Stephan Wefelscheid will Streits Nachfolger an der Fraktionsspitze werden, doch seine Kollegen haben ihn auf dem letzten Parteitag angezählt.

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Wenn es im rheinland-pfälzischen Landtag zuletzt Änderungen an der Spitze einer Landtagsfraktion gab, ging es meist kontrovers zur Sache. Die CDU etwa schaffte nur nach heftigen Querelen den Ämterwechsel. Und die AfD stürzte ihren bisherigen Fraktionsvorsitzenden, woraufhin er die Gruppe verließ. Nach den Europawahlen am Sonntag könnte es im politischen Mainz wieder hoch hergehen. Diesmal bei den Freien Wählern (FW).

Denn der amtierende Fraktionschef Joachim Streit will am Sonntag für seine Partei ins EU-Parlament einziehen. Aktuellen Umfragen zufolge kommen die Freien Wähler bundesweit auf drei Prozent, in Rheinland-Pfalz sogar auf sieben. Streit gibt sich deshalb siegessicher. Sollte es dabei bleiben, „ist das dritte Mandat sicher“. Er belegt auf der Bundesliste der Freien Wähler eben diesen dritten Platz.

Joachim Streit
Der amtierende FW-Fraktionschef Joachim Streit will am 9. Juni für seine Partei ins EU-Parlament einziehen. Die Chancen für den 59-jährigen Bitburger stehen aktuell nicht schlecht.
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Gelingt dem 59-Jährigen der Einzug ins EU-Parlament, würde sich Streit bereits nach knapp drei Jahren wieder aus Mainz verabschieden. Der Bitburger macht kein Geheimnis daraus, dass ihn die Landespolitik nicht mehr reizt. Im mühsamen Geschäft einer Oppositionsfraktion gibt es nur wenig Gestaltungsspielräume. Und Streit genießt es, im Rampenlicht zu stehen.

Kritiker werfen Streit vor, sprunghaft zu sein

Es ist auch nicht das erste Mal, dass er nach kurzer Zeit schon wieder die Koffer packen will. Bereits kurz nach seiner ersten Wahl zum Landrat wollte Streit nach Mainz, scheiterte aber. Kritiker werfen ihm damals wie heute vor, zu sprunghaft zu sein. Womöglich eröffnet sich für Streit im kommenden Jahr schon wieder das nächste Ziel, wenn die Freien Wähler erstmals in den Bundestag einziehen wollen.

In den vergangenen Wochen machten allerdings immer wieder Gerüchte die Runde, wonach Streit der Landespolitik trotz der Wahl erhalten bleiben könnte und womöglich beide Funktionen ausübt – Landtagsabgeordneter und EU-Parlamentarier. Das gilt jedoch als äußerst unwahrscheinlich. Doppelte Diäten für Brüssel und Mainz gibt es auch nicht, wie Streit klarstellt. Und: Er hat bereits seinen Nachfolger, den Birkenfelder Verbandsgemeindebürgermeister Bernhard Alscher, quasi als neues Fraktionsmitglied angekündigt.

Europawahl 2024
Berlin: Ein Stimmzettel für die Wahl zum Europäischen Parlament per Briefwahl liegt auf einem Tisch. Diese findet vom 6. bis 9. Juni 2024 in den EU-Mitgliedstaaten statt. In Deutschland ist der 9. Juni der Wahltag.
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In diesem Fall würde die sechsköpfige Fraktion in Mainz einen neuen Chef benötigen. Für den Posten gehandelt wird Stephan Wefelscheid. Er ist aktuell Parlamentsgeschäftsführer der Fraktion sowie seit zehn Jahren Parteivorsitzender der Freien Wähler im Land. Nicht nur qua Position sehen viele in dem Koblenzer den logischen Nachfolger.

Wefelscheid gilt als fleißig und ambitioniert. Er macht keinen Hehl daraus, bei der kommenden Landtagswahl Mitglied der Regierung werden zu wollen. Auf diesem Weg wäre die Wahl zum Fraktionschef jedenfalls der nächste Schritt. Obwohl es zwischen Wefelscheid und Streit in drei Jahren Zusammenarbeit immer wieder heftig geknirscht hat, sieht auch er in Wefelscheid die Zukunft der Partei. Nur: Ob sich Wefelscheid bei einer Abstimmung nach dem 9. Juni tatsächlich durchsetzen kann, ist nicht in Stein gemeißelt.

Von Rachegelüsten und ausbleibenden Aussprachen

Hinter vorgehaltener Hand ist zu hören, dass es bei den Freien Wählern mächtig rumort. Da ist von aus dem Weg gehen zwischen den Parlamentariern die Rede, von Rachegelüsten, von ausbleibenden Aussprachen. Der Hauptgrund für diese gefährliche Melange liegt wohl an Wefelscheid selbst. Nicht nur, dass er über seine Kollegen selbst bei der Konkurrenz häufig lästert, wie man im politischen Mainz erfährt. Mit einer Abstimmung beim Bundesparteitag der Freien Wähler im Februar hatte er seine Fraktionskollegen überrumpelt. Die zahlten es ihm anschließend heim.

Bundesparteitag Freie Wähler in Bitburg
Beim Bundesparteitag der Freien Wähler in Bitburg stimmten rund 92 Prozent der Delegierten für ein umfassendes Kooperationsverbot mit der AfD. Den Antrag hierfür hatte der Koblenzer Kreisverband, dessen Vorsitzender Stephan Wefelscheid ist, gestellt. Doch ärgerlicherweise votierte bei der offenen Stimmabgabe seine komplette Fraktion außer Streit gegen Wefelscheids Antrag.
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Damals stimmten rund 92 Prozent der Delegierten in Bitburg für ein umfassendes Kooperationsverbot mit der AfD. Den Antrag hierfür hatte der Koblenzer Kreisverband, dessen Vorsitzender Wefelscheid ist, gestellt. Für Wefelscheid ein Spitzenwert. Ihm war die Distanzierung von der AfD ein Herzensanliegen – und ebenso, Bundesparteichef Hubert Aiwanger in die Schranken zu weisen. Allerdings stellte sich die komplette Fraktion außer Streit gegen seinen Antrag. Die vier Landtagsabgeordneten verweigerten Wefelscheid damit offen ihre Gefolgschaft. Sehr zu seiner Überraschung, wie er nach dem Parteitag zugab. Was nach Misstrauensvotum seiner Fraktionskollegen Herbert Drumm, Lisa-Marie Jeckel, Helge Schwab und Patrick Kunz aussah, spielte der Koblenzer aber im Anschluss herunter.

Bundesparteitag Freie Wähler in Bitburg
Bitburg: Hubert Aiwanger, Bundesvorsitzender der Partei "Freie Wähler", spricht auf dem Bundesparteitag der Freien Wähler Mitte Februar in Bitburg.
Harald Tittel/dpa

In einem nach dem Bundesparteitag versandten Mitgliederschreiben von Fraktionskollege Helge Schwab ist zu lesen, worum es zumindest öffentlich geht. Schwab ist Vorsitzender des Landesverbands der Freien Wählergruppen (FWG), die teils in Konkurrenz zur FW-Partei stehen. Wefelscheid, über den kritischen Stimmen berichten, er sei nicht nur hartnäckig, sondern stur, sei für Schwab lange Zeit nicht mehr zu erreichen gewesen, eine Klärung offener Fragen somit unmöglich gewesen, hieß es in dem Brief.

Schwab kritisierte außerdem in der Mitteilung und im Gespräch mit unserer Zeitung, dass er und die Parteimitglieder aus der Presse vom Antrag erfahren hätten. Damit sei „die Reihenfolge definitiv verwechselt“ worden, hatte der Pfälzer gegenüber dem „Trierischen Volksfreund“ Ende Februar kritisiert. Ausgerechnet diese vier Abweichler vom Parteitag sollen nun Wefelscheid zum neuen Fraktionschef wählen?

Wefelscheid selbst kündigt jedenfalls auf Anfrage unserer Zeitung für den Fall von Streits Erfolg eine Kandidatur an. Er habe 2021 als Parteivorsitzender Streit „aus Respekt vor seiner Entscheidung, den Landratsposten niederzulegen und Landtagsabgeordneter zu werden, in Bezug auf den Fraktionsvorsitz den Vortritt gelassen“. Er ergänzt: „Wenn Joachim Streit nach Brüssel geht, werde ich daher selbstverständlich zum Fraktionsvorsitzenden kandidieren und mich als Landesvorsitzender dieser Verantwortung stellen.“

Wenn Joachim Streit nach Brüssel geht, werde ich daher selbstverständlich zum Fraktionsvorsitzenden kandidieren und mich als Landesvorsitzender dieser Verantwortung stellen.

FW-Parlamentsgeschäftsführer Stephan Wefelscheid

Ob Wefelscheids Vorhaben aber unterstützt wird? Völlig offen. FWG-Landeschef Schwab erklärt auf Anfrage, dass man das Thema innerhalb der Fraktion besprechen werde, wenn es so weit sei. Zu seinen möglichen Ambitionen sagt Schwab: „Das werden wir nach dem Wahlabend sehen, wenn wir darüber gesprochen haben.“ Außer dem aufmüpfigen Verhalten auf dem Parteitag hat sich aber auch von den übrigen Fraktionskollegen noch keiner in Stellung gebracht.

An der Basis der Freien Wähler brodelt es dauerhaft

Für die Freien Wähler steht nicht nur in dieser Frage die Zukunft auf dem Spiel. Durch Streits etwaigen Wegzug würde er als Zugpferd im Landtagswahlkampf 2026 fehlen. 2021 war der Partei nach zwei gescheiterten Versuchen zum ersten Mal der Einzug gelungen – nur knapp über der Fünf-Prozent-Hürde. Und an der Basis der Freien Wähler brodelt es ohnehin dauerhaft. Streit und Wefelscheid wollen die vielen kommunalen Freien Wählergruppen in die Partei integrieren. Weil die Lokalpolitiker die Unabhängigkeit von der Partei schätzen, kracht es immer wieder.

Am Sonntag haben die Wähler deshalb vielerorts die Wahl zwischen der Landespartei Freie Wähler und vereinsmäßig organisierten Freie-Wähler-Gruppen. Im Rhein-Hunsrück-Kreis tauchen auf dem Wahlzettel für den Kreistag die Freien Wähler sowie die FW Rhein-Hunsrück e.V. auf. Vielsagender Satz in einer Pressemitteilung: „Auch wenn der jetzige Vorsitzende der Freien Wähler e.V. die Partei beim Einzug in den Landtag unterstützte, so ist er dieser nun ferner denn je.“

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