Évian-les-Bains/Köln
Experte: Die Effektivität schlägt das System

Betrachtet alles ganz sachlich: Taktikexperte Daniel Memmert. Foto: dpa

dpa

Évian-les-Bains/Köln. Es ist wohl das Fußball-Ereignis des Jahres, das Viertelfinal-Duell zwischen Deutschland und Italien (Samstag, 21 Uhr, ARD) bei der EM in Frankreich. Ein emotionsgeladener Vergleich der bis dato vielleicht besten Teams bei diesem Turnier. Eher nüchtern-sachlich, allein auf Daten und Modellen basierend, betrachtet Daniel Memmert, Sportwissenschaftler und Professor am Institut für Kognitions- und Sportspielforschung an der Deutschen Sporthochschule Köln, dieses Aufeinandertreffen. Wiewohl eben diese Daten und Modelle eine klare Sprache sprechen. Sie stempeln die DFB-Auswahl zum eindeutigen Favoriten, erklärt Memmert im Interview mit unserer Zeitung.

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Die „Squadra Azzurra“ wird von den Experten in den höchsten Tönen gelobt. Was unterscheidet diese italienische Mannschaft von früheren Nationalteams?

Die Italiener, denen man auch wegen ihres hohen Durchschnittsalters eigentlich nicht so viel zugetraut hat bei dieser EM, waren beim 2:0 gegen Spanien taktisch hervorragend eingestellt. Das schnelle Umschalten vom modernen Catenaccio mit einem 5-3-2-System zu einem überfallartigen 3-5-2-System ließ die Spanier überhaupt nicht zur Entfaltung kommen. Wobei man auch sagen muss, dass die Spanier in allen Belangen enttäuscht haben. Gleichwohl muss dieses Verschieben bei der „Squadra Azzurra“ erst einmal gelernt sein. Italien hat unwahrscheinlich schlau gespielt.

Wie muss die DFB-Auswahl dem Angstgegner Italien begegnen?

Da bin ich auch mal gespannt, welchen taktischen Weg der Bundestrainer suchen wird. Ob er eine Dreierkette aufbietet wie beim 4:1-Testspielsieg gegen Italien im März. Diesmal dann mit den Außenspielern Joshua Kimmich und Jonas Hector. Oder ob er es bei der Viererkette belässt. So oder so, ich denke, dass es auf beiden Seiten nicht viele Torchancen geben wird.

Die Effektivität wird den Ausschlag geben. Die Italiener haben bis hierhin eine geradezu sensationelle Quote. Bei 16 abgegebenen Torschüssen haben sie fünf Treffer erzielt. Das ist unfassbar. Das werden sie nicht halten können. Unser Simulationsmodell, das zu 20 Prozent auf dem Fifa-Weltranglistenplatz und zu 80 Prozent auf den Quoten der Wettanbieter basiert, sagt einen eindeutigen deutschen Sieg voraus. Der Wert liegt bei rund 65 Prozent. Die deutsche Mannschaft tut gut daran, bei dem Durchschnittsalter der Italiener das Tempo hochzuhalten.

Worin liegen die Stärken des deutschen Teams?

Die Spiele gegen Nordirland und die Slowakei haben gezeigt, welchen Vorteil es hat, auf zwei Varianten in der Offensive zurückgreifen zu können. Da ist zum einen der Strafraumspieler Mario Gomez, der in der Spitze die Bälle gut festmachen kann. Und da sind die flinken, wendigen Spieler wie Mario Götze oder Julian Draxler, die eine Abwehr aufbrechen können. Variabilität ist schon ein Schlüssel in diesem Spiel. In dem Zusammenhang wird es nicht zuletzt auf die kreativen Momente von Toni Kroos und Mesut Özil als Passgeber ankommen.

Was wird den Ausschlag geben in diesem Spiel?

Die Effektivität wird den Ausschlag geben. Das System spielt eine marginale Rolle. Wenn die Achse mit Manuel Neuer, Jerome Boateng, Mats Hummels, Toni Kroos und Mesut Özil, wenn diese Spieler 90 bis 100 Prozent ihrer Leistung bringen, dann wird die deutsche Elf ganz weit vorn liegen. Sollte bei den Italienern tatsächlich Daniele De Rossi ausfallen, der eine echte Stütze in Team ist, wird der Unterschied noch krasser sein.

Das Gespräch führte unser Redakteur Klaus Reimann

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