Eine Frau an vorderster Front: Paula Jung kümmerte sich im Ersten Weltkrieg im Lazarett um verwundete Soldaten.
Von unserer Mitarbeiterin Gabi Geller
Eine von ihnen war Paula Jung. Im September 1893 wurde sie als zweites von vier Kindern in Wuppertal-Barmen geboren. Wahrscheinlich war es, wie bei den meisten ihrer jungen Kolleginnen, eine Mischung aus Patriotismus, Pflichtgefühl und Abenteuerlust, die sie dazu bewog, eine Ausbildung zur Krankenschwester in Angriff zu nehmen, um als Frontschwester eingesetzt zu werden.
Im Deutschland von Kaiser Wilhelm II. waren solche Ambitionen für junge Damen eigentlich nicht vorgesehen, aber im Rahmen der Kriegsanstrengungen änderte sich das. Krankenschwestern wurden auch an der Front gebraucht. So nutzten viele junge Frauen die Gelegenheit, den gesellschaftlichen Zwängen zu entkommen. Häufig war ihnen im Vorfeld nicht klar, auf was sie sich einließen. Auch Paula Jung setzte sich gegen die Eltern durch. Die waren nämlich keinesfalls begeistert von der Idee ihrer Tochter, die sichere Heimatfront zu verlassen.
Mit ihren oft hastig geschriebenen Karten wollte Paula Jung die Familie nicht beunruhigen - die Gräuel des Krieges schilderte sie nicht.
Paula erlernte dennoch den Beruf der Krankenschwester. Neben dem medizinischen Fachwissen gehörten auch Reiten und Kutschieren zur Ausbildung.
Ende 1917 trat Paula Jung ihren Dienst an der Westfront an, wo sie bis Kriegsende im November 1918 blieb. Unter anderem tat sie Dienst im flandrischen Ypern und im französischen Arras.
Hin und wieder schickte sie eine Postkarte nach Hause. Immer bemüht, die Eltern nicht zu beunruhigen, lesen sich die Feldpostkarten fast wie Urlaubsgrüße. Statt Absender steht dort „im Felde“, und häufig sind es neckische Fotos, welche vereinzelte Schwestern im fröhlichen Kreise mit Stabsärzten und anderen Offizieren zeigen. Immer posiert Paula in strahlend weißer Schwesterntracht.
Die Fotos von der Front vermittelten nicht immer die Realität.
Der alltägliche Horror fand ebenso wie bei den Frontsoldaten keine Erwähnung in den häufig hastig gekritzelten Nachrichten an die Verwandten in der Heimat. „Es sendet Euch unter Donner der Geschütze viele herzliche Grüße Eure Schwester Paula“, schreibt sie im April 1918 an die „Lieben Anverwandten“.
Eine Karte gibt einen kurzen, erhellenden Einblick in den Alltag der Frontschwester Paula. Sie hatte erfahren, dass ihr Bruder Arthur verwundet in einem Lazarett in der Nähe lag und sich des Nachts per Pferd aufgemacht, ihn zu sehen. Auf ihrer Karte wünscht sie den Lieben daheim zuerst einmal fröhliche Pfingsten und schreibt dann: „Habe Arthur getroffen. Auf der Rückfahrt habe ich ein schreckliches Bombardement von feindlichen Fliegern mitgemacht. Habe geglaubt, dass ich euch nicht wiedersehe.“
Hochzeit 1926
Im Jahre 1926 heiratete Paula den Ahrweiler Zahnarzt Dr. Georg Geller und bekam mit ihm vier Kinder. Ihnen erzählte sie bisweilen von ihren Weltkriegs-Erlebnissen. Für Paula, wie für viele andere ihrer Generation, blieb es immer „der Weltkrieg“ – obwohl sie später einen zweiten erlebte.
Paula erzählte ihren Kindern von blutjungen Männern, die schwer verwundet in den Lazaretten lagen und nach ihrer Mama riefen. Sie erzählte von wenig religiösen Soldaten, die in ihrer schmerzvollen Verzweiflung zu beten begannen.
Gerne und mit Stolz berichtete sie auch, dass viele medizinische Eingriffe von den erfahrenen Frontschwestern selber durchgeführt wurden, auch wenn sie dazu offiziell nicht befugt waren.
Für die Enkel waren später besonders die Orden und Ehrenzeichen, die Oma Paula in einer speziellen Schatulle aufbewahrte, faszinierend. Mehr noch als das Flandernkreuz und die anderen Auszeichnungen wurde die Fantasie der Kinder von einem unscheinbaren Stück Metall beflügelt. Das rund zwei Zentimeter große, gezackte Stück Eisenschrott hat bis heute seinen Platz zwischen den Bändern und Orden. Es ist der Granatsplitter, welcher der Oma in Flandern den Finger zertrümmerte und dann neben ihrem Kopf in der Wand stecken blieb. „Zwei Zentimeter daneben, und ich wäre tot gewesen!“ Einen krumm zusammengewachsenen Finger behielt sie lebenslang.
Rhein-Zeitung, 19. März 2014