Fußball: Die Lage des DFB-Teams nach dem epischen Viertelfinale gegen die Spanier
Ein bitteres EM-Aus, das aber Hoffnung macht – Die DFB-Elf nach dem epischen Viertelfinale
Euro 2024: Spanien - Deutschland
Florian Wirtz (links) nach dem EM-Aus der DFB-Auswahl im Viertelfinale gegen Spanien.
Marijan Murat. dpa

Herzogenaurach. Tja, jetzt ist das Sommermärchen zu Ende, bevor es so richtig begonnen hat, könnte man ketzerisch resümieren nach dem Ausscheiden der deutschen Fußball-Nationalmannschaft im Viertelfinale der Heim-EM. Doch ist das nicht der Moment für Zynismus rund um eine DFB-Auswahl, die in den vergangenen Wochen weit mehr geschaffen hat, als ihren Fans ein Märchen, mithin eine Illusion aufzutischen.

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So wie die mit diesem Turnier verknüpfte Hoffnung auf ein gesamtgesellschaftliches Erweckungserlebnis von vornherein nostalgisch verbrämter Unsinn war, hat die Nationalmannschaft auf diese überfrachteten Erwartungen die richtige sportliche Antwort gegeben. Sie hat nach langer Zeit der Tristesse begeisternden Fußball geboten, sie hat den Willen und die Einstellung auf dem Platz gezeigt, die es den Fans wieder leicht machen, hinter dieser Mannschaft zu stehen, sich mit ihr identifizieren zu können. Und nur darauf kommt es im Fußball an.

In diesem Viertelfinale gegen Spanien mit dem glücklicheren Ende für die Iberer beim 1:2 nach Verlängerung kulminierte all das, was sich im vergangenen halben Jahr an erstaunlichen Entwicklungsschritten rund um diese DFB-Auswahl getan hat und was trotz des jähen Endes bei dieser Heim-EM Anlass dafür gibt, auf eine gute Zukunft für den deutschen Fußball zu hoffen. Was war das für ein episches Spiel, was in 120 Minuten nahezu alles vereinte, was den Fußball so attraktiv macht.

Enorme Widerstandsfähigkeit

Aus deutscher Sicht gab es einige für den Erfolg unabdingbare Verhaltensmuster zu bestaunen, die der Außenstehende von einer DFB-Elf so lange nicht mehr gesehen hat. Ein von keinen persönlichen Eitelkeiten getrübtes Miteinander hat diese Mannschaft binnen kurzer Zeit so widerstandsfähig gemacht, dass sie auf nahezu jede Spielsituation eine Antwort weiß. Auch gegen Spanien.

Das Spiel

Julian Nagelsmann ist kein Trainer, der über Probleme schwadroniert. Der 36-Jährige sucht nach Lösungen und fällt klare Entscheidungen. Damit lag er schief, was die Startelf gegen Spanien anging. Aber nur wer nichts macht, macht auch keine Fehler. Die Hereinnahme des mit dem Spieltempo überforderten Emre Can und dem vergebens nach seiner Form suchenden Leroy Sané war ein Fehler, den Nagelsmann und sein Trainerteam zur Halbzeit korrigierten. Und mit der Hereinnahme von Florian Wirtz und Robert Andrich die richtige Lösung fanden.

Bis dahin war nicht viel passiert. Die Spanier hatten ein leichtes Übergewicht, die DFB-Elf kam nicht richtig in ihren Rhythmus, das 0:0 war okay. Als die Iberer kurz nach der Pause in Führung gingen, war das der Moment, in dem diese deutsche Mannschaft ihre neue Stärke offenbarte. Sie wollte fortan nicht nur gegen Widerstände ankämpfen, sondern wollte sie überwinden. Und so spielte sie die wohl beste Halbzeit seit vielen, vielen Jahren. Lohn der Mühen: Der Ausgleich in Minute 89 durch Wirtz.

Auch in der Nachspielzeit war es eher das DFB-Team, das auf die Entscheidung drängte. Fokussiert, selbstbewusst. Dass der Siegtreffer dann auf der anderen Seite fiel, ist vielleicht dem Ungestüm geschuldet, das Nagelsmann noch wird zügeln müssen bei den Akteuren seines Vertrauens.

Die Handspielregel

Kaum ein Spiel bei diesem EM-Turnier, in dem es nicht zu kontroversen Diskussionen über die Handspielregel im Fußball kam. Eine Regel, die an Interpretationsmöglichkeiten alles bietet und an Klarheit nichts. Hätte Schiedsrichter Anthony Taylor in der 106. Minute auf Strafstoß für Deutschland entscheiden müssen, als Spaniens Defensivspieler Marc Cucurella der Ball nach einem Schuss von Jamal Musiala an die Hand sprang? War das eine natürliche Armhaltung? Stand Niclas Füllkrug zuvor im Abseits? Nichts davon ist bis dato aufgeklärt. Taylor sah sich die Szene nicht einmal an. Ließ unbeirrt weiterspielen. Ein Akt der Willkür.

Die Reaktionen

Natürlich war der nicht gegebene Strafstoß im deutschen Lager ein Thema. Nagelsmann fühlte sich explizit „nicht betrogen“, auch wenn es für ihn ein klarer Elfmeter war, weil der Schuss aufs Tor gegangen wäre. „Es tut mir leid für die Mannschaft, die nach dieser tollen Leistung um den Lohn ihrer Arbeit gebracht wurde“, bedauerte der Bundestrainer den Lauf der Dinge.

Was die Reaktionen auf das Aus im Viertelfinale betrifft, gab es beim Trainer und den Spielern genügend Anzeichen dafür, wie schwer es allen gefallen ist, die funktionierende Gemeinschaft am Tag darauf einfach so aufzulösen. „Es ist traurig, dass es vorbei ist. Es gab eine Euphorie, ein Gemeinschaftsgefühl, das es lange nicht mehr gegeben hat“, sagte Niclas Füllkrug unmittelbar nach der Partie. „Wir gehen wieder mal aus einem Turnier raus, aber diesmal war alles anders. Das ist ganz, ganz bitter“, fand Joshua Kimmich. Er und auch der die Karriere beendende Toni Kroos hielten noch in der Kabine bewegende Ansprachen. Tenor: Wo das Miteinander so stark ausgeprägt ist, wiegt das Aus doppelt schwer.

„Einige Spieler hatten Tränen in den Augen“, berichtete ein sichtlich bewegter Nagelsmann am Tag darauf von der Abreise aus dem „Home Ground“ in Herzogenaurach. Auch hier fiel wieder das Wort Miteinander, das der Bundestrainer nach eigenen Angaben „so noch nicht erlebt“ hat.

Der Bundestrainer

Überhaupt Julian Nagelsmann: Der 36-Jährige ist zweifellos an seiner Aufgabe gewachsen. Er ist Moderator und Motivator in einem. Ein Spielerversteher mit einem klaren Plan, „den ich auch so in den nächsten Jahren verfolgen werde“. Und es sprach wohl auch bisschen der Trotz aus ihm, als er unmittelbar nach dem Spiel mit Blick auf die WM 2026 meinte, „dann werden wir dann eben Weltmeister“ – und beim Blick in die Runde hinzufügte: „Na, da macht ihr große Augen, was? Aber was soll ich denn sonst sagen? Natürlich fahren wir zu einem Turnier, um es auch zu gewinnen.“ Und das klang keineswegs arrogant. Die Aussage zeugt vielmehr von einem neuen Selbstverständnis, das mit Nagelsmann wieder Einzug gehalten hat im deutschen Fußball.

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