Évian-les-Bains
Die Null soll hinten weiter stehen

Neu-Bayer Mats Hummels

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Évian-les-Bains. In punkto Selbstüberwindung hat Mats Hummels eine ganz neue Erfahrung gemacht. Und das ausgerechnet an seinem freien Tag in dieser Woche vor dem Viertelfinalspiel gegen Italien (Samstag, 21 Uhr, ARD). Der künftige Bayern-Spieler ist vom 10-Meter-Brett gesprungen. Das erste Mal. "Ich hatte ganz schön Schiss", bekannte er später. Und er ist wohl nur gesprungen, "weil der Rückweg über die steile Treppe noch furchterregender war". Wie auch immer, in diesem Punkt weiß Hummels schon mal, wie es sich anfühlt, das erste Mal.

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Neu-Bayer Mats Hummels

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Aus Évian-les-Bains berichtet unser Redakteur Klaus Reimann

Für den Fußballer und Nationalspieler Mats Hummels soll das erste Mal am Samstag folgen. Und zwar in der Gestalt eines Sieges gegen Italien. Nach zuvor acht untauglichen Versuchen, den „Azzurri“ bei einem WM- oder EM-Turnier ein Bein zu stellen, ein in der Tat großer Sprung. Jetzt soll dieses deutsche Fußball-Trauma endlich überwunden werden.

Ein Vorhaben, das ebenfalls Mut erfordern wird. Sich den Italienern beherzt und entschlossen gegenüberzustellen, wird aber allein nicht reichen. Diesen Willen kann und muss man voraussetzen. Den Weg zum Sieg wird in erster Linie eine gut, wenn möglich fehlerfrei funktionierende Abwehrleistung ebnen. Und da lautet dann die Frage: Vier Musketiere auf italienischer oder magisches Dreieck auf deutscher Seite – welche Formation wird am Ende der bessere Dienstleister für den Erfolg sein?

In jedem Fall lautet das Credo aus deutscher Sicht mehr denn je: Die Null muss stehen. Weniger, weil mit einem abermaligen Zu-Null-Spiel die alte DFB-Bestmarke von sechs Partien in Folge ohne Gegentor aus dem Jahr 1966 eingestellt werden würde. Da hat ja sogar schon Torsteher Manuel Neuer erklärt, dass ihn dieser Fakt überhaupt nicht interessiert.

Nein, die Null sollte tunlichst stehen, weil die Italiener es verstehen, aus ihrem Faible fürs Verteidigen im Fall einer eigenen Führung eine Meisterschaft zu machen. Einen solchen Spielverlauf fürchtet auch Hummels: „Wir sollten tunlichst nicht in Rückstand geraten. Dann wird es schwer gegen diese Defensivkünstler. Mit einer eigenen Führung dagegen könnte es uns gelingen, die Statik der Italiener entscheidend zu verändern.“

Im März, beim 4:1-Erfolg im Freundschaftsspiel in München, begegnete Joachim Löw den „Azzurri“ mit einer Dreierkette. Alle sind sich darüber im Klaren, dass der damalige Erfolg hier und heute nicht mehr von Belang ist. Damit ist aber die taktische Variante nicht aus dem Spiel. „Natürlich kann ich mir eine Dreierkette vorstellen“, meinte Hummels. Auf diese Weise könnte die Mitte besser verdichtet werden, bei Ballbesitz des Gegners würden die beiden Außen mit nach hinten gezogen.

Mit einer solchen Maßnahme gehen aber auch Nachteile einher. Auf den rein spieltaktischen Nachteil verwies Hummels. „Spielst du dieses System zu defensiv, läufst du Gefahr, die Kontrolle im Mittelfeld zu verlieren“, fügte der Innenverteidiger an. Aber auch aus psychologischer Sicht wäre eine Dreier-Kette womöglich das falsche Signal. Vermittelt sie dem Gegner doch einen übergroßen Respekt vor dessen offensiven Fähigkeiten. Zumal Löw oft genug betont hat, sich gegen die Italiener auf die eigenen Stärken besinnen zu wollen.

Bislang der Spieler dieser EM? Jerome Boateng.

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Für Hummels besteht ohnehin keine Veranlassung, am bisherigen Spielsystem etwas zu ändern. „Wir werden auch in dieser Partie als Mannschaft verteidigen müssen. Es hilft uns gar nichts, wenn die Räume im Mittelfeld nicht zugestellt werden und der Gegner in Überzahl auf unsere Abwehr zuläuft.“ Und nach fünf Spielen in Folge ohne Gegentor kann die deutsche Viererkette nicht so viel falsch gemacht haben. „Wir verteidigen sehr hoch, und das hat bisher gut funktioniert.“ Warum also gegen bei Ballbesitz schnell umschaltende Italiener etwas ändern?

Bleibt abzuwarten, wie sich die reichlich unerfahrenen deutschen Außenverteidiger gegen Italien schlagen. Möglich wäre auch eine Rückkehr von Benedikt Höwedes für Joshua Kimmich auf rechts. Was andererseits Offensiv-Schlagkraft kosten würde. So oder so: Die Seiten müssen gegen ausschwärmende „Azzurri“ dicht gemacht werden. Denn müssen Hummels oder Boateng allzu oft auf den Flügeln aushelfen, droht das magische Dreieck auszufransen.

Bliebe noch der geschichtliche Hintergrund dieses Duells – für die aktuellen Nationalspieler indes überhaupt kein Thema. „Das interessiert uns nicht, wie in den 80er- oder 90er-Jahren gegen Italien gespielt wurde“, meinte Hummels. Boateng, Meister der modulationsarmen Sprache, sieht dem Duell mit der ihm eigenen Gelassenheit entgegen. „Ich mach' mir jetzt nicht Tag für Tag Gedanken über die Italiener. Da gibt es Wichtigeres.“

Den EM-Titel zum Beispiel. Und auf dem Weg dorthin lassen sich Hummels und Co. auch von Italien nicht bange machen. Wenn Hummels in seiner Erinnerung stöbert, kann er sogar einen wichtigen Erfolg gegen die „Azzurri“ ausmachen. „2009, bei der U 21-EM, haben wir sie im Halbfinale geschlagen“, meinte der Abwehrspieler. Da sollte ein zweites Mal doch keine große Überwindung kosten.

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