Évian-les-Bains
DFB-Auswahl wieder gegen Gastgeber: Die Psychologie eines heißen Halbfinals

Denkt Joachim Löw darüber nach, ob Ballbesitz gegen die Franzosen ein probates Mittel ist? Sicher hat der Bundestrainer auch noch einige andere Fragen zu beantworten.

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Évian-les-Bains. Natürlich ist auch eine Menge Psychologie im Spiel, wenn ein Halbfinale bei einem Turnier ansteht. Zumal dann, wenn es gilt, den Gastgeber zu schlagen, um ins Finale vorzustoßen. So gesehen, trat Oliver Bierhoff bei der letzten Pressekonferenz im DFB-Basislager in Évian als Kronzeuge des Erfolgs vor die Mikrofone.

Denkt Joachim Löw darüber nach, ob Ballbesitz gegen die Franzosen ein probates Mittel ist? Sicher hat der Bundestrainer auch noch einige andere Fragen zu beantworten.

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Aus Évian-les-Bains berichtet unser Redakteur Klaus Reimann

Der Golden-Goal-Schütze des letzten EM-Turniersiegs einer DFB-Auswahl 1996 in England (2:1 n.V. gegen Tschechien) zog dann auch alle Register der psychologischen Matchführung. Sein erster Therapieschritt: Bierhoff schanzte den Franzosen die Favoritenrolle zu im Spiel am Donnerstag (21 Uhr, ZDF) in Marseille. „Sie haben sich viel Selbstbewusstsein geholt durch das 5:2 gegen Island. Sie haben den Heimvorteil, und sie haben keine 120 Minuten plus Elfmeterschießen in den Knochen“, zählte der Teammanager auf. Natürlich darf aus einem solchen Vorgehen keine Überlegenheit des Gegners abgeleitet werden. Also folgte prompt der nächste tiefenpsychologische Kniff: die eigene Mannschaft stark reden.

„Trotz der Ausfälle wird es keine Rumpfmannschaft sein, die gegen die Franzosen auflaufen wird“, versprach Bierhoff und wiederholte die interne Sprachregelung beim DFB für dieses Spiel, die schon der Bundestrainer am Tag zuvor kundgetan hatte: „Wir haben Spieler, die sofort bereit sind und die große Qualität haben.“ Wer aber nun gegen die Franzosen von den bisher nicht eingesetzten Spielern ins kalte Wasser geworfen wird, darüber schwieg sich natürlich auch Bierhoff beharrlich aus. Was über die Frage Emre Can oder Julian Weigl hinaus die Spekulationen ins Kraut schießen lässt. Wieder die Dreierkette wie gegen Italien oder doch der Rückgriff auf die gewohnte Viererkette? Wie dem Schwachpunkt der französischen Mannschaft, der Abwehr, begegnen? Eventuell gar mit einem über rechts gegen den doch in die Jahre gekommenen Patrice Evra (35) wirbelnden Leroy Sane? Löw dürfte seinem Ruf als Meister der Überraschung auch in diesem Fall wieder gerecht werden. Klar ist nur, dass nichts klar ist.

In solchen Momenten personeller und auch taktischer Unklarheit hilft dann wieder die Psychologie. Wie bei der WM 2014 in Brasilien geht es auch diesmal im Halbfinale gegen den Gastgeber. Was den ohnehin gern lachenden Thomas Müller noch breiter grinsen ließ. „Das stimmt, aber ich gehe nicht davon aus, dass wir die Franzosen mit 7:1 schlagen.“ Müller wie Bierhoff gehen vielmehr davon aus, dass Frankreich mit dem eigenen Publikum im Rücken weitaus mehr Widerstand leisten wird.

„Viel schönere Fußballspiele gibt es nicht.“ DFB-Stürmer Thomas Müller vor dem Klassiker im Halbfinale gegen Frankreich.

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Aber immerhin, die Mär von der Unschlagbarkeit deutscher Mannschaften in Halbfinalspielen gegen den Gastgeber war geboren. Zumal Bierhoff in einem weiteren Therapieschritt noch hinzuzufügen wusste: „So war es im Übrigen auch 1996. Damals haben wir England im Halbfinale besiegt.“ Na also, was soll da noch passieren?

Gleichwohl bleibt die Frage, wie die DFB-Auswahl der enorm starken, weil sehr wuchtigen und variablen französischen Offensive begegnen will – ohne Mats Hummels. Da greift dann wieder der Faktor Einigkeit als wirksames psychologisches Element. „Klar haben sie gute Einzelspieler. Da müssen wir eben als Mannschaft wieder gut verteidigen“, führte Müller an. Und auch er wollte von einem personell angeschlagenen Weltmeister nichts wissen. „Ich glaube, wir waren in der Breite noch nie so stark aufgestellt wie bei dieser EM. Ich sehe das eher als Chance für die jungen Spieler.“ Stark reden – das hatten wir bereits an anderer Stelle.

So wird sich morgen weisen, welche Serie zu Ende gehen wird. Die drei letzten Turniervergleiche gegen Frankreich hat die DFB-Auswahl allesamt gewonnen, zuletzt 2014 in Brasilien das WM-Viertelfinale mit 1:0. Frankreich dagegen hat bis dato alle Turniere zu Hause gewonnen – 1984 als Europameister, 1998 als Weltmeister. Wenn die Partie am Donnerstag angepfiffen wird, ist alle Psychologie allerdings perdu. Dann wird zum Glück wieder Fußball gespielt.

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