Zwei Spiele haben dem Team von Bundestrainer Julian Nagelsmann gereicht, um die Fans hinter sich zu bringen. Zwei Spiele und zwei überzeugende Siege später bei dieser Heim-EM macht sich im Land eine Euphorie breit, auf die vor Monaten manch einer vielleicht gehofft, von der allerdings kaum einer zu träumen gewagt hatte. 5:1 gegen zugegebenermaßen schwache Schotten, 2:0 gegen giftige Ungarn – in zwei Spielen mit völlig verschiedenen Anforderungsprofilen war es beeindruckend und durchaus auch erstaunlich zu sehen, wie schnell diese DFB-Auswahl ihren EM-Rhythmus gefunden hat – nach zwei Testspielen kurz vor Turnierbeginn mit soliden, aber keineswegs überzeugenden Leistungen.
Erwachsenenfußball war gefordert
Beim EM-Auftakt in München machte der Gegner spielerischen Glanz möglich, im zweiten Gruppenspiel dagegen war Erwachsenenfußball, waren Widerstandsfähigkeit und Stressresistenz nötig, um zum Erfolg zu kommen. Erfolg, der in diesem Fall mit dem vorzeitigen Einzug ins Achtelfinale einhergeht. Auch das hat eine deutsche Turniermannschaft schon lange nicht mehr geschafft. Reifeprüfung bestanden!
Der Bundestrainer spricht dann gerne von einem Prozess, den diese Mannschaft durchmacht. „Natürlich gab es Momente, die wir überstehen mussten. Im November hätten wir dieses Spiel wohl nicht mit 2:0 gewonnen“, sagte Nagelsmann in den Katakomben der Stuttgarter Arena. Nun, er hat mit seinem radikalen Personalwechsel im Frühjahr seinen Teil dazu beigetragen, dass jetzt eine deutsche Mannschaft mit einem ganz anderen Selbstverständnis, mit mehr Selbstvertrauen auf dem Platz steht.
Selbstbewusstsein hart erarbeitet
Dieses Selbstbewusstsein freilich hat sich die Auswahl durch gemeinschaftliche Trainingsarbeit hart erarbeiten müssen. Eine, wie sich jetzt zeigt, lohnende Arbeit. Was an Äußerungen aus dem DFB-Tross zunächst nach floskelhaft erscheinenden Beteuerungen klang, wenn von einem gedeihlichen Miteinander und wachsender Zuversicht die Rede war, hat letztlich dann doch eine Mannschaft entstehen lassen, die dieses Prädikat wieder verdient. Und die mit Drucksituationen umgehen kann.
Gegen Ungarn gab es die vor allem in der ersten Halbzeit, in der Manuel Neuer zweimal in höchster Not retten musste. Wie Neuer seinen Nummer-eins-Status unterstrich, zeigten im weiteren Verlauf der Partie auch die beiden deutschen Innenverteidiger Antonio Rüdiger und Jonathan Tah, dass an ihnen derzeit im besten Wortsinne kein Vorbeikommen ist. Klar, offensiv stärkere Gegner werden kommen. Dennoch sticht die neue Stabilität in der Defensive, die gute Balance im deutschen Spiel, in Gänze ins Auge.
Kroos mit EM-Rekord
Nicht nur mit Blick auf Tah und Rüdiger scheint der Bundestrainer als Bessermacher erfolgreich zu coachen, auf spieltaktischer wie psychologischer Ebene. Bei Toni Kroos hatte er es dabei sicher am leichtesten. Dennoch überrascht, wie selbstverständlich der Routinier sein Programm zum Wohl der Mannschaft herunterspult. 143 Ballkontakte gegen Ungarn, das ist Rekord für einen Spieler während einer EM. Unmessbar, aber umso wertvoller die Ruhe, die von Kroos ausgeht und die auch auf die Mitspieler ausstrahlt.
Von Ilkay Gündogan, Torschütze und Vorbereiter gegen Ungarn und einer der Besten im DFB-Trikot, hält Nagelsmann bekanntermaßen eine ganze Menge. Vielleicht kommt ihm der Offensivspieler in der Außendarstellung etwas zu schlecht weg, jedenfalls gebrauchte der Bundestrainer den Plural, als er meinte: „Wir müssen ihm mehr vertrauen, ihn mehr pushen, weil er auch die Mannschaft pushen kann.“
Bliebe noch der bis dato wohl auffälligste deutsche Offensivakteur, Jamal Musiala. Für den könnte diese EM nach Lage der Dinge der endgültige internationale Durchbruch bedeuten. Was gibt der Bundestrainer ihm mit auf den Weg? „Ich habe ihm gesagt, er soll einfach so spielen, als würde er auf irgendeinem Kleinfeld mit Freunden kicken. Er soll sich keinen Druck machen“, umschrieb Nagelsmann seine Rezeptur für den Dribbler. Nun, die Rezeptur wirkt.
Eine stabile Achse
Mit Neuer, den beiden Innenverteidigern, mit Kroos als Bindeglied und Gündogan, den Nagelsmann gegen Ungarn weiter nach vorn beorderte, um Musiala und Florian Wirtz mehr Raum zu geben, ist eine Achse entstanden, die trägt. Und die für weitere Erfolge stehen soll. Auch gegen die Schweiz, wenn es am Sonntag (21 Uhr) in Frankfurt um den Gruppensieg geht, will Nagelsmann erneut viel Intensität und Willen sehen. Und das nächste Erfolgserlebnis. Auch, weil so im Achtelfinale womöglich ein leichterer Gegner wartet. Vor allem aber, „weil ich jedes Spiel gewinnen will“.
Die Mannschaft sieht das ebenso. „Es ergibt auch keinen Sinn, jetzt in der Spannung nachzulassen“, sagte Kroos. Und schlussendlich hat die Mannschaft auch einen Auftrag. „Wir haben es stets als unsere Aufgabe angesehen, eine Euphorie zu entfachen und die Fans mitzunehmen“, hielt Nagelsmann fest. Was kann es da Besseres geben als Siege?