Gespräche gestoppt: Freihandelsabkommen auf Eis gelegt
Von unserem Korrespondenten Detlef Drewes
„Regierungen müssen die Freiheit haben, Gesetze zu erlassen, die das Ziel haben, die Bevölkerung und die Umwelt zu schützen“, begründete der belgische Kommissar gestern Nachmittag seinen Beschluss. „Aber sie müssen auch die richtige Balance finden und Investoren fair behandeln, um weiter Investitionen anlocken zu können. Internationale Handelsabkommen wie die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) sollten beides sicherstellen.“
Es geht um so genannte Investitionsschutzklauseln (ISDS). Sie erlauben es den Unternehmen, Staaten auf internationaler Ebene vor nicht-öffentlichen Schiedsgerichten zu verklagen, wenn sie glauben, durch die Gesetzgebung diskriminiert und ihre Investitionen geschädigt zu werden.
Konzerne verklagen die Staaten „im Hinterzimmer“
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Ein jüngstes Beispiel zeigt, wie weit das gehen kann: So hatte der Tabakkonzern Philipp Morris über seine Tochter in Hongkong den Staat Australien wegen dessen strikter Anti-Raucher-Gesetzgebung verklagt und sich dabei ISDS berufen. „Der Fall zeigt einen Missbrauch des Systems“, betonte Ignacio Garcia Bercero, EU-Chefunterhändler bei den Gesprächen mit den Amerikanern am Montag in Wien. Seiner Meinung nach müssten die internationalen Schiedsgerichte transparenter besetzt werden. In der Vergangenheit gab es Fälle, in denen solche Höfe mit Wirtschaftsjuristen bestückt waren, deren Neutralität zumindest angezweifelt wurde. Die Umweltorganisation Greenpeace hatte bereits in den letzten Wochen von einem „Klagerecht für Konzerne im Hinterzimmer“ gesprochen. Sie befürchtet, dass durch die Hintertüre geklonte US-Produkte und Hormonfleisch auf die europäischen Tische kommen könnten.
Es geht um Transparenz – und vielleicht um Milliarden Euro Steuergelder
Solche Klauseln sind im europäischen Recht üblich. Nach Angaben der Kommission gibt es rund 1400, allein in Deutschland bestehen 130. Doch diese hätten erhebliche Lücken. Kommissar de Gucht hatte den Auftrag, diese Klauseln juristisch sauber umzuarbeiten und dann im Abkommen mit Washington festzuzurren. Als das nicht gelang, zog er die Notbremse. Innerhalb der nächsten drei Monate solle sich die EU selbst darüber klar werden, was sie wolle, heißt es in Brüssel. De Gucht selber formulierte das in einem Brief an die Wirtschaftsminister so: „Es ist notwendig, eine öffentliche Reflexion einzuräumen, wie die EU diese Verhandlungen angehen soll und was unsere politischen Ziele sein sollen.“ Mit anderen Worten: Die Kommission will sicherstellen, dass missbräuchliche Investoren-Klagen nicht länger möglich sind, berechtigte aber auch gegenüber den USA erhalten bleiben.
EU-Parlamentarier stimmen dem Not-Stopp zu
Im Europäischen Parlament gab es für den Not-Stopp der Kommission viel Zustimmung. „Es kann nicht sein, dass demokratisch getroffene Entscheidungen zum Schutz der Umwelt oder der Gesundheit von ausländischen Investoren vor dubiosen internationalen Schiedsgerichten in Frage gestellt werden.“, kommentierte die Grünen-Politikerin Ska Keller. „Wir wollen nicht, dass Großkonzerne außerhalb staatlicher Rechtssysteme unbegrenzt Schadensersatzansprüche geltend machen können. Dadurch würden europäische Gesetzgeber wichtigen Handlungsspielraum verlieren", erklärte der handelspolitische Sprecher der SPD-Europa-Fraktion, Bernd Lange. Die Wirtschaftsminister der 28 Mitgliedstaaten kommen erst Ende Februar wieder zusammen. Bis dahin dürfte es kaum Bewegung geben können.
Weiterführende Links:
Aus der „Frankfurter Rundschau“: Die Gefahr der Schattengerichte
Aus „Der Freitag“: So wird Demokratie geschreddert
Aus „Der Spiegel“: Abschotten oder für Bürger öffnen?
Aus „Blätter für deutsche und internationale Politik“: Konzerne versus Staaten
Erklärung zum Freihandelsabkommen in Wikipedia