Washington

Ein letzter Kraftakt: Obama will das Ruder herumreißen

Präsident Obama während seiner Rede vor dem Kongress.
Präsident Obama während seiner Rede vor dem Kongress. Foto: dpa

Pleiten, Pech und Pannen verfolgten den mächtigsten Mann der USA im vergangenen Jahr. 2014 soll alles anders werden. Doch Barack Obamas Rede zur Lage der Nation ist vor allem eines: Ein fernsehtaugliches Politik-Recycling längst bekannter Forderungen.

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Den blauen Teppich betritt er wie ein Gewinner. Barack Obama lächelt, strahlt, geht mit ausgebreiteten Armen auf die Zuschauer im US-Kongress zu. Er wirkt fast wie ein Boxer auf dem Weg in den Ring. Schon vor seiner Rede zur Lage der Nation ist klar: Hier soll am Dienstagabend ein Mann der Tat stehen, ein US-Präsident, der zupackt.

2014 solle das „Jahr der Taten“ werden, ruft Obama Millionen Fernsehzuschauern zu. Doch schnell wird deutlich, dass der Präsident kein Ass mehr im Ärmel hat, das er nach einem Jahr voller Pannen, Rückschläge und politischer Misserfolge noch zücken könnte. Statt einem großen Entwurf für die letzten drei Jahre seiner Präsidentschaft kocht Obama in seiner „State of the Union“-Rede lediglich alte, längst bekannten Forderungen neu auf.

Der Glaube wankt

Das Einwanderungsrecht soll reformiert, der Klimawandel gestoppt und Erziehungsangebote für kleine Kinder ausgebaut werden. Immer wieder quittiert das voll besetzte Abgeordnetenhaus seine Worte mit stehendem Applaus.

Die Krux: Auf die meisten seiner Punkte drängte der Staatschef schon vergangenes Jahr oder gar vor seinem Einzug ins Weiße Haus vor fünf Jahren. Seitdem ist die Erinnerung an den versprochenen Wandel („Change“) und Hoffnung („Hope“) verblasst. „Seien wir ehrlich“, muss der selbst Obama einräumen, „dieser Glaube hat schwere Schläge eingesteckt.“

„Geben Sie Amerika eine Lohnerhöhung“

Als größten Coup des Abends versuchen Obamas PR-Strategen bereits vor der Ansprache, die Forderung nach einem höheren Mindestlohn zu verkaufen. 10,10 Dollar (7,40 Euro) sollen Klempner, Putzfrauen und Bauarbeiter künftig wenigstens pro Stunde erhalten statt der bisher gültigen 7,25 Dollar. „Sagen Sie ja. Geben Sie Amerika eine Lohnerhöhung“, bittet der Mann im schwarzen Anzug. Doch in Wahrheit wiederholt er nur seine Worte vom letzten Jahr – nur mit dem kleinen Unterschied, dass damals einen Dollar weniger forderte.

Es ist ein letzter Kraftakt, mit dem Obama versucht, im sechsten Jahr seiner Amtszeit das Ruder herumzureißen und aus dem anhaltenden Umfrage-Tief herauszukommen. Monatelang beherrschten der NSA-Skandal, der lähmende Verwaltungsstillstand und immer neue Pannen seiner Krankenversicherungs-Website die Schlagzeilen. „Manchmal stolpern wir, machen Fehler, werden frustriert und entmutigt“, sagt Obama.

Mehrheit im Senat steht zur Wahl

Schmerzlich musste der mächtigsten Mann der USA lernen, dass ihm wegen der politischer Blockade der Republikaner im Kongress die Hände gebunden sind, etwa bei seiner gescheiterten Reform des Waffenrechts. 2014 wird sich daran wenig ändern. Verlieren Obamas Demokraten bei den Kongresswahlen – wie von einigen Beobachtern befürchtet – die Mehrheit im Senat, muss Obama noch mehr strampeln. Denn dann hätten die Republikaner das Zepter in beiden Kongresskammern in der Hand. Was ihnen dazu fehlt, sind lediglich 6 von 100 Sitzen im Senat.

Nachfolge Obamas wird immer lauter diskutiert

Bis zum Jahresende wird die Hauptstadt dann immer lauter darüber streiten, wer Obamas Nachfolge antreten soll. Obama muss sein Vermächtnis sichern, um zum Ende seiner zweiten Amtszeit nicht als „Lame Duck“ gebrandmarkt zu werden. Bis dahin wird er vermutlich kein bedeutendes Gesetz auf den Weg bringen, orakelt die „Washington Post“. Republikaner John Boehner scheint das fast zu ahnen. Dieser guckt während Obamas Rede eher gelangweilt und klatscht hin und wieder müde in die Hände.

Guantánamo wird geschlossen, ruft Obama überzeugt ins Mikrofon. Seine Fans möchten es ihm so gern glauben. Oben auf den Rängen steht seine Frau Michelle ganz in Grün. Am Ende gibt der Präsident Autogramme, bekommt Küsschen und erntet Schulterklopfen. Doch unterm Strich bleibt nach der „State of the Union“-Rede fast nichts übrig, was die Amerikaner nicht schon wissen.

Johannes Schmitt-Tegge (dpa)