Nürburgring

Rock am Ring 2022: Das waren die schönsten Erlebnisse unserer Reporter

Von Stefan Schalles, Niels Stern, Finn Holitzka, Annika Wilhelm
90 000 Besucher, 90 000 Eindrücke vom diesjährigen Rock am Ring - hier teilen unsere Reporter ihre.
90 000 Besucher, 90 000 Eindrücke vom diesjährigen Rock am Ring - hier teilen unsere Reporter ihre. Foto: dpa/Thomas Frey

Drei Tage lang haben Zehntausende Fans bei Rock am Ring auf dem Nürburgring gefeiert. Vor Ort waren auch vier Reporter der Rhein-Zeitung – hier erzählen sie von ihren persönlichen Highlights.

Lesezeit: 7 Minuten
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Stefan Schalles: Stress, viel Spaß und am Ende Urlaubsgefühle

„So, wie manche arbeiten, würde ich gern mal Urlaub machen“, schreibt mir ein Bekannter am Samstagmorgen, dazu ein an diesem Tag erschienener RZ-Artikel über den Rock-am-Ring-Auftakt. Spoiler: Ganz so entspannt, wie er und vermutlich viele andere meinen, läuft die Berichterstattung während des Festivals nicht ab: Rock am Ring bedeutet für die zahllosen Journalisten vor Ort in erster Linie Arbeit, nicht selten bis zu 13 Stunden am Tag – und doch: Wenn man erst einmal hier ist, fühlt es sich tatsächlich ein bisschen an wie Ferien.

Stefan Schalles hatte bei Rock am Ring Stress, viel Spaß und am Ende Urlaubsgefühle, obwohl er arbeiten musste.
Stefan Schalles hatte bei Rock am Ring Stress, viel Spaß und am Ende Urlaubsgefühle, obwohl er arbeiten musste.
Foto: Niels Stern

Was vor allem an der unverwechselbaren Atmosphäre rund um die Rennstrecke liegt, an der Ausgelassenheit, vor allem an den Menschen, die hier zu Zehntausenden zusammenfinden, die sich (größtenteils) vertragen, einander aushelfen und das Festival dabei quasi beiläufig in die Megaparty des Jahres verwandeln.

Das Line-up war sicher schon einmal stärker, keine Frage, in der Organisation lief vonseiten der Veranstalter nicht alles rund, doch die Stimmung war überragend – und wäre es wohl auch gewesen, wenn die Bühnen statt Green Day und Korn ausschließlich Schülerbands gesäumt hätten.

Rock am Ring 2022 war ein besonderes, eines, das in die Geschichte eingehen wird als die Rückkehr der deutschen Festivallandschaft aus der Corona-Krise. Die Besucher zeigten hierfür ein feines Gespür, ein Satz, der beim Rundgang über die Zeltplätze regelmäßig fiel, war: „Geil, dass wir endlich wieder hier sein können.“

Wobei die Ring-Rocker diesem Gefühlsausdruck durchaus auch vor den Bühnen freien Lauf ließen. Kaum ein Konzert, bei dem sich die Stimmung nicht kurz unterhalb der Eskalationsstufe bewegte, bei dem die Lebensfreude nicht hör- und spürbar war. Dazu – mit Ausnahme des durchwachsenen Sonntags – bestes Juniwetter, starke Bühnenshows, die das Festival in Summe zu einem überaus gelungenen machten.

In der Organisation lief vonseiten der Veranstalter nicht alles rund, doch die Stimmung war überragend.

RZ-Reporter Stefan Schalles

Weshalb sich schließlich auch bei der Abreise am Sonntagabend noch einmal Urlaubsgefühle einstellen. Klar, man ist froh, nun wieder nach Hause zu kommen, zugleich aber auch wehmütig aufgrund des Abschieds und irgendwie glücklich, sagen zu können: Bis nächstes Jahr, Rock am Ring.

Finn Holitzka: Ein Konzert muss nicht perfekt sein, um zu begeistern

Um richtig, richtig gut in etwas zu werden, muss man es zehntausend Stunden lang geübt haben, hört man oft. Bei Rock am Ring geht mir durch den Kopf: Die 10 000-Stunden-Regel trifft auch auf Rockshows zu. Am Ende ist Punk auch bloß Routine. Wenn Green Day spielen, ist das punktgenau abgepackte Ekstase, wie aus dem Katalog bestellt: Schlagzeugstöcke, die wie Kamellen ins Publikum verteilt werden, Handylichter für den Feuerzeugpathos, Zeilen aus „Holiday“, die jeder mitsingen kann. Ein Riesenspaß – und total vorhersehbar.

Finn Holitzka hat festgestellt, dass ein Rock-am-Ring-Konzert nicht perfekt sein muss, um zu begeistern.
Finn Holitzka hat festgestellt, dass ein Rock-am-Ring-Konzert nicht perfekt sein muss, um zu begeistern.
Foto: Niels Stern

Viel glücklicher macht mich das Konzert der vierköpfigen Mädchenpunkband The Linda Lindas aus Kalifornien, die am Samstagnachmittag vor einem Bruchteil der Green-Day-Zuschauer auf der Orbit Stage spielen. The Linda Lindas sind zwischen 11 und 17 Jahren alt. Um 10 000 Stunden zu üben, fehlte ihnen quasi schon rein rechnerisch die Gelegenheit.

Vor allem ist zu erahnen, dass Bela, Eloise, Lucia und Mila noch neu sind in dieser Welt des Schlagzeugstöckeschmeißens und Feuerwerkens. Genau das macht ihr Konzert so großartig. Schon, wie sie in ihren wasserballbunten Kleidern auf die Bühne hüpfen, ein dickes Grinsen über beide Wangen, als hätte es zum Geburtstag ein neues Fahrrad gegeben: Da merkt man, dass dieser Moment für The Linda Lindas keine Routine ist, sondern etwas ganz Besonderes.

The Linda Lindas sind vielleicht erst bei 500 oder 1000 Stunden. Macht nichts: Tourmanager helfen, die Mikroständer richtig einzustellen, und als Gitarristin Lucia kurz Probleme mit dem Kopfhörer hat, eilt ein Betreuer zur Hilfe. Man liest ihm ein „Are you okay?“ von den Lippen. Ist sie.

Ich muss daran denken, dass ich zwischen 11 und 17 auch mal in einer Band war. Ich war nie so gut wie The Linda Lindas, und für 10 000 Übungsstunden fehlte mir die Geduld. Diese Band zu sehen, das lässt ein Gefühl wieder aufleben: Wie schön Rockmusik ist, wenn sie noch kein durchperfektioniertes Produkt ist, sondern vor allem ein jugendlich ungestümer Drang.

Wie schön Rockmusik ist, wenn sie noch kein durchperfektioniertes Produkt ist, sondern vor allem ein ungestümer Drang.

RZ-Reporter Finn Holitzka

Sichtlich entzückt und ein kleines bisschen überfordert sind die vier, die alle im Wechsel singen, wenn zwischen den Songs lautstarke Sprechchöre zu ihren Gunsten angestimmt werden. Hoffentlich dauert es noch ein bisschen, bis sie sich daran gewöhnen.

Niels Stern: Die kleinen Momente sind genau so wichtig wie die großen

Circa 23.15 Uhr auf dem Pressebalkon mit Blick auf die Utopia Stage: Der Headliner am Freitag, Green Day, steht auf der Bühne. Es scheint, als wären an diesem Abend alle 90 000 Besucher des größten deutschen Festivals hier in diesem Moment anwesend. Als Leadsinger Billie Joe Armstrong, nachdem er zuvor einen überaus enthusiastischen Fan auf die Bühne geholt hat, die Zuschauer dazu auffordert, die Taschenlampe an ihren Handys einzuschalten, ist endgültig für Gänsehaut gesorgt: Inmitten des nur durch die Neonlichter der Shops und Stände beleuchteten Festivalgeländes, erscheint nach und nach ein Lichtermeer. Tausende Festivalbesucher recken ihren Arm in die Höhe, die Lampen erscheinen wie Tausende Glühwürmchen am Nachthimmel – Wahnsinn.

Niels Stern hat den Mythos Ring das erste Mal erlebt. Die kleinen Momente fand er genau so wichtig wie die großen.
Niels Stern hat den Mythos Ring das erste Mal erlebt. Die kleinen Momente fand er genau so wichtig wie die großen.
Foto: Finn Holitzka

Für mich waren jedoch weniger die Auftritte der Bands das Besondere, als vielmehr das spezielle Setting des Festivals. Bisher kannte ich Rock am Ring nur vom Hörensagen, habe selten Bilder gesehen, Videos der Auftritte schon gar nicht und war deshalb unvoreingenommen und grün hinter den Ohren in die Eifel gereist. Über die Rennstrecke zu wandern, die Tribünen und die Boxengasse zu sehen: Das bekommt man nicht alle Tage geboten. Dazu noch der schöne Weitblick in die grünen Berge der Eifeler Landschaft – herrlich.

Die kleinen Festivalmomente durften natürlich auch nicht fehlen und waren eine erheiternde Ergänzung. Seien es grölende, in Rockerkluft gekleidete Männer, voller Elan „Eyyy, Rhein-Zeitung!“ schreiende Mittzwanziger, die teilweise wirren Gespräche mit Besuchern auf dem Gelände oder einfach nur die obligatorischen Bierleichen, die schon ab dem Nachmittag das Festivalgelände säumen.

Tausende Festivalbesucher recken ihren Arm in die Höhe, die Lampen erscheinen wie Tausende Glühwürmchen am Nachthimmel – Wahnsinn.

RZ-Reporter Niels Stern

Wie eine Reise in ein anderes Land fühlt sich der Pressebereich dabei an. Denn einmal akklimatisiert im Media Center, ist die Welt dort draußen eine, die man mit anderen Augen wahrnimmt. Eine, die laut ist, die puren Hedonismus ausstrahlt und von Exzessen nur so strotzt, während man selbst am Schreibtisch sitzt und arbeitet. Ab und an begibt man sich in diese Welt, schaut sie sich an, partizipiert, wo man möchte und bleibt dennoch in der Rolle des teilnehmenden Beobachters gefangen – freiwillig wohlgemerkt.

Annika Wilhelm: Highlight war das Treffen mit You Me at Six-Frontmann Josh Franceschi

Freitagnachmittag, die Donots haben gerade ihren Auftritt beendet. Gleich würde es so weit sein, You Me at Six spielen auf der Utopia Stage. Auf die britische Band bin ich schon vor Jahren durch eine Freundin aufmerksam geworden, die ein Riesenfan ist – und mich ein wenig damit angesteckt hat. Durch ein Gespräch mit Standbetreibern auf dem Festivalgelände verpasse ich dann allerdings die ersten zehn Minuten des Auftritts. Das wäre schon okay, denke ich, schließlich ist der Auftritt für insgesamt 40 Minuten angesetzt. Doch dann spielt die Band nur noch für zehn weitere Minuten. Zu dem Zeitpunkt ist noch nicht klar, weshalb. Schade.

Annika Wilhelm hat bei Rock am Ring den You Me At Six-Frontmann Josh Franceschi getroffen, ein Highlight.
Annika Wilhelm hat bei Rock am Ring den You Me At Six-Frontmann Josh Franceschi getroffen, ein Highlight.
Foto: Niels Stern

17.30 Uhr: Eigentlich machen wir uns gerade auf den Weg nach unten vor die Hauptbühne. Måneskin spielt als Nächstes – die Band, auf die ich mich (und viele andere wohl auch) an dem Rock-am-Ring-Wochenende am meisten freue. Hier will ich auf keinen Fall den Anfang verpassen. Also Beeilung.

Auf dem Weg vom Rhein-Zeitungs-Tisch zum Ausgang steht dort aber plötzlich ein bekanntes Gesicht: Josh Franceschi, der Frontmann von You Me at Six, mitten im Media Center. Und kein anderer Journalist ist da, um mit ihm zu sprechen. Ein kurzer Moment des Zögerns, doch dann ergreife ich meine Chance und spreche ihn an.

Ein Foto später kommen wir ins Gespräch: Ich beichte ihm, dass ich die Hälfte seines Auftritts verpasst habe, woraufhin er lachend entgegnet: „Naja, ich habe selbst die Hälfte meines Auftritts verpasst.“ So gesehen war das aber nicht einmal seine Schuld: Es gab ein Problem mit dem Strom, sodass You Me at Six nur 20 statt 40 Minuten spielen konnten.

Ein kurzer Moment des Zögerns, doch dann ergreife ich meine Chance.

RZ-Reporterin Annika Wilhelm

Das war zwar schade – sowohl für die Fans als auch für die Band -, aber Josh Franceschi macht dennoch einen glücklichen Eindruck: Er freut sich, dass er überhaupt die Chance hatte, bei Rock am Ring zu spielen – und dann auch noch auf der Hauptbühne. Auch wenn sie immer wieder einen unnahbaren Eindruck erwecken, weil sie eben berühmt sind und man sie sonst nur von Fernsehen, Radio und Co. kennt: Stars sind eben auch nur ganz normale Menschen wie Du und ich.