Nürburgring

Der große RZ-Rückblick auf Rock am Ring 2022: Viel Headbangen und etwas Kopfschütteln

Von Finn Holitzka
Sein erstes Mal Rock am Ring war ein voller Erfolg: Damiano David, Sänger der italienischen Rockband Måneskin.
Sein erstes Mal Rock am Ring war ein voller Erfolg: Damiano David, Sänger der italienischen Rockband Måneskin. Foto: dpa/Thomas Frey

Green Day, Måneskin, ein Überraschungsauftritt von Campino: Atmosphärisch glückt das Comeback bei Rock am Ring nach drei Jahren – Doch die Fans bemerken auch einige Ruckler. Unser Rückblick auf drei Tage Nürburgring.

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Jedem recht machen kann man's eh nicht. Rapper RIN aus Bietigheim-Bissingen entschuldigt sich am Samstagmittag schon mal vorsorglich bei den eingefleischten Kuttenträgern, die hier „sicher etwas anderes erwartet haben“ als seinen Sprechgesang aus dem Computersäuselbaukasten.

„Rock am Ring war eben immer schon ein Mainstreamfestival, das darf man nicht vergessen“, hat Matt Schwarz schon im Vorfeld gesagt. Und Mainstream ist gerade Hip-Hop. Schwarz' Laden, die Konzertagentur Dreamhaus, veranstaltet zum ersten Mal Rock am Ring, nachdem die Lieberberg-Ära und die Corona-Stille vorbei sind. Wenn der Geschäftsführer es nicht ohnehin schon wusste, wird Schwarz es jetzt bemerkt haben: Zu den wichtigsten Tanzmoves gehört hier der Spagat.

Die Hauptbühne heißt jetzt Utopia Stage. Der neue Veranstalter von Rock am Ring will in den Folgejahren das Festival nachhaltiger und diverser machen. Schon 2023 soll sich das zeigen.
Die Hauptbühne heißt jetzt Utopia Stage. Der neue Veranstalter von Rock am Ring will in den Folgejahren das Festival nachhaltiger und diverser machen. Schon 2023 soll sich das zeigen.
Foto: dpa/Thomas Frey

Als Veranstalter von Rock am Ring muss man den Spagat beherrschen, so unterschiedlich sind die Ansprüche

Als Veranstalter muss man ihn am Ring können: den Spagat zwischen den Interessen der Rocktraditionalisten und den Bedürfnissen der jungen, rapaffinen Zielgruppe etwa. Oder den Spagat zwischen der enormen Erwartungshaltung an ein saftig teures Festival (die meisten Besucher zahlen ab 200 Euro aufwärts) und den organisatorischen Fährnissen, die so ein Megaevent reichlich bereithält.

Klar ist: Man kann es nicht jedem recht machen. Und es kann nicht alles klappen, schon gar nicht beim Rekordzulauf von 90 000 Gästen und der heiklen Personallage nach zwei Pandemiejahren: Geschulte Techniker und Toningenieure zu bekommen, ist gar nicht mehr so leicht.

Als die Donots mit 20-minütiger Verspätung das Programm eröffnen, wollen anscheinend so gut wie alle Festivalbesucher direkt mit dabei sein

Gemessen daran muss man festhalten: Das Comeback von Rock am Ring ist geglückt. Als am Freitagmittag gegen 14.20 Uhr die Punkband Donots aus Ibbenbüren das Konzertprogramm eröffnet, ist es vor der Hauptbühne so voll wie normalerweise erst in den späten Abendstunden bei den internationalen Hochkarätern. Es scheint, als wollte keiner der 90 000 den Moment verpassen, wenn das Festivaltum in Deutschland aus der Versenkung zurückkehrt.

Selbst wer in Sachen Pandemieende eher mit Lauterbach-Vorsicht unterwegs ist, wird sich die Freude über die tanzende Masse kaum verkneifen können. Als Überraschungsgast kommt dann auch noch Campino von den Toten Hosen auf die Bühne, gemeinsam mit den Donots singt er den Ärzte-Klassiker „Schrei nach Liebe“ – Rockfanglückseligkeit.

Gelegenheit zum Headbangen gab es bei Rock am Ring reichlich. Dass man danach nicht immer duschen konnte, missfiel einigen Fans jedoch. Als Grund wurden Spätfolgen der Ahrtal-Flut genannt.
Gelegenheit zum Headbangen gab es bei Rock am Ring reichlich. Dass man danach nicht immer duschen konnte, missfiel einigen Fans jedoch. Als Grund wurden Spätfolgen der Ahrtal-Flut genannt.
Foto: dpa/Thomas Frey

Kritik von den Fans gibt es zur Hygienesituation, der Beleuchtung und dem Einlassprozedere – trotzdem sind die meisten glücklick über das Comeback

Doch eine der bekanntesten Zeilen der hier eröffnenden Donots ist eben auch „All I want is everything, is that too much to ask“ – „Ich will alles, ist das etwa zu viel verlangt?“. Vielleicht muss man auch diese Frage mit Ja beantworten.

Neben beseeltem Headbangen ist an diesem Wochenende durchaus auch immer wieder Kopfschütteln zu bemerken. Dreamhaus hat sich viel vorgenommen, will das alteingesessene Festival nachhaltiger und diverser machen. Es gibt jetzt ein Pfandsystem auf Pommesschalen, bezahlen kann man nur noch bargeldlos mit dem zuvor aufgeladenen Festivalbändchen. Gute Ideen – die nicht alle glücklich machen. Durch das Bezahlen mit Chipkarte gehe etwa jede Menge potenzielles Trinkgeld verloren, hört man auf der sogenannten Fressmeile.

Die Ahrtal-Flut sorgt laut Rock am Ring dafür, dass die Wasserversorgung beim Duschen reguliert werden muss

Daneben kommen Festivalbesucher gegenüber der Rhein-Zeitung immer wieder auf ähnliche Kritikpunkte zu sprechen: Toilettenmangel und nicht oder nur teilweise funktionierende Duschen etwa. Offiziell wurden die Duschen lediglich in den Nächten von Freitag auf Samstag und zum Sonntag abgestellt. Rock am Ring teilt dazu mit, dass durch die Ahrtal-Flut im vergangenen Jahr „unabdingliche Elemente der Infrastruktur zerstört“ seien und die Wasserversorgung „zeitweise reguliert“ werde. Vor Festivalbeginn angekündigt war dies nicht.

Auch von langen Wartezeiten am Einlass und unzureichender Beleuchtung an den Wegen ist die Rede. „Man meint, die würden das hier zum ersten Mal machen“, sagt Festivalstammgast Markus Ostermann aus Walsrode. Was ja tatsächlich zum Teil der Wahrheit entspricht.

Von Berührungsängsten kann bei Rock am Ring 2022 keine Rede sein. Bis zuletzt blieb die medizinische Lage laut Einsatzkräften aber unaufgeregt, Corona-Verdachtsfälle habe es keine gegeben.
Von Berührungsängsten kann bei Rock am Ring 2022 keine Rede sein. Bis zuletzt blieb die medizinische Lage laut Einsatzkräften aber unaufgeregt, Corona-Verdachtsfälle habe es keine gegeben.
Foto: dpa/Thomas Frey

Die meisten Konzerte klappen problemlos, doch ausgerechnet bei Green Day und Placebo gibt es Irritationen

Während die allermeisten Konzerte indes reibungslos über die Bühne gehen, gibt es ausgerechnet an einigen empfindlichen Stellen erkennbare Probleme. Während Freitags-Headliner Green Day spielt, fallen Boxen im hinteren Zuschauerbereich minutenlang aus, Rock am Ring bestätigt auf Anfrage einen „technischen Defekt“. Am selben Tag muss die Band You Me at Six ihren eigentlich für 45 Minuten angesetzten Auftritt auf 20 Minuten zusammenkürzen, offenbar ebenfalls wegen Stromproblemen („power issues“), wie Frontmann Josh Franceschi gegenüber der Rhein-Zeitung sagt.

Für Irritationen sorgt auch der Blick auf die Bühne am Samstag, als Placebo spielen – eine der renommiertesten Alternativebands im Programm. Während normalerweise ein Steg von der Hauptbühne ins Publikum ragt, fehlt während der Placebo-Show ein meterlanges Mittelstück des Steges – am Fußende warnen große rote Klebebuchstaben vor dem Betreten, was man von der Pressetribüne aus gut erkennen kann. Panne oder geplanter Umbau mitten während eines Konzerts? Placebo nutzten bei ihren Bühnenshows ohnehin nie einen Steg, heißt es vonseiten des Festivals auf RZ-Anfrage.

Auch für das RZ-Resümee zu Rock am Ring 2022 ist ein Spagat nötig – Luft nach oben gibt es, doch die Stimmung war top

Umso ausgelassener ist die Stimmung bei weiteren Highlights des Festivals, etwa dem pogowütigen Konzert von Shinedown oder der ausgelassenen Show der italienischen ESC-Sieger Måneskin – mit einer der wenigen Musikerinnen auf der Bühne. Davon soll es nächstes Jahr „definitiv“ mehr geben, sagt Dreamhaus-Geschäftsführer Matt Schwarz Dreamhaus.

Und so verlangt auch das Resümee von Rock am Ring 2022 nach einem Spagat: Fantastisch ist es, dass dieses Festival endlich wieder Zehntausende euphorisieren darf. Und dennoch notwendig, dass man sich immer weiter zu verbessern versucht, selbst wenn man es nicht jedem recht machen kann. Die angesprochene Hauptbühne hat man immerhin schon mal in Utopia Stage getauft.