Aktenzeichen K7-188/0 ungelöst: Beatrix Hemmerle fiel 1989 einem brutalen Verbrechen zum Opfer - Lebt der Täter noch unter uns?
Brutales Verbrechen in Trier: Wer hat Beatrix Hemmerle ermordet?
Im August 1989 wurde die 32-jährige Beatrix Hemmerle in ihrer Trierer Wohnung ermordet.
Mordkommission Trier

In der Nacht des 11. August 1989 wird Beatrix Hemmerle brutal in ihrer Trierer Wohnung ermordet. Die gebürtige Bingenerin verblutet vor den Augen ihres zwölfjährigen Sohnes. Auf der Flucht wirft der Täter seine blutverschmierte Jacke weg. Es ist die wichtigste Spur zum Täter, der immer noch auf freiem Fuß ist. Oder tot.

Im August 1989 wurde die 32-jährige Beatrix Hemmerle in ihrer Trierer Wohnung ermordet.
Mordkommission Trier

Der zerbeulte Pappkarton in der Mordkommission Trier trägt das Aktenzeichen K7-188/0. Vorsichtig zieht Christian Soulier einen roten Bademantel heraus, der in einer Plastikhülle steckt, um keine Spuren zu verwischen. Beatrix Hemmerle hat ihn im Sommer 1989 zum letzten Mal getragen. Vor ihrem grausamen Tod. Der Erste Kriminalhauptkommissar fischt noch ein grünes Stoffstück aus dem Karton heraus, das ebenfalls seit mehr als drei Jahrzehnten in einer Asservatenkammer der Polizei schlummert. Ihr Handtuch. Und eine rätselhafte Metallstange, die mal Teil eines Rollladens gewesen ist. Es sind Beweismittel in einem der brutalsten Verbrechen, das je im Land begangen worden ist. Der Mord an einer jungen Frau, der bis heute ungesühnt ist. Der Fall Hemmerle. Der Täter lebt wohl immer noch mitten unter uns. Aber wo?

Seine blutverschmierte Jacke wirft er auf seiner Flucht weg. Es ist die wichtigste Spur zum Täter, der immer noch auf freiem Fuß ist. Oder tot.
Mordkommission Trier

Die heißeste Spur ist eine blutverschmierte Lederjacke. „Sie ist zu 100 Prozent dem Mörder zuzuordnen“, sagt Soulier. Größe 48–50. Schmal geschnitten. „Nach einem Zweimetermann mit 120 Kilo müssen wir also eher nicht suchen“, sagt der Trierer Kripobeamte. Eher nach einem Hänfling mit enormer krimineller Energie. Der Täter hat die Jacke kurz nach dem Mord auf einem Parkplatz entsorgt. Mittlerweile ist sie zerfleddert. „Sie hat eine wahre Odyssee hinter sich“, sagt Soulier. Sogar die legendären Kriminaltechniker von Scotland Yard in London haben sie schon untersucht. Am Ende hat allerdings das Landeskriminalamt Hessen den entscheidenden Hinweis geliefert. Ihnen ist es nach 30 Jahren endlich gelungen, die Täter-DNA zu isolieren. Volltreffer.

„Die haben eine Hautschuppe gefunden, die Sie mit bloßen Auge gar nicht sehen können“, erklärt Soulier das komplexe Verfahren. Das Kleidungsstück musste dazu aufwendig mit einem Mikroskop abgesucht werden. Jetzt haben sie also die DNA. „Aber nicht den Täter“, ärgert sich Soulier. Die Euphorie ist wieder etwas verflogen. Aber die Ermittler geben nicht auf. Und immerhin wissen sie jetzt mit Sicherheit, dass es ein Mann war.

In der Nacht des 11. August 1989 wird die 32-jährige Beatrix Hemmerle brutal in ihrer Trierer Wohnung ermordet.
Jens Weber

Rückblick: Der Erste, der 1989 ins Fadenkreuz der Ermittler gerät, ist der Freund von Beatrix Hemmerle. „Der Mann war in der Tatnacht bis 2 Uhr bei ihr“, sagt Soulier. Es ist der 11. August 1989. Eine laue Sommernacht. „Die beiden haben sich gestritten und dann wieder versöhnt“, weiß Soulier aus den alten Vernehmungen. Eine Trennung steht im Raum.

Ein Mordmotiv? Sicher ist, dass Beatrix Hemmerle nur wenig später tot ist. Kurz nach 3 Uhr verblutet sie qualvoll im Flur ihrer Wohnung. „Der Freund wurde natürlich intensiv befragt“, weiß Soulier aus den Akten. Aber er kann es nicht gewesen sein. „Für die Tatzeit hatte er ein Alibi“, sagt Soulier. Als Verdächtiger scheidet er also frühzeitig aus. Doch er bleibt ein wichtiger Zeuge. Sie haben ihn auch jetzt wieder vorgeladen.

Aus meiner Sicht haben wir es mit einem der brutalsten Morde zu tun, die hier in Trier passiert sind.

Der Leiter der Trierer Mordkommission, Christian Soulier, zum Fall Hemmerle

Was geschah also in der Mordnacht, nachdem der Freund die Wohnung verlassen hat? Akribisch hat die Trierer Mordkommission Puzzleteil für Puzzleteil zusammengetragen, um das Verbrechen zu rekonstruieren. Die Kripobeamten führen uns an den Tatort. Ein Hochhaus im Trierer Stadtviertel „Am Weidengraben“. Ob die Nachmieter wissen, welches Drama sich in ihren vier Wänden vor 33 Jahren abgespielt hat?

Beatrix Hemmerle wohnt im Parterre. Ihr Wohnzimmer kann von der Straße aus eingesehen werden. Das könnte in dem Fall von großer Bedeutung sein. „Sie schlief oft nackt“, sagt Soulier. Das haben die Ermittlungen der Kripo ergeben. Auch in der lauen Sommernacht des 11. August 1989. Wird der jungen Frau diese Freizügigkeit zum Verhängnis? Lauert der Täter der damals 32-Jährigen hinter einem Gebüsch auf, bis ihr Freund verschwunden ist? Oder versteckt er sich zu diesem Zeitpunkt sogar schon vor der Balkontür? Eine schaurige Vorstellung. Aber durchaus möglich.

Der Mörder ist über den Balkon in Hemmerles Wohnung eingedrungen.
Mordkommission Trier

„Zeugen haben von einem Spanner berichtet, der Wochen vor der Tat auf dem Balkon beobachtet worden ist“, sagt Soulier. Ist er der Mörder? Das bleibt Spekulation. Denn der Mann kann bis heute nicht identifiziert werden. Sicher ist, dass der Täter über den Balkon in die Wohnung eindringt. Für einen halbwegs sportlichen Mann dürfte das kein großes Problem gewesen sein. Das Geländer ist nur rund 1,50 Meter hoch.

Und: „Beatrix Hemmerle hatte die Balkontür offengelassen“, sagt Soulier. Angst hat die junge Frau offenbar nicht. Als sie einschläft, ahnt sie nicht, dass sie nur noch wenige Minuten zu leben hat. Ihr Mörder hebt den Rollladen an der Metallstange hoch, die bis heute im Pappkarton mit dem Aktenzeichen K7-188/0 aufbewahrt wird. Und der Täter führt eine Waffe mit sich. „Ein Rambomesser, wie man in den 80er-Jahren sagte“, erklärt Soulier. Mit langer, scharfer Klinge.

Christian Soulier leitet die Trierer Mordkommission
Jens Weber

Was dann passiert, lässt sich nur bruchstückhaft nachvollziehen. Beatrix Hemmerle wird wohl im Schlaf überrascht. „Wir gehen von einem versuchten Sexualdelikt aus“, vermutet Soulier. Aber die 32-Jährige wehrt sich. Auf ihrem Bett kommt es zu einem Kampf um Leben und Tod, bei dem Beatrix Hemmerle keine Chance hat. Der Mörder fügt ihr mit einem Messer an der Kehle so schwere Verletzungen zu, dass die Halsschlagader durchtrennt wird. Die Bilder der Toten erschüttern auch erfahrene Mordermittler. „Aus meiner Sicht haben wir es mit einem der brutalsten Morde zu tun, die hier in Trier und im Land je passiert sind“, sagt Soulier.

Sohn wird Zeuge

Hinzu kommt: Der damals zwölfjährige Sohn des Opfers wird Zeuge der bestialischen Tat. Er wacht wohl auf, als er die Schreie seiner Mutter hört. Das Kind findet sie blutüberströmt im Flur, wohin sich die 32-Jährige noch mit letzter Kraft geschleppt hat. Ein Trauma, das ihn nie mehr loslassen wird. Der Mörder greift nach einem T-Shirt des Zwölfjährigen auf der Wäscheleine. „Wahrscheinlich wollte er damit seine blutigen Hände abwischen“, erklärt Soulier. Spuren hinterlässt der Mann auch auf dem Balkongeländer, von dem er sich auf die Wiese herabschwingt.

Danach flieht er rund 200 Meter weit zu einem Parkplatz an der Kohlenstraße, der gegenüber des Trierer Universitätsgeländes liegt. „Hier haben meine Kollegen seine Lederjacke und das T-Shirt in einem Gebüsch gefunden“, erklärt Soulier. Fährt der Mörder mit dem Auto weg? Oder flüchtet er weiter zu Fuß? Wir wissen es nicht.

Danach verliert sich seine Spur im Dunkel der Geschichte. Der Fall Hemmerle entwickelt sich zur Suche nach der sprichwörtlichen Nadel im Heuhaufen. Denn der Bekanntenkreis des Mordopfers, das ursprünglich aus Bingen kommt, ist groß. Und DNA-Technik steht 1989 noch nicht zur Verfügung. Irgendwann werden die Ermittlungen eingestellt. Cold Case. Souliers Vorgänger ist längst im Ruhestand.

Unser Redakteur Dirk Eberz hat sich auf die Spur eines Mordes begeben, die bis 1989 zurückreicht: Der Fall Hemmerle war eines der brutalsten Verbrechen im Land.

RZ

Aber Mord verjährt bekanntlich nicht. 2017 wird der Fall dank neuer DNA-Technik neu aufgerollt. Seither leitet Kriminalhauptkommissar Sebastian Dahm den Cold Case, der so alt ist wie er selbst. 33 Jahre nach dem Mord sucht der 33-Jährige nun den Mörder. „Eine Sisyphusarbeit“, sagt er. Dahm führt uns in den Nachbarraum und öffnet einen Schrank voll mit Leitzordnern. Einen greift er raus. Dutzende Zeugenaussagen, die die Kollegen ab 1989 zusammengetragen haben. „Mit Schreibmaschine geschrieben“, sagt er. Für den jungen Polizisten ist das ein Relikt aus einer fremden Welt. Fast schon Zeitgeschichte. Eineinhalb Jahre hat es allein gedauert, um die wichtigsten Informationen in eine Datenbank einzugeben. Zeitweise sind zwölf Beamte mit dieser Kärrnerarbeit beschäftigt.

Dahms Chef zeigt auf den Schrank gegenüber. „Der ist auch voll mit Akten“, betont Soulier. Randvoll. Mehr als 450 Personen haben sie damals kurz vor und nach der Wende befragt. „Und für jeden ist eine Akte angelegt worden“, betont der Chef der Trierer Mordkommission. Jede einzelne haben sie dreimal durchgeackert. Seither sind noch jede Menge neue Dokumente dazugekommen. „Wir nähern uns den 800“, sagt Soulier. Einer von ihnen könnte es gewesen sein. „Bei vier, fünf Männern war ich mir ziemlich sicher: Das ist er“, sagt Soulier. Aber sie sind es nicht. Ihre DNA-Proben stimmen nicht mit der auf der Jacke überein. Zum Verzweifeln. „Manchmal fahre ich schon nach Hause und frage mich, ob wir nicht doch irgendwas übersehen haben“, sagt Soulier. „Das fuchst uns alle schon.“

Rund 200 Personen konnten mittlerweile als Täter ausgeschlossen werden.

Der Leiter der Trierer Mordkommission, Christian Soulier, zum Fall Hemmerle

Die alten Fotos vom Tatort haben sie im Besprechungsraum der Mordkommission aufgehängt. Die offene Balkontür und eine Luftaufnahme von Gebäude 76. Hunderte Zeugen haben ab 2017 wieder Post von der Polizei erhalten. „Rund 200 Personen konnten mittlerweile als Täter ausgeschlossen werden“, sagt Soulier. Die meisten haben DNA-Proben abgegeben, die nicht mit der des Täters übereinstimmen. „Neun haben sich geweigert“, sagt Sebastian Dahm. Teils aus nachvollziehbaren Gründen, wie er betont. Zwingen können sie ohnehin niemanden. „Viele sind auch schon tot“, erklärt der Kriminalhauptkommissar. „Dann versuchen wir es über ihre Kinder oder andere Verwandte.“ So haben sie den Kreis der Verdächtigen immer weiter einengen können. Einen Treffer haben sie aber noch nicht gelandet. Auch nicht mithilfe von „Aktenzeichen XY“. Nach der ZDF-Sendung 2020 sind zwar rund 20 Hinweise eingegangen. „Der ausschlaggebende war aber nicht dabei“, sagt Dahm.

Aber sie bleiben dran. Auch, weil sie sich den Verwandten des Opfers verpflichtet fühlen, die rund um Bingen leben. Das reißt natürlich alte Wunden wieder auf. Aber Christian Soulier weiß auch aus jahrzehntelanger Erfahrung: „Den Angehörigen ist es meist wichtiger, den Mörder zu finden als die Verurteilung selbst.“ Diesen Moment sehnt auch Sebastian Dahm herbei. „Der Moment wird sicherlich feuchtfröhlich werden.“

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