Von unserem Redakteur Stephan Brust
Über die Hintergründe äußerte er sich nach seiner Verurteilung im Exklusivgespräch gegenüber unserer Zeitung. Die Geschichte schlägt bundesweit Wellen. In 20 Fällen hat Jochen Grimm, ehemaliger Besitzer des Bestattungsinstituts Trapp in Bad Münster-Ebernburg, Urnen vertauscht oder falsch beigesetzt. Aus Zeitnot, wie er sagt. Dafür wurde er am Mittwoch vom Amtsgericht zu eineinhalb Jahren auf Bewährung verurteilt (wir berichteten). Doch was sich viele immer noch fragen: Wie kann man sich nur so vergaloppieren? Warum flog die Geschichte nicht früher auf? Und: Wie konnte er diese Fehlerkette mit seinem Gewissen vereinbaren? Zu diesen und anderen Fragen äußerte sich Grimm im Exklusivgespräch in unserer Redaktion.
„Es war absolut pietätlos“
Man sieht es ihm an. Die vergangenen Monate haben Spuren hinterlassen. Viele schlaflose Nächte, die totale Anspannung. Bis Mittwoch, als Richter Wolfram Obenauer das Urteil sprach. „Jetzt gibt es endlich einen Abschluss, und ich kann in die Zukunft blicken“, sagt Jochen Grimm. Ein erster Anflug von Erleichterung. Aber: „Was ich getan habe, war absolut pietätlos“, stellt er noch einmal unmissverständlich klar. „Und wenn ich durch die Stadt gehe, frage ich mich auch: Was denken die Leute von mir?“ Aber: „Nicht dafür geradezustehen, das wäre auch nicht meins gewesen“, betont Grimm.
Denn eigentlich sei es ja ein Leichtes gewesen, die Fälle weiter zu vertuschen. Das macht er vor allem an der Urne fest, die am Ende der Tauschkette als einzige noch im Krematorium in Landau lagerte. Neun Monate lang. Drei weitere standen bei ihm zu Hause. Das Krematorium rief ihn drei Mal an, im Juni, August und September 2011, um zu fragen, was denn nun mit der Urne passieren soll. Die Bestattungsgenehmigung hatte er, er hätte also nur hinfahren und die Urne abholen müssen. Und nichts wäre aufgefallen. Tat er aber nicht. Deshalb schickte das Krematorium die Urne auf dem Postweg an die VG-Verwaltung in Bad Münster-Ebernburg – und die komplette Geschichte flog auf. „Das zeigt, dass mehr Schusseligkeit als kriminelle Energie dahintersteckte“, ist sein begleitender Anwalt Thomas Scheffler überzeugt. Und Grimm ergänzt: „Ich bin bei der Aufarbeitung der Fälle selbst von höchstens zehn vertauschten Urnen ausgegangen, weil ich mir nie Aufzeichnungen gemacht habe.“
Strafmildernd war, dass er selbst an die Öffentlichkeit ging, die Ermittler unterstützte und so mit dafür sorgte, dass jetzt alle Urnen doch am richtigen Platz liegen – und er keine wirklich verschwinden ließ. Auch das wäre einfach gewesen, genauso wie sie später noch zurückzutauschen. Aber dann hätte er ins Grab eingreifen müssen. „Ich dachte, dann störe ich tatsächlich die Totenruhe“, erklärt der 41-Jährige. Also saß er es aus. In der Hoffnung, es irgendwann regeln zu können. Doch er schlitterte immer tiefer hinein, von einem Fall zum nächsten – und war verblüfft, dass nichts auffiel. Dass trotz der Kontrollinstanzen – vom Krematorium bis zur Verwaltung – keiner etwas merkte. Zumal er die Schamottsteine in den Urnen zurückließ.
Er sagt: Er kennt die Schwachpunkte des gesamten Systems. Und hat sie wohl auch in den dreieinhalb Jahren, in denen er Urnen in den Verbandsgemeinden Bad Münster-Ebernburg und Alsenz-Obermoschel mit der Asche anderer Verstorbener oder mit Kies und Sand befüllt unter die Erde brachte, ausgenutzt. „Die Menschen haben mir einfach blind vertraut.“
„Ich habe nie Nein gesagt“
Dieses Vertrauen hat er schändlich missbraucht. Weil er sich verrannte, die Sache ihm über den Kopf wuchs. „Mein größter Fehler war, dass ich als Bestatter viel zu emotional bei den einzelnen Fällen war“, sagt er rückblickend. 2000 übernahm er das Beerdigungsinstitut Trapp in Bad Münster-Ebernburg. Bis 2008 hatte er im Schnitt 100 Bestattungen pro Jahr. „Dann ist es plötzlich explodiert, auf 180 Beerdigungen“, erzählt er. Eigentlich zu viel für einen Betrieb, der neben ihm nur noch einen festen Mitarbeiter und einen Lehrling hatte. Doch Grimm nahm Auftrag um Auftrag an („Ich habe nie Nein gesagt“), kümmerte sich vor allem persönlich um alles, weil er aufgrund eigener Schicksalsschläge die Menschen in ihrer Trauer verstand. Mit 21 wurde bei ihm Krebs festgestellt, den er besiegte. Sein Vater starb an Krebs, sein Bruder und sein Cousin kamen bei Motorradunfällen ums Leben. „Ich konnte also mitfühlen“, meint er. Irgendwann wurde es ihm aber zu viel, er war schlichtweg überfordert.
„Es gibt keine Entschuldigung“
Damit will er seine Taten nicht rechtfertigen. „Dafür gibt es keine Entschuldigung.“ Er ist aber froh, dass sich das Kapitel Bestatter erledigt hat. „Auch wenn ich meinen Job immer gern gemacht habe.“ Mit der Veröffentlichung seiner Taten löste er im Mai 2012 sein Unternehmen auf. Jetzt will er ein neues Kapitel beginnen. In Alsenz hatte der gelernte Tischler bereits parallel zum Bestattungsinstitut die Schreinerei seiner Eltern in fünfter Generation übernommen. Darauf konzentriert er sich heute.
Vor einem Jahr gab es sogar Gerüchte, der Familienvater, der einen vierjährigen Sohn hat, habe sich vom Rotenfels gestürzt. „Das war kurz nachdem ich an die Öffentlichkeit gegangen war. Da kreisten Hubschrauber über dem Rotenfels. Plötzlich hieß es überall: Ich hätte mich runtergestürzt.“ Mit solchen Gedanken habe er sich nie getragen, trotz des öffentlichen Drucks. Doch Letzterer setzte ihm schon gehörig zu. Deshalb will er jetzt in erster Linie eines: „Endlich wieder zur Ruhe kommen.“