In Rheinland-Pfalz steht eine parlamentarische Aufarbeitung der staatlichen Maßnahmen und Einschränkungen während der Corona-Pandemie auf der Tagesordnung. Doch eine Enquete-Kommission des Landtags zu den Vorgängen einzusetzen, wird sowohl von den Ampel-Fraktionen als auch vom überwiegenden Teil der Opposition abgelehnt, wie eine Umfrage der Deutschen Presse-Agentur in Mainz ergab. Nur der fraktionslose Landtagsabgeordnete Andreas Hartenfels (Bündnis Sahra Wagenknecht) sowie die AfD-Fraktion drängen auf eine solche überfraktionelle Arbeitsgruppe, die aus Abgeordneten sowie Sachverständigen aus Wissenschaft und Praxis besteht.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hatte jüngst in konkreten Bereichen der Pandemie-Politik Aufklärung zugesagt. Auch Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) spricht sich für eine Aufarbeitung der Corona-Politik der Pandemiejahre aus, ferner gibt es Forderungen für eine Enquete-Kommission im Deutschen Bundestag. Für ihre Einsetzung muss ein Viertel der Mitglieder des Bundestages stimmen. Ein solches Gremium kann umfangreiche Empfehlungen für die Gesetzgebung zu wichtigen gesellschaftlichen Themen vorbereiten oder – im Falle von Corona – Empfehlungen für den Umgang mit künftigen Pandemien.
Das Haus des rheinland-pfälzischen Wissenschafts- und Gesundheitsministers Clemens Hoch (SPD) will sich zum Einsetzen einer Enquete-Kommission für die Pandemie-Politik-Aufklärung im Land nicht äußern und verweist darauf, dass das eine Entscheidung des Landtags sei. Im Parlament von Rheinland-Pfalz war im Jahr 2020 bereits eine Enquete-Kommission mit dem Titel „Vorsorge- und Bekämpfungsmaßnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus in Rheinland-Pfalz und Konsequenzen für die Pandemie-Politik“ eingesetzt worden. Sie hatte sich mit den Entwicklungen des Coronavirus Sars-CoV-2 in Rheinland-Pfalz und den möglichen Konsequenzen beschäftigt.
Ampelfraktionen sehen keine Notwendigkeit für Enquete-Kommission auf Landesebene
Da es in Rheinland-Pfalz schon zu Beginn der Pandemie eine Enquete-Kommission gab, sieht die Grünen-Fraktion keine weitere Notwendigkeit für noch eine Kommission, wie der Gesundheitsexperte der Fraktion, Josef Winkler, der dpa sagt. Allenfalls wäre eine Enquete-Kommission auf Bundesebene sinnvoll, da die maßgeblichen Rechtsgrundlagen etwa zum Infektionsschutzgesetz und den Impfempfehlungen im Bund verabschiedet wurden. Aus der Opposition sei bereits angekündigt worden, eine Evaluierung der Maßnahmen auf Landesebene im Rahmen einer ausführlichen Anhörung im Gesundheitsausschuss vorzuschlagen. „Dazu sind nun die demokratischen Fraktionen im Gespräch“, sagt der Grünen-Politiker.
Ähnlich äußert sich auch der gesundheitspolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Steven Wink: Für eine erneute Enquete-Kommission auf Landesebene sehen die Liberalen, eine der Regierungsfraktionen, derzeit keinen Bedarf. Das Infektionsschutzgesetz sei Bundesrecht. Zudem habe der Bund zahlreiche und sehr umfangreiche Daten der Pandemiejahre aus allen 16 Bundesländern vorliegen. Eine Enquete-Kommission des Bundestages wäre daher zweckmäßiger, so Wink.
„Aus Sicht der SPD-Fraktion bedarf es in Rheinland-Pfalz keiner weiteren Enquete-Kommission zur Evaluierung der Corona-Krise – unter anderem, da es eine solche ja bereits während der Pandemie gab“, erklärt auch ein Sprecher der SPD-Fraktion. „Eine Erkenntnis im umfangreichen Abschlussbericht: Die Maßnahmen der Landesregierung waren erforderlich, notwendig und zielgerichtet.“ Dazu gebe es verschiedene kontinuierliche Formen der notwendigen Aufarbeitung auf mehreren Ebenen. Das Gesundheitsministerium habe etwa während der Pandemie einen Ethik-Beirat eingerichtet und die Landesregierung Maßnahmen und Strukturen permanent überprüft und ihre Schlüsse daraus gezogen.
CDU: Mehrtägige Anhörung im Gesundheitsausschuss möglich
„Mit etwas zeitlichem Abstand zur Pandemie können wir uns eine erneute parlamentarische Befassung mit dem Thema sehr gut vorstellen“, erklärt der Gesundheitsexperte der CDU-Fraktion, Christoph Gensch. Eine mehrtägige, umfangreiche Anhörung im Gesundheitsausschuss des Landtags könnte dazu eine geeignete Möglichkeit sein. Die Folgen der Pandemie erstreckten sich auf viele Bereiche des Lebens sowie der Gesellschaft und hielten bis heute an. „Diesen gesamten Zeitraum, über das unmittelbare Pandemie-Geschehen hinaus, müssen wir betrachten, um zu einer ganzheitlichen Bewertung zu kommen.“
Mit etwas zeitlichem Abstand zur Pandemie können wir uns eine erneute parlamentarische Befassung mit dem Thema sehr gut vorstellen.
Christoph Gensch, Gesundheitsexperte der CDU-Fraktion
Der gesundheitspolitische Sprecher der Fraktion der Freien Wähler (FW) im Landtag, Helge Schwab, verweist auf das Vorgehen im benachbarten Saarland. Dort sei keine Enquete-Kommission eingerichtet worden, dafür aber nach Ende der Pandemie im vergangenen September eine zweitägige Expertenanhörung im Gesundheitsausschuss durchgeführt worden. Dieses Vorgehen wäre auch für Rheinland-Pfalz sinnvoll. Die Nachbetrachtung müsste jedoch nicht nur die gesundheitlichen Aspekte beleuchten, sondern auch die rechtlichen Konsequenzen. Die FW-Fraktion macht die Aufarbeitung der Pandemie außerdem in einer Aktuellen Debatte des Plenums in der nächsten Woche zum Thema.
Hartenfels verlangt Kommission – für Aussöhnung und Überwindung der Spaltung
Zu einer ganz anderen Bewertung und Forderung kommt der fraktionslose Landtagsabgeordnete Andreas Hartenfels (Bündnis Sahra Wagenknecht, BSW). Der Pfälzer Parlamentarier ruft in einem Brief an die Fraktionsvorsitzenden des Landtags, der unserer Zeitung vorliegt, dazu auf, eine Enquete-Kommission zur Aufbereitung der Pandemie einzusetzen.
In dem Brief schreibt Hartenfels, dass noch nie seit der Gründung der Bundesrepublik „so massiv“ in den privaten wie öffentlichen Alltag der Menschen und ihrer Grundrechte eingegriffen worden sei. Noch nie habe man „insbesondere die ältere Generation in den Heimen so entmündigt und in die Einsamkeit geschickt wie durch die Maßnahmen und Vorgaben des sogenannten Infektionsschutzgesetzes“, erklärt der BSW-Politiker.
Um diese Fragen zu klären, brauche es eine strukturierte und umfassende Beschäftigung mittels einer Enquete-Kommission auf Landesebene. Nur so könne eine Aussöhnung und „mittelfristige Überwindung der vollzogenen Spaltung“ beginnen, ist Hartenfels überzeugt.
Hartenfels sitzt seit 2011 im Mainzer Landtag. Im Oktober 2022 hatte er seinen Austritt sowohl aus der Grünen-Fraktion als auch aus der Partei erklärt und dies unter anderem mit der Außen- und Friedenspolitik der Bundespartei begründet. Der Pfälzer war während der Pandemie mit seiner Haltung zur Corona-Politik aufgefallen. Er hielt die Schutzmaßnahmen für falsch, war gegen eine Impfpflicht und ließ sich nach eigenen Angaben bis heute nicht impfen.
AfD für Enquete-Kommission
AfD-Fraktionschef Jan Bollinger betont, dass aus Sicht der Oppositionsfraktion eine Enquete-Kommission das richtige Instrument für eine offene und ehrliche Aufarbeitung der staatlichen Corona-Maßnahmen wäre. Bereits im vergangenen September habe seine Fraktion einen entsprechenden Antrag in den rheinland-pfälzischen Landtag eingebracht. Einer Aufarbeitung durch eine wie auch immer geartete Experten-Kommission stehe die AfD dagegen kritisch gegenüber. In der Pandemie sei die Arbeit vergleichbarer Gremien teilweise intransparent gewesen. Deshalb seien derartige Gremien ungeeignet für eine offene und ehrliche Aufarbeitung.