Wie halte ich es mit dem Internet?

Wie halte ich es mit dem Internet?
Wie halte ich es mit dem Internet? Foto: Svenja Wolf

Der Kampf der Fortschritts- gläubigen gegen die Bewahrer des Althergebrachten hat Tradition: Wahrscheinlich hat es schon bei der Erfindung des Feuers Zweifler gegeben. Mit dem Internet und den damit verbundenen Phänomenen ist es ebenso. Nun stelle ich mir einmal ganz bewusst die Gretchenfrage meiner Generation: Wie halte ich es mit dem Internet?

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Der Kampf der Fortschrittsgläubigen gegen die Bewahrer des Althergebrachten hat Tradition: Wahrscheinlich hat es schon bei der Erfindung des Feuers Zweifler gegeben, die die grundsätzlich gesündere Ernährung mit Rohkost ins Feld führten. Mit dem Internet und den damit verbundenen Phänomenen ist es ebenso: Den einen kann es nicht schnell genug gehen mit dem Ausschöpfen von Möglichkeiten, andere treten auf die Bremse. Nun stelle ich mir einmal ganz bewusst die Gretchenfrage meiner Generation: Wie halte ich es mit dem Internet?

Von unserem Kulturchef Claus Ambrosius

Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner macht mal wieder Jagd auf Google und Facebook, Verbraucher müssen ihre privaten WLAN-Netze schützen, und für irgendeinen Flugzeugabsturz kamen die ersten Bilder vor Ort mal wieder von Twitter: Alles klar, alles verstanden? All diese Meldungen gingen so oder ähnlich in den vergangenen Tagen per Tagesschau über den Äther, waren in allen Zeitungen zu finden, sind Großthemen im Internet. Für mich persönlich alles einfach verständlich und täglich Übung: Der morgendliche Klick in meine Lieblingsseiten im Internet, das Nachsehen von Diskussionen, das Verfolgen aktueller Nachrichtenentwicklungen gehört ja auch zu meinem Job.

Umso mehr fällt mir immer deutlicher auf, dass mein persönliches Umfeld der Medienrevolution deutlich gelassener gegenübersteht – mitunter meine ich sogar, erste Abwehrmechanismen zu entdecken. Denn beim Blick in mein Umfeld trennen sich die Lager deutlich voneinander: Da gibt es die Technikfreunde, die immer und gleich alle Neuigkeiten auch auf dem eigenen Schreibtisch haben wollen. Sie sind Apple-Stammkunden, feuern auf allen Kanälen des Internets, lassen ihre „Freunde“ in den sozialen Netzwerken teilhaben an den interessanten und banalen Details ihres Lebens. Und da gibt es die deutlich größere Gruppe der Uninteressierten und Verweigerer.

Vielleicht ist es eine Generationenfrage – muss ich zum ersten Mal Angst haben, für eine neue Entwicklung statistisch gesehen zu alt zu sein? Darauf deutet jedenfalls mein Selbsttest anhand des Durchsehens der Teilnehmer meiner zwanzigjährigen Abiturfeier: Von den rund 100 Absolventen (Abi 90, also alle um die 40 Jahre alt) sind praktisch alle per Mail zu erreichen. Eigene Homepages, also private Internetpräsenzen, betreibt davon offenbar nur knapp eine Handvoll Selbstständiger. In dem sozialen Netzwerk Facebook ist wohl kein Dutzend von uns vertreten, auf dem regional sehr hochgehandelten deutschen Pendant „Wer-kennt-wen“ nur ein paar mehr. Den Kurznachrichtendienst Twitter nutzt außer den Journalisten des Jahrgangs niemand aktiv.

Ein überraschendes Ergebnis für mich – haben doch das Internet, die mobile Kommunikation und all ihre Seitenphänomene zusammengeschmissen mein Leben in ungeheurem Maße verändert: Nicht nur, dass ich dank des Handys seit Jahren auf Armbanduhren verzichten kann oder Schreibmaschine und Faxgerät in die Sofortrente schicken konnte. Die Recherchemöglichkeiten, die einfache Kontaktpflege auf dem globalen Dorfplatz – das alles schätze ich. Hier findet jedes Tierchen sein Pläsierchen: In meinem Falle – mit der Passion Musiktheater – weiß ich heute schon Sekunden nach einem Auftritt von Anna Netrebko, wo und wann sie wie schön oder falsch gesungen hat, Minuten später gibt es dazu das Video oder den Audio-Link zum Nachverfolgen. Wem’s gefällt!

Andere Aspekte der digitalen Revolution erfahre ich als eher beängstigend: Mittlerweile bin ich – auch aus eigener Versuchung heraus – der Überzeugung, dass viele Menschen die durch die schnellen Leitungen eingesparte Zeit doppelt und dreifach wieder im Netz verbringen, sich vertändeln auf den schillernden Angeboten und darüber im „realen Leben“ sozial zu verkümmern drohen. Das Fatale: Das immense Datenangebot im Internet, die schier unendliche Vielfalt, scheint für viele eher Fluch als Segen zu werden, den Blick eher zu verengen als zu erweitern. Es ist wie eine Nacht, die man eingeschlossen im Supermarkt verbringt: Natürlich könnte man am Biogemüse knabbern – aber ist es nicht viel verlockender, sich eher an den Süßigkeiten und Cholesterinbomben zu vergreifen? Und so suchen die meisten im Netz auch immer nur Bestätigung des Immergleichen – eben dessen, was sie schon kennen.

Das machen sich alle Seiten zu nutze, die Werbung und Suchergebnisse platzieren: Wer einmal im Leben im Netz nach Diätprodukten gesucht hat, wird anschließend jahrelang genau mit diesen Angeboten bombardiert. Das Netz ist eben keine Zeitung, kein Magazin, dass einem viele Themen anbietet und einen dabei auf neue Gedanken bringt: Viele der Millionen Hobbyautoren drehen sich im eigenen Saft heftig im Kreis. Das ist auch nicht weiter schlimm – solange man dessen gewahr ist, woher Informationen kommen und wie sie einzuordnen sind. Doch genau diese Fähigkeit – auf Neudeutsch heißt das Medienkompetenz – müsste viel deutlicher geschult werden.

Es ist paradox: Um das Internet und seine Möglichkeiten umfassend nutzen zu können, braucht man eigentlich eine vollwertige, sehr umfassende Bildung – schaue ich auf das sprachliche und inhaltliche Niveau vieler lautstarker Wortmeldungen in den zahlreichen Foren, scheint die Ausdrucksfähigkeit vom Umfang des Wortschatzes bis zur wenigstens ungefähren Rechtschreibung im eiligen Rückzug begriffen.

Ein Thema rund ums Internet kommt allerdings auch im Bekanntenkreis immer wieder auf – heutige Eltern beneide ich nicht: Wo soll man mit Verboten oder Grundsätzen anfangen, wenn im Netz alles zu haben ist? Wie will man aufklären, wenn der Zugang zu unbegrenzter Gewalt und Pornografie immer nur soweit entfernt ist wie der nächste Computer?

Die kreativ Tätigen haben ein anderes Problem: Wie soll man vermitteln, dass gewisse Leistungen auch Geldwert haben müssen, wenn es längst zum guten Ton gehört, alles umsonst aus dem Netz zu „saugen“? Diese Fragen endlich zu klären und dann auch durchzusetzen, ist eine Verpflichtung, der der Gesetzgeber um Jahre verspätet hinterherläuft – hoffentlich geschieht hier rechtzeitig Entscheidendes, bevor ganze Industrien zusammenbrechen. Wenn es nur noch Indie-Bands gibt, die ihre selbstproduzierten Songs kostenlos ins Netz stellen, wird der eine oder andere die großen Plattenfirmen eventuell doch vermissen.

Derweil probiere ich es mit einem Mittelweg: Musik, die mir auf YouTube gefällt, gelegentlich auch als Datenträger kaufen. Sachbücher online kaufen und lesen – und das gute Buch weiterhin gedruckt zu Hause genießen. Per Handy oft erreichbar sein – und selbiges mit Genuss ausschalten und die Ruhe und den Luxus der Nichterreichbarkeit genießen und mein privates Umfeld nicht damit nerven. Im Netz vieles, aber nicht alles mit ausgesuchten Menschen teilen. Und sich von der allseitigen Beschleunigung nicht abhalten lassen, vor dem Heraushauen der neuesten Gedanken den Kopf einzuschalten. Und meine Mitschüler kriege ich auch noch rum – spätestens mit einer tollen Fotostrecke der Abi-Feier auf Facebook.

Von unserem Redakteur Claus Ambrosius