München

Van Basten und das Jahrhunderttor

War auch von DFB-Verteidiger Jürgen Kohler (links) nicht zu stoppen: Marco van Basten. Foto: Imago
War auch von DFB-Verteidiger Jürgen Kohler (links) nicht zu stoppen: Marco van Basten. Foto: Imago

Es ist der Moment für die Geschichtsbücher. Eine weite Flanke von Arnold Muhren segelt auf Marco van Basten zu. Den Ball anzunehmen, ins Dribbling zu gehen, wäre sicher die gewöhnlichste Variante gewesen. Schließlich steht der Jungstar weit weg vom Tor in einer schier aussichtslosen Position. Doch van Basten ist kein gewöhnlicher Stürmer. Der damals 23-Jährige nimmt den Ball einfach mal volley. Gebannt schauen 72 000 Zuschauer im Münchner Olympia-Stadion auf die Flugkurve, ehe sich das Leder wie eine Bogenlampe über den sowjetischen Weltklasse-Torwart Rinat Dassajew hinweg ins Tor senkt. Ein Jahrhunderttor, das „Oranje“ an jenem 25. Juni 1988 endgültig in einen Freudentaumel versetzt.

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Mit dem Tor zum 2:0-Endstand im Finale gegen die favorisierte UdSSR ist der erste EM-Titel der Niederländer besiegelt und zugleich das persönliche Fußball-Märchen von van Basten fertig geschrieben. Als Ersatzspieler war er ins Turnier gegangen. „Ich war in der Saison lange verletzt und in keiner guten Verfassung. Ich musste auf meine Chance warten“, sagt van Basten rückblickend. Und die Chance kam schon gegen England im zweiten Gruppenspiel, das der Torjäger zu seiner großen Show nutzte. Mit drei Toren besiegte „Angelo ghaiacciato“ (eiskalter Engel), wie sie ihn beim AC Mailand nannten, die Engländer beim 3:1 im Alleingang. Van Basten war angekommen im Turnier, und sein nächster großer Auftritt sollte im Halbfinale gegen Deutschland in Hamburg folgen. Wenige Minuten vor Schluss verlädt er seinen Gegenspieler Jürgen Kohler, mit dem er sich in den folgenden Jahren noch viele große Duelle liefert, und trifft zum 2:1-Sieg. Holland jubelt, Holland feiert die Wiedergeburt des „Voetbal Totaal“.

Van Basten, Ruud Gullit und Frank Rijkaard, die auch zusammen beim AC Mailand ein kongeniales Trio bildeten, standen für die hohe Fußball-Kunst der Niederländer und bescherten dem Bondscoach Rinus Michels beim Finale „den schönsten Tag meines Lebens“. Für den 2005 gestorbenen Startrainer war es zugleich die Begleichung einer alten Rechnung. Auch 1974 hatte er die „Elftal“ trainiert, als sie das WM-Finale gegen Deutschland in München auf so bittere Weise 1:2 verloren hatte.

Alte Rechnungen hatte wohl auch Ronald Koeman im Sinn, als er nach dem Halbfinale gegen Deutschland sein hässliches Gesicht zeigte. Mit dem Trikot von Olaf Thon hatte sich der Abwehrchef nach dem Sieg von Hamburg den Hintern abgewischt. Dumm und unbeherrscht sei die Aktion gewesen, meinte der niederländische Torhüter Hans van Breukelen. Eine Aktion, die die Rivalität zwischen den beiden Top-Nationen nur weiter befeuern sollte und im WM-Achtelfinale 1990 ihren nächsten unschönen Tiefpunkt mit der Spuckattacke von Rijkaard gegen Rudi Völler fand.