Rena Lehmann zur Zukunft der Bildungspolitik: Schulen werden mit Erwartungen überfrachtet
Das hat natürlich etwas damit zu tun, dass die Wirtschaft brummt und Arbeitskräfte gefragt sind. Aber die steigende Zahl von Hochqualifizierten im Bereich Naturwissenschaften spricht auch dafür, dass in Kitas und Schulen im Land nicht alles drunter und drüber geht. Hysterie hat im noch immer hoch ideologisch aufgeladenen Bildungsstreit noch nie gut getan. Sie ist auch jetzt nicht angebracht.
Die Parteien, allen voran FDP und SPD, haben das ureigene Länderthema trotzdem mit einigem Erfolg zum Thema dieser Bundestagswahl gemacht. Sie mahnen zu recht an, dass es Eltern am Ende völlig egal ist, wer die Sanierung der maroden Schulturnhalle bezahlt. Oder wer die Laptops finanziert, mit denen ihre Kinder in der Schule auf die digitale Arbeitswelt vorbereitet werden könnten. An solchen Investitionen kann sich der Bund allerdings schon jetzt beteiligen, ohne dass das Bildungssystem im Grundsatz infrage gestellt werden müsste. Er muss es in den nächsten Jahren nur auch wirklich tun.
Wer viel mit Eltern von Schülern spricht, gewinnt den Eindruck, dass manche Schulen den Anschluss zu verlieren drohen. In einer komplexer werdenden Welt werden Kinder und Jugendliche zu wenig auf das „wahre Leben“ vorbereitet. Noch immer lernen sie Latein und manchmal Griechisch, wissen aber nicht, was eine gesetzliche Krankenversicherung ist. Sie können Gedichte interpretieren, aber keine Steuererklärung machen. Sie können Nachrichten bei Facebook und Co. im Sekundentakt versenden, aber keine wissenschaftliche Quelle für einen Aufsatz im Internet finden.
Hinzu kommt, dass offenbar immer mehr Eltern sich von der Schulbildung ihrer Kinder ein Rundum-Paket versprechen. Die Erziehung zum sozialen und verantwortungsbewussten Bürger soll von den Lehrern am liebsten auch gleich noch miterledigt werden. Die Schule und manchmal auch schon der Kindergarten, Stichwort frühe Förderung, werden im wahrsten Sinne mit Erwartungen überfrachtet. Nun hat die OECD-Studie auch ergeben, dass Lehrer in Deutschland im internationalen Vergleich überdurschnittlich gut bezahlt werden. Man darf ihnen also etwas abverlangen. Allen diesen Ansprüchen wird aber auch der beste Lehrer am Ende nicht gerecht werden können. Hilft bei all diesen Fragen eine Auflösung des Kooperationsverbots? Eher nicht.
Die Gefahr besteht, dass im Zuge der Vereinheitlichung auch gut Funktionierendes unter die Räder kommt. Außerdem hat der Wettbewerb unter den Bundesländern immer gut getan. Und auch wenn der Bund die Verantwortung für Schulsystem und Bildungsinhalte übernehmen würde, wären Eltern, Lehrer und Schüler nicht vor bildungspolitischen Experimenten gefeit. Spätestens alle vier Jahre würde eine neue Bundesregierung genauso mit neuen Ideen aufwarten wie es jetzt die Landesregierungen tun.
E-Mail an: rena.lehmann@rhein-zeitung.net