Glaubenskampf um Globuli: Mehr als Placebo?

Von Angela Kauer
Glaubenkrieg um Globuli Foto: Bjrn Wylezich -

Susannchen hat es übel erwischt. Die Nase ist ganz rot, die Augen hinter der runden Brille wirken müde. Um den Hals hat das Mädchen einen dicken Schal. Das sieht nach einer kräftigen Erkältung aus. Anhänger der Homöopathie würden der Kleinen jetzt wohl ein paar Globuli reichen. So heißen die kleinen, weißen Kügelchen, denen manche geradezu magische Wirksamkeit zusprechen. Aber: „Susannchen braucht keine Globuli“, stellt ein Schriftzug klar.

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Susannchen ist kein wirkliches Kind, sondern eine gezeichnete Figur. Mit ihr wirbt das „Informationsnetzwerk Homöopathie“ für einen kritischen Umgang mit homöopathischen Mitteln. Natalie Grams hat das Netzwerk mitgegründet. Wer mit ihr spricht, ist schnell mittendrin im Streit über die Homöopathie. Grams ist Ärztin. Sie war auch einmal überzeugte Homöopathin, hatte eine gut gehende Praxis in Heidelberg. Aber heute würde sie das verschnupften Susannchen nicht mehr mit Globuli behandeln. Zum einen, weil „Kinder so daran gewöhnt werden, dass man immer irgendetwas einnehmen muss, damit es einem besser geht“. Zum anderen, „weil homöopathische Mittel natürlich keine Medikamente sind. Es ist ja kein Wirkstoff drin.“ Jedenfalls keiner, der sich physikalisch nachweisen ließe.

Denn die von dem deutschen Arzt Samuel Hahnemann (1755 – 1843) begründete Homöopathie fußt auf zwei Annahmen. Die Erste: Substanzen, die bei Gesunden bestimmte Störungen (Symptome) hervorrufen, sind bei Kranken mit eben diesen Symptomen in sehr geringer Dosis heilsam. Bei Fieber zum Beispiel behandelte Hahnemann seine Patienten mit einem Extrakt aus der Tollkirsche. Er wusste, dass ihr Gift selbst fieberähnliche Symptome auslösen kann. „Gleiches mit Gleichem behandeln – so funktioniert Homöopathie kurz gesagt“, erklärt Roger Rissel aus dem Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Klassische Homöopathie.

Die Zweite: Um dem Patienten nicht zu schaden, wird der Wirkstoff stark verdünnt. Dafür nimmt man zum Beispiel eine Tinktur aus der Tollkirsche und gibt neunmal so viel Ethanol-Wasser-Gemisch dazu. Anschließend wird das Fläschchen mit der Substanz zehnmal zum Beispiel auf einen Moosgummiblock geklopft. Dieser Vorgang nennt sich „Verschütteln“. Die nun entstandene sogenannte Potenz heißt D1. Kommen weitere neun Teile Wasser hinzu, ergibt sich die Potenz D2 – und so weiter.

Am Ende wird die Essenz zu Kügelchen oder Tropfen verarbeitet. Darin ist längst kein Wirkstoff mehr nachweisbar. Homöopathen gehen aber davon aus, dass durch das „Verschütteln“ die Energie des Wirkstoffs auf das Wasser übergeht. Beweisen konnte das bisher niemand. Und trotzdem hat mehr als jeder zweite Deutsche laut einer Allensbach-Umfrage aus dem Jahr 2014 schon einmal homöopathische Mittel geschluckt. Neun von zehn Anwendern berichten, dass sie zumindest manchmal geholfen haben.

Natalie Grams' Einstellung hat sich radikal geändert

Auch Natalie Grams hat lange an die Homöopathie geglaubt. Sie argumentierte, wie viele ihrer damaligen Berufskollegen argumentieren: mit ihren Erfahrungen. „Ich meinte ja gesehen zu haben, dass es funktioniert.“ An sich selbst, als sie als Medizinstudentin zum ersten Mal zu einer Heilpraktikerin ging. Und später an ihren Patienten. Zu ihr kamen Menschen mit Allergien, Asthma oder Darmerkrankungen. „Deren Beschwerden verbesserten sich ja wirklich“, sagt sie, und es klingt beinahe wie eine Entschuldigung. Denn ihre Einstellung zur Homöopathie hat sich radikal verändert.

Auslöser war ein Buch, das sie schreiben wollte. Es sollte ein flammendes Plädoyer für die Homöopathie werden. Doch am Ende stellte die Medizinerin die komplette Methode und sich selbst infrage. „Jeder Wissenschaftler, den ich befragt habe, hat mir versichert, dass Wirkstoffe beim Verdünnen verloren gehen, auch wenn wir sie dabei schütteln“, sagt sie und ist sich heute sicher: Die von Homöopathen angenommene „Energie“ der Wirkstoffe gibt es so nicht. Grams sagt aber auch: „Was wirkt, ist sicherlich diese Zuwendung, wie ich sie ja auch erlebt habe, dieses ganze therapeutische Setting, das die Homöopathie anbietet.“

Wirkung der Homöopathie nur Placeboeffekt?

Was Grams mit diesen Worten beschreibt, hat für Dr. Manfred Schedlowski einen Namen: „Homöopathie wirkt über den Placeboeffekt“, sagt der Professor, der das Institut für Medizinische Psychologie und Verhaltensimmunbiologie der Universität Duisburg-Essen leitet. Wenn jemand homöopathische Arzneien einnimmt, erwartet er, dass sie wirken – zumindest ist er gespannt, ob sie es tun. Diese Erwartungshaltung allein ist schon in der Lage, Beschwerden zu lindern, erklärt Schedlowski. Hinzu kommt das, was Grams Zuwendung nennt: Die Qualität der Kommunikation zwischen Arzt und Patient. „Homöopathen nehmen sich in der Regel viel Zeit für ihre Patienten“, sagt Schedlowski. Ein erster Termin kann schon mal weit länger als eine Stunde dauern. „Die Empathie, die dem Patienten dabei entgegengebracht wird, macht auch einen Teil der sogenannten Placeboantwort aus“, sagt der Forscher. Und schließlich geht der Mensch davon aus, dass das, was schon einmal gewirkt hat, wieder wirkt.

Alle drei Aspekte – Erwartung, Kommunikation und Lernprozess – erzeugen neurochemische Veränderungen im Gehirn, die man in einem Hirnscan sogar sehen kann. „Diese Veränderungen werden an die Organe weitergeleitet“, sagt Schedlowski. Wenn er von einer Placeboantwort spricht, dann meint er also nicht, dass Globuli nicht wirken. Sondern nur, dass der Effekt nicht auf dem angeblich enthaltenen Wirkstoff beruht. Übrigens gilt das nicht nur für homöopathische Mittel. „Auch die Wirkung anderer Medikamente scheint durch diese Mechanismen beeinflusst zu werden“, sagt Schedlowski. So gesehen, wäre Homöopathie also angewandte Placebomedizin.

Anwender der Globuli müssen Grenzen anerkennen

Homöopath Rissel, der in den 90er-Jahren eine Praxis an der Mosel hatte und heute in Wiesbaden als Heilpraktiker arbeitet, bestätigt zwar, dass der Placeboeffekt eine gewisse Rolle spielt. Allein damit lasse sich die Wirkung aber nicht erklären: „Ich bin sicher, dass es auch eine pharmakologische Wirkung gibt“, sagt er. Einen Effekt, der sich bisher nur nicht richtig nachweisen lasse. Trotzdem sollten Patienten seiner Ansicht nach die Grenzen dessen, was Homöopathie leisten könne, anerkennen. „Manche Erkrankungen müssen schulmedizinisch behandelt werden“, sagt er. Produziert der Körper zum Beispiel nicht ausreichend Schilddrüsenhormone, können Globuli sie nicht ersetzen.

„Auch wenn es um schwere Erkrankungen wie Krebs geht, ist die alleinige Behandlung mit Homöopathie reine Scharlatanerie“, ergänzt Prof. Dr. Josef Beuth, Direktor des Instituts zur wissenschaftlichen Evaluation naturheilkundlicher Verfahren in Köln. Frei nach dem Motto „Wenn's hilft“ hält er es aber für unbedenklich, Beschwerden wie leichtes Kopfweh oder Bauchschmerzen mit Globuli zu behandeln. Wo kein Wirkstoff enthalten ist, gebe es schließlich auch keine unerwünschten Nebenwirkungen.

Für Natalie Grams ist selbst das heute keine Option mehr. Ihre Praxis in Heidelberg hat sie geschlossen. „Wie sollte ich vor meinen Patienten vertreten, woran ich selbst nicht mehr glaube?“, fragt sie. Pauschal verurteilen will sie die Homöopathie trotzdem nicht. „Der größte Fehler, der in unserem Gesundheitssystem begangen wurde, war die Abschaffung des Sprechzimmers“, sagt sie. Beim Homöopathen fühlten sich viele Menschen ernst genommen. Denn dort bekämen sie das, was in der Regelmedizin heute oft fehlt: Zeit.

Angela Kauer/dpa

Wirksamkeit: Trotz zahlreicher auch methodisch aufwendiger Studien ist eine spezifische Wirksamkeit von Homöopathika bis heute nicht nachgewiesen. Befürworter betonen stets, dass dies nur noch nicht der Fall und weitere Forschung nötig sei. Kritiker halten dem entgegen, dass die Nicht-Wirksamkeit homöopathischer Mittel an sich irgendwann auch einmal anerkannt werden müsse. Was es gibt, sind Studien, die belegen, dass Homöopathie über den Placeboeffekt wirkt (siehe oben).

Kosten: Ein Erstgespräch (Anamnese) mit einem Homöopathen dauert in der Regel mehr als eine Stunde und kostet etwa zwischen 120 und 180 Euro. Jede Folgekonsultation kostet noch einmal etwa 60 bis 90 Euro. Viele Krankenkassen übernehmen die Kosten für eine homöopathische Behandlung als zusätzliche Leistung ganz oder teilweise, wenn ein Arzt mit entsprechender Zusatzausbildung sie macht. Heilpraktiker-Kosten werden nicht erstattet.

Ausbildung: In Deutschland sind zwei Berufsgruppen zur Ausübung der Homöopathie zugelassen: Heilpraktiker und Ärzte. Ärzte absolvieren im Anschluss an Studium und Facharztausbildung eine Zusatzausbildung von mindestens 100 Stunden (vor 2004 sogar 300 Stunden). Dann müssen sie noch eine Prüfung vor der Ärztekammer ablegen. Heilpraktiker müssen keine medizinischen Vorkenntnisse haben und bereiten sich in Eigenregie oder an speziellen Schulen auf eine Prüfung durch einen Amtsarzt vor. Die weitere Ausbildung zum Homöopathen ist frei bestimmbar. Es gibt die Möglichkeit von Prüfungen durch Heilpraktiker-Schulen, sie sind jedoch kein Muss.