Rheinland-Pfalz

Eine Fußball-Nation entdeckt ihre Frauen

Eine Fußball-Nation entdeckt ihre Frauen
Die „Elfmeter-Queen“ von Siegen: Im EM-Halbfinale 1989 gegen Italien pariert Torfrau Marion Isbert vom TuS Ahrbach im Westerwald drei Schüsse, verwandelt selbst einen Elfmeter und hat wesentlichen Anteil daran, dass der Frauenfußball plötzlich in aller Munde ist. Foto: Imago

1981 erhält der DFB eine Einladung für seine noch nicht existierende Frauen-Nationalmannschaft, an der (inoffiziellen) WM in Taiwan teilzunehmen. Kurz entschlossen schickt der Verband das beste Vereinsteam, den Serienmeister SSG 09 Bergisch-Gladbach mit seiner genialen Trainerin Anne Trabant-Haarbach, der auch prompt den Titel gewinnt.

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Von unserem Redakteur Stefan Kieffer

Rheinland-Pfalz – 1981 erhält der DFB eine Einladung für seine noch nicht existierende Frauen-Nationalmannschaft, an der (inoffiziellen) WM in Taiwan teilzunehmen. Kurz entschlossen schickt der Verband das beste Vereinsteam, den Serienmeister SSG 09 Bergisch-Gladbach mit seiner genialen Trainerin Anne Trabant-Haarbach, der auch prompt den Titel gewinnt.

Da sich auf internationaler Ebene einiges tut und Deutschland nicht den Anschluss verlieren darf, geben die Funktionäre gut zehn Jahre nach der Freigabe des Spielbetriebs für die kickenden Damen auch ihren Widerstand gegen eine repräsentative Auswahl auf. Der in der Trainerausbildung des DFB erfolgreiche Gero Bisanz wird als Frauen-Bundestrainer auserkoren, Anne Trabant-Haarbach, die schon 1974 in der Meistermannschaft des TuS Wörrstadt gestanden und seitdem als Spielerin und Trainerin immerhin sieben Meistertitel geholt hat, wird seine Assistentin – obwohl sie kein Hehl daraus macht, dass sie sich selbst für die bessere Bundestrainerin hält.

Premiere auf dem Oberwerth

Zunächst jedoch überwiegen der Stolz und die Vorfreude aufs erste Länderspiel; „davon hatten wir ja geträumt, im Nationaltrikot auf dem Platz zu stehen“, sagt Anne Trabant. Am 10. November 1982 ist es schließlich so weit. Auf dem Koblenzer Oberwerth findet das erste offizielle, das heißt mit dem Segen des DFB ausgetragene Frauenfußball-Länderspiel gegen die Schweiz statt. Trainer Bisanz nominiert mit Anne Trabants Unterstützung 16 junge Damen, die Hälfte kommt vom Meister aus Bergisch-Gladbach.

Mit dabei sind auch zwei Rheinland-Pfälzerinnen. Zum einen die 17-jährige Außenstürmerin Birgit Bormann vom SC 07 Bad Neuenahr, die als ehemalige Leichtathletin nicht nur schnell ist, sondern auch exzellent mit dem Ball umgehen kann. Die andere Lokalmatadorin ist Torhüterin Marion Feiden, ein Jahr älter und Leistungsträgerin beim aufstrebenden Westerwald-Klub TuS Ahrbach.

Immerhin 5000 Zuschauer schauen sich den Auftritt der DFB-Frauen in Koblenz an. Und sie haben allen Grund zum Staunen. „Selbst kritische Beobachter mussten eingestehen, dass sie von dem Tempo und Spielwitz der Damen überrascht waren“, notiert die „Rhein-Zeitung“ nach dem eindrucksvollen 5:1-Sieg, und „Bild“ lobt: „Prima, Ballerinas! Tolle Tricks, wunderschöne Flanken, Alleingänge, satte Schüsse, Kopfbälle – von allem wurde etwas geboten.“

Anne Trabant, fast 34 Jahre alt, führt als Kapitän im Mittelfeld Regie, das erste Länderspieltor erzielt Doris Kresimon („Bild“: „1,60 Meter groß, süßer Po“) aus Bergisch-Gladbach mit einem Volleyschuss unter die Latte. Ingrid Gebauer trifft noch vor der Pause zum 2:0, dann gibt die 20-jährige Silvia Neid nach ihrer Einwechslung mit zwei Treffern einen ersten Vorgeschmack auf eine große Karriere. Und schließlich erzielt Birgit Bormann aus Bad Neuenahr per Kopf das 4:0 – „Bild“ feiert die schnelle Birgit aus Prüm in der Eifel prompt als „unsere Damen-Litti“.

Ex-Trainer und „Bild“-Kolumnist Max Merkel, der bislang die kickenden Frauen am liebsten hinter den Kochherd verbannt hätte, kommentiert das Koblenzer Erlebnis: „Ich würde jetzt sogar eine kalte Küche in Kauf nehmen, nur um noch mal so ein heißes Länderspiel zu sehen.“

Doch dem verheißungsvollen Beginn folgen die Rückschläge, „Geros Girls“ verpassen die Qualifikation für die Europameisterschaften 1984 und 1987. Erst 1989 trägt die gezielte Talentsuche und Aufbauarbeit ihre Früchte. Ohne Niederlage stürmt das DFB-Team mit der herausragenden Torfrau Marion Isbert, geborene Feiden, und der zweikampfstarken Abwehrspielerin Jutta Nardenbach, beide vom DM-Finalisten TuS Ahrbach aus Ruppach-Goldhausen im Westerwald, durch die Qualifikation zur EM 1989.

Für das Endturnier haben sich außerdem Titelverteidiger Norwegen sowie Italien und Schweden qualifiziert. Und als die Bewerbung des DFB um die Ausrichtung Erfolg hat, ist der Grundstein gelegt für das, was als „Urknall“ des deutschen Frauenfußballs in die Geschichte eingehen wird. Denn die ARD hat sich für vergleichsweise läppische 40 000 Mark die Übertragungsrechte der vier Spiele gesichert und entschließt sich ziemlich überraschend, das Halbfinalspiel des deutschen Teams gegen Italien live zu übertragen – an einem Mittwochnachmittag um 16 Uhr.

So kommen nicht nur 8000 Zuschauer im Siegener Leimbachstadion in den Genuss einer „erregenden Fußball-Story“, so die „Rhein-Zeitung“, sondern auch schätzungsweise vier Millionen TV-Zuschauer. Die sehen zunächst das Führungstor der deutschen Mannschaft durch einen abgefälschten Schuss von Silvia Neid. Sieben Minuten vor dem Ende gleichen die Italienerinnen aus, und die Dramatik nimmt ihren Lauf. Die Verlängerung bleibt torlos, und im Elfmeterschießen ballert Martina Voss gleich den ersten Versuch übers italienische Tor.

Dann wird Torfrau Marion Isbert, die „fliegende Hausfrau“ vom TuS Ahrbach, zur „Heldin von Siegen“ und zur „Elfmeter-Queen“, um nur einige der euphorischen Schlagzeilen des nächsten Tages zu zitieren. Gleich drei Schüsse der Italienerinnen pariert die Ausnahme-Keeperin, die nach einem Trainingsunfall mit einem Bänderriss im linken Fuß zwischen den Pfosten steht. Zuvor hat sie ihren Kontrahentinnen tief in die Augen geblickt und laut und deutlich versichert: „Gib dir keine Mühe, der Ball gehört sowieso mir!“ Offenbar versteht man sich auch ohne Dolmetscher.

Beim Stand von 3:3 bekommt die als nächste deutsche Schützin vorgesehene Sissy Raith plötzlich weiche Knie und bittet ihre Torfrau: „Kannst du für mich schießen?“ Nichts leichter als das, denkt sich Marion Isbert und tritt an zur Exekution. Eine ganze Nation bangt mit feuchten Händen mit – und Isbert trifft. „Souverän, nervenstark, unhaltbar“, loben die Fachleute, doch Marion Isbert hat den entscheidenden Schuss ganz anders in Erinnerung: „Irgendjemand muss die Torfrau umgeschubst haben“, sagt sie lapidar, „das war wahrscheinlich mein schlechtester Elfmeter, den hätte sie halten müssen.“

Vom Mauerblümchen zur Diva

Den letzten Schuss setzt die Italienerin Marsiletti übers Tor, und dann brechen alle Dämme. Im Stadion und im ganzen Land. Marion Isbert, den dreijährigen Sohn Sven auf dem Arm, heult und jubelt gleichzeitig in ein Mikrofon nach dem anderen. Am nächsten Tag kennt sie und ihre Teamkolleginnen die ganze Fußball-Nation. Die deutschen Fußballfrauen haben in 2 mal 40 Minuten plus Verlängerung plus Elfmeterschießen den Schritt „vom mitleidig belächelten Mauerblümchen zur beifallsumrauschten Diva“ getan, wie der Sportinformationsdienst fabuliert.

Frauenfußball ist plötzlich der ganz große Renner. Und das Beste steht ja noch bevor. „Bild“ stimmt das Volk aufs Endspiel ein: „Gucken Sie auch Damenfußball? Es lohnt sich!“ Leider will die ARD ihren Zuschauern eine weitere Liveübertragung denn doch nicht zumuten. Das Finale, das am Sonntagmorgen um 11 Uhr angepfiffen wird, zeigt das Fernsehen erst am Nachmittag in einer Zusammenfassung.

Doch die Begeisterung ums Frauenteam ist nicht mehr zu stoppen. An der Bremer Brücke in Osnabrück bricht der Verkehr zusammen, zahlreiche Fans erreichen das Stadion erst, als alles schon entschieden ist. 22 500 Zuschauer, ausverkauft – Hunderte von Interessierten werden an den Kassenhäuschen abgewiesen.

Das Spiel gegen die favorisierten Norwegerinnen, die die bisherigen zwei Europameistertitel souverän gewonnen haben, wird zu einer einseitigen Angelegenheit. Die Kölnerin Uschi Lohn erzielt schon vor der Pause zwei Tore, die junge Heidi Mohr, die noch für den SV Laudenbach an der Bergstraße stürmt, macht kurz nach Wiederbeginn das dritte. Und als die norwegische Torjägerin Sissel Grude auf 1:3 verkürzt, wird das deutsche Team nur kurz nervös. Die eingewechselte Angelika Fehrmann aus Bergisch-Gladbach macht mit dem Tor zum 4:1 alles klar.

DFB-Boss Hermann Neuberger lobt vor allem den „Fußball mit Herz, den man ja anderswo bisweilen vermisst“, und selbst ein bekennender Fußball-Macho wie Udo Lattek muss eingestehen: „Meine Damen, ich habe mein Urteil geändert! Der Damenfußball ist seit Sonntag salonfähig.“ Der pfälzische Bundeskanzler Helmut Kohl schickt ein Telegramm, bezeichnenderweise ist es an Herrn Hermann Neuberger gerichtet: „Ich bin begeistert über den in seiner Höhe verdienten Finalsieg und die Art und Weise, wie er herausgespielt wurde. Die gesamte Mannschaft zeichnete sich durch Einsatzfreude, technisches Können und Geschlossenheit aus.“

Selbst die Verlierer sind begeistert: „Dem Damenfußball in Europa konnte gar nichts Besseres passieren“, kommentiert der norwegische Verbandspräsident Per Omdal den deutschen Triumph, „denn wenn jetzt ein großes Fußball-Land erfolgreich ist, dann ergibt sich dadurch eine ganz andere Ausstrahlung, als wenn wieder wir Norweger gewonnen hätten.“

Frauen bestimmen die Schlagzeilen

Apropos Ausstrahlung: Frauenfußball bestimmt die Schlagzeilen. Nicht nur in Fachblättern wie „Bild“ („Toll, die Damen! Das war Fußball zum Knutschen“) oder „Kicker“ („Die deutschen Damen katapultierten sich mit diesem Turnier in die internationale Spitzenklasse“), sondern auch in ansonsten eher fußballfernen Publikationen wie „Praline“ („Unsere tollen Fußball-Damen – bis auf eine noch zu haben“), „Neue Welt“ („Unsere Fußball-Mädchen – einfach zum Küssen“) oder „Emma“ („Da verging sogar der Männerpresse das Mäkeln“). Selbst die Spielführerin gerät ins Träumen: „Warum sollen Fußball-Damen nicht eines Tages 5000 Mark verdienen?“, sinniert Sylvia Neid, die Kapitänin des Europameisterteams, über eine strahlende Zukunft.

Damit ist unsere kleine Serie beendet. Mehr zur Geschichte des Frauenfußballs in Rheinland-Pfalz lesen Sie in dem Buch „Der Fußball wird weiblich“, erhältlich für 9,80 Euro beim Fußballverband Rheinland und beim Südwestdeutschen Fußballverband. 2 Euro des Verkaufspreises gehen an die Fritz-Walter-Stiftung bzw. an die Theo-Zwanziger-Stiftung.