Blitzeinschläge bei Rock am Ring: Nunmehr 82 Verletzte [3. Update + Video]

Nach dem schweren Gewitter war überall Sirenengeheul zu hören. Die Rettungskräfte hatten viel zu tun.
Nach dem schweren Gewitter war überall Sirenengeheul zu hören. Die Rettungskräfte hatten viel zu tun. Foto: Kevin Rühle

82 verletzte Fans im Krankenhaus, einer von ihnen im Lebensgefahr, weitere auf der Intensivstation. Das ist die Schreckensbilanz des ersten Tages von Rock am Ring, bei dem am Abend mehrere Blitze während eines Unwetters auf dem Gelände einschlugen.

Lesezeit: 4 Minuten
Anzeige

Von unserem Redakteur Markus Kuhlen

Mit dem Aufruf des Videos erklären Sie sich einverstanden, dass Ihre Daten an YouTube übermittelt werden und Sie die Datenschutzerklärung gelesen haben.

Polizei, Feuerwehr und DRK waren im Einsatz. Das Festival wurde für rund 90 Minuten unterbrochen. Bereits im Vorjahr mussten nach einer Unwetternacht mit Blitzeinschlägen 33 Menschen verletzt in Krankenhäuser eingeliefert werden.

Dabei ist es zu Beginn ein Festivaltag, wie es ihn schon so oft bei Rock am Ring gegeben hat. Regnerisch, aber nicht kalt, nicht einmal besonders windig. Die verschlammten Wiesen und nassen Klamotten nehmen die Ringrocker mit Humor, gegen 18 Uhr kommt sogar einmal kurz die Sonne raus. Zu diesem Zeitpunkt denken sicherlich viele, dass die Warnungen vor Unwettern, die bereits Tage vorher durch die Medien gingen, deutlich überzogen waren.

Bis gegen 20.15 Uhr der wohl schlimmste denkbare Fall eintritt. Der Himmel verdunkelt sich von Minute zu Minute mehr, man sieht förmliche eine schwarze Front auf das Gelände zukommen. Der Veranstalter unterbricht die Konzerte, Durchsagen fordern die Leute auf, sich von Metall und den Bühnen fernzuhalten. Viele suchen Schutz in den umstehenden Essens-, T-Shirt- und Promotionsständen, viele machen sich eilig auf Richtung Zelt. Aber viele verharren auch einfach auf dem Gelände, wissen nicht so recht, wohin, während es immer dunkler wird.

Es ging ganz schnell: Kurz zuvor hatte sich sogar noch einmal die Sonne gezeigt. Dann, gegen 20 Uhr, begann das Gewitter.
Es ging ganz schnell: Kurz zuvor hatte sich sogar noch einmal die Sonne gezeigt. Dann, gegen 20 Uhr, begann das Gewitter.
Foto: Kevin Rühle

Und dann blitzt und knallt es ohrenbetäubend laut direkt über den Köpfen der Zehntausenden Festivalbesucher. Das Gewitter trifft das Festivalgelände mit voller Wucht. Blitze schlagen auf dem Gelände ein. Augenzeugen berichten von einem Blitz, der in eine Pfütze auf dem Campingplatz einschlägt und zahlreiche Menschen verletzt. Auch aus der Cateringmeile berichten Fans von einem Blitz und Verletzten. Beides deckt sich mit einer Blitzeinschlagkarte von „kachelmannwetter.de“. Auf dieser ist zu sehen, dass zwei Blitze im Bereich der Cateringmeile niedergegangen sind, ein oder zwei weitere im Bereich der Campingplätze.

Selbst im Pressezentrum bricht Hektik aus. Die Kollegen, die vom Gelände zurückkommen, werden mit Schreien zur Eile angetrieben, das große Rolltor vor dem Presshangar heruntergelassen. Wir sitzen mit dem Kollegen im schummrigen Licht mit einem ganz schummrigen Gefühl, während draußen minutenlang Naturkräfte toben.

Nach rund einer halben Stunde ist der Spuk vorbei. Als die Tore des Journalistenhangars sich wieder öffnen, regnet es draußen noch, aber der Himmel ist fast schon wieder hell. Auf dem Festivalgelände und den Campingplätzen herrscht im wahren Sinn der Worte Land unter. Wo vorher Matsch und Schlamm war, gibt es nun kleine Seen, wo vorher noch Wiese war, ist eine moorähnliche Landschaft entstanden. Viel schlimmer aber ist, dass im Bereich hinter den Bühnen sehr viel Blaulicht zu sehen, sehr viele Sirenen zu hören sind. Außerdem kreist ein Hubschrauber über dem Gelände, ein weiterer Rettungshubschrauber landet und hebt wieder ab.

Nach weiteren Regenfällen ist nun endgültig klar: Ohne Gummistiefel geht es nicht.
Nach weiteren Regenfällen ist nun endgültig klar: Ohne Gummistiefel geht es nicht.
Foto: Kevin Rühle

Die Fans, die sich noch auf dem Festivalgelände befinden oder gar schon wieder von den Zeltplätzen zurückströmen, sind nahezu unbegreiflich gelassen. Kein Anflug von Panik oder Angst, viele lachen oder singen schon wieder, die ersten fangen an, durch den Schlamm zu schlittern und in Pfützen zu springen. Die einzigen Klagen, die vernehmlich zu hören sind, sind die über nasse Füße.

Gegen 21 Uhr beginnen auf den Bühnen schon wieder gut sichtbar die Vorbereitungen für die noch folgenden Bands, auf dem Gelände halten sich aber auch Gerüchte über einen Abbruch des Festivals. Unbegründet, gegen 21.15 Uhr bittet Festivalchef Marek Lieberberg die Fans per Durchsage von der Hauptbühne um Geduld und spricht von einer eventuell nahenden zweiten Gewitterfront. Aber schon um 21.45 Uhr wird das Programm fortgesetzt. Tenacious D spielen ihren Auftritt weiter und versuchen mit viel Humor den Schrecken des Unwetters zu vertreiben.

Und während Tausende Fans schon wieder tanzen, werden hinter den Kulissen noch Verletzte versorgt, Notfallpläne geschmiedet und Wetterberichte beobachtet. In Neuwied sind unterdessen aufgrund der Wetterlage Einsatzkräfte von Feuerwehr und Rettungsdienst aus dem Kreis Neuwied alarmiert worden. Sie haben sich auf dem Kirmesplatz versammelt. Damit erfüllen sie eine Auflage der ADD. Bei Großveranstaltungen wie Rock am Ring und vor allem in Kombination mit der aktuellen Wetterlage kommt die sogenannte Schnelle Eingreiftruppe (SEG) ins Spiel. Die Kräfte können im Bedarfsfall bei Unterbringung oder Betreuung von Verletzten helfen. Die Feuerwehr könnte zudem eine Informations- und Kommunikationseinheit zur Unterstützung einrichten. Alles eine reine Vorsichtsmaßnahme. Gerüchte, nach denen die Krankenhäuser in Andernach und Mayen mit Verletzten überlastet sind, lassen sich nicht bestätigen.

Immer wieder war auch der Rettungshubschrauber im Einsatz.
Immer wieder war auch der Rettungshubschrauber im Einsatz.
Foto: Kevin Rühle

Und so geht der Schreckenstag auf dem Gelände mit dem Auftritt des Headliners Volbeat, der mit Feuerwerk und brennender Bühne beeindruckt, in die letzte Runde. Gegen 2.15 Uhr tanzen immer noch Tausende zu den Beats der vorletzten großen Band des Abends, Major Lazer. Unterdessen gibt es im Netz und auf dem Gelände erste kritische Stimmen. Warum wurde erst so spät vor dem Gewitter gewarnt? Knapp zehn Minuten, bevor der erste Blitz einschlug? Aber auch: Sollte man das Festival nicht besser abbrechen? Denn auch für den Samstag und den Sonntag drohen Gewitter und Unwetter.

„Es ist damit zu rechnen, dass die Gewittergefahr vor allem von Samstagnachmittag bis Samstagabend und Sonntagnachmittag bis Sonntagabend zwischen 17 und 21 Uhr besteht. Besonders am Sonntag kann auch ein Unwetter mit Hagel und Sturmböen auftreten“, teilt der Veranstalter noch in der Nacht auf seiner Homepage mit. Eine ähnliche Wetterprognose für den Freitag endete mit einem Unwetter und mehr als drei Dutzend Verletzten. Auf der einen Seite steht die konkrete Gefahr, auf der anderen Seite stehen 93000 feierwütige Ringrocker, die viel Geld für die Tickets und die Auftritte ihrer musikalischen Helden gezahlt haben. Es ist keine leichte Entscheidung, die die Veranstalter in Absprache mit den Behörden zu treffen haben.

Die Polizei hat unter der Rufnummer 0261/10323-45 eine Info-Hotline für besorgte Angehörige eingerichtet.

[1. Update, Samstag, 10 Uhr]: Mittlerweile spricht die Polizei von 51 Verletzten, 15 Schwerverletzten und zwei erfolgreichen Reanimationen.

[2. Update, 14 Uhr]: Bei Rock am Ring wurden insgesamt 71 Menschen verletzt, einer schwebt in Lebensgefahr, weitere liegen auf der Intensivstation, wie unsere Zeitung erfahren hat.

[3. Update, 16 Uhr:] Es gab nach Angaben von Innenminister Lewentz insgesamt 82 Verletzte, darunter acht Schwerverletzte. Einige sind auf der Intensivstation.