Wir jedenfalls haben nicht schlecht gestaunt. Auf dem riesigen Lyoner Bahnhof Part Dieu (übersetzt: ein Teil Gottes) ist kein einziger Fahrplan auszumachen. Das verwirrt den Deutschen, der es bekanntlich gern gut geregelt mag. Die Orientierungshilfe für Bahnfahrer in Frankreich hängt in vielfacher Form von der Decke herab und nennt sich Bildschirm. Auf diesen Monitoren wird erst 10 bis 15 Minuten vor der geplanten Abfahrt das Gleis angezeigt, auf dem der Zug ankommt. Man muss sich das vorstellen wie eine vergleichsweise hohe Zahl an 100-Meter-Läufern, die gebannten Blickes und mit den Hufen scharrend vor diesen Bildschirmen in den Startlöchern stehen und auf den Startschuss warten.
Blinkt dann die Gleiszahl hinter dem Zug der Wahl auf, gibt es kein Halten mehr bei der Hatz zum jeweiligen Bahnsteig. Kinder und ältere Menschen tun gut daran, sich erst einmal in Sicherheit zu bringen. Ach ja, Müttern, die ihre Sprösslinge in diesem Gedränge suchen, sei geraten, dort nachzuschauen, wo der Hinweis „Rechargez vos batteries“ zu lesen ist. Es handelt sich um Ladestationen, an denen die Akkus diverser elektronischer Geräte aufgeladen werden können – mittels Muskelkraft.
Wer laden will, muss radeln. Dort tummeln sie sich also, die Kids, und treten ordentlich in die Pedale. Je größer die Muskelkraft auf dem Fitness-Rad, desto größer die Kraft, die ins Mobiltelefon fließt. Unglaublich, zu welchen Energieleistungen die ansonsten eher träge „Generation Handy“ auf einmal fähig ist. Dabei scheint so mancher schwitzende Surfer die Zeit zu vergessen. Wir konnten eine Mutter beobachten, die ihren Sohn beim Start zum 100-Meter-Lauf (siehe weiter vorn) vermisste und ihn munter radelnd an der Ladestation wiederfand. Bei der folgenden Schimpftirade bedauerten wir unsere mangelnden Französisch-Kenntnisse doch sehr. War das ein Gezeter! Mon Dieu, Part Dieu.
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