Rheinland-Pfalz
AfD-Ratskandidaten und die rechtsextreme Szene: So eng sind die Kontakte zu Gruppen wie „Revolte Rheinland“
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Unserer Zeitung liegen Belege vor, die den jungen Koblenzer AfD-Stadtratskandidaten - der Name ist der Redaktion bekannt - bei mindestens einer Wanderung der "Revolte Rheinland" im vergangenen Sommer im Siebengebirge zeigen. Auf einem Gruppenfoto zeigen fast alle Männer offen den sogenannten White-Power-Gruß, der als Erkennungszeichen Rechtsradikaler gilt.
Screenshot: IbDoku/X

Der AfD fällt es immer schwerer, rechtsextreme Tendenzen in der Partei zu leugnen. Belege zeigen, dass Aktivisten der extrem rechten Gruppierung "Revolte Rheinland" auf der Liste sowohl für die Stadtratswahl in Koblenz als auch in Trier stehen. Dabei wird die Organisation nicht nur vom Verfassungsschutz beobachtet, sondern steht auch auf der Unvereinbarkeitsliste der Partei.

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Die Belege dafür, dass die AfD zumindest in Teilen eine rechtsextreme Partei ist, häufen sich immer mehr. Da wären etwa die Äußerungen des AfD-Spitzenkandidaten bei den Europawahlen, Maximilian Krah. Kürzlich verharmloste er in einem Interview mit der italienischen Zeitung „La Repubblica“ die Waffen-SS und musste daraufhin den Bundesvorstand der Partei verlassen.​

Dann ist da das Gerichtsurteil gegen einen weiteren AfD-Spitzenpolitiker, den thüringischen Parteichef Björn Höcke. Er wurde kürzlich wegen des Verwendens von Kennzeichen von verfassungswidrigen Organisationen verurteilt. Und der Richterspruch des Oberverwaltungsgerichts Münster gilt gar für die ganze Partei: Der Bundesverfassungsschutz darf die AfD demnach als rechtsextremen Verdachtsfall einstufen und geheimdienstlich beobachten. Das Gericht sieht „hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte“ dafür, dass es in der Partei Bestrebungen gibt, „die gegen die Menschenwürde bestimmter Personengruppen sowie gegen das Demokratieprinzip gerichtet sind“ (siehe Infokasten am Ende des Artikels).

Aktivisten auf Wahllisten in Koblenz und Trier

Das alles scheint weit weg von Koblenz und Trier zu sein. Doch auch in der rheinland-pfälzischen AfD pflegen die Mitglieder teils sehr enge Beziehungen zu rechtsextremen Kreisen – etwa völkischen Burschenschaften. Gleich mehrere führende Politiker der Landespartei sind Mitglied in der Burschenschaft „Germania Halle zu Mainz“, darunter Sebastian Münzenmaier, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der AfD im Bundestag.

Der rheinland-pfälzische Verfassungsschutz hat die Gruppe kürzlich zum Beobachtungsobjekt erklärt, weil es „verfassungsfeindliche Bestrebungen oder Tätigkeiten“ gebe und eine „kontinuierliche rechtsextremistische und völkische Weltanschauung“ existiere (wir berichteten). Und offenbar reichen solche Beziehungen zu extrem rechten Gruppierungen bis in die lokalen Ebenen, bis nach Koblenz sowie Trier und Trier-Saarburg hinein. Marcel Philipps etwa, Chef der „Jungen Alternative“ (JA) Rheinland-Pfalz, der vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuften Nachwuchsorganisation der Partei, führt die Liste im Kreis Trier-Saarburg an. In der Stadt steht mit Mirco Kos ebenfalls ein ehemaliger Funktionsträger der JA auf der Liste.

Nach Recherchen unserer Zeitung und des „Trierischen Volksfreunds“ gehen die lokalen Beziehungen zwischen der AfD und rechtsextremen Kreisen aber noch tiefer. Auf der AfD-Liste zur Wahl des Stadtrats am 9. Juni steht sowohl in Koblenz als auch in Trier nach Erkenntnissen unserer Zeitung jeweils ein Aktivist der „Revolte Rheinland“.

Laut Verfassungsschutz gilt sie als Nachfolgeorganisation der rechtsextremen „Identitären Bewegung“ in Rheinland-Pfalz. In den sozialen Netzwerken sind Bilder von Banneraktionen und dem Verteilen von Flyern zu sehen, auf den Fotos treten die Teilnehmer teilweise vermummt auf. Auf einem Bild zünden sie Pyrotechnik und halten ein Transparent hoch. Darauf zu lesen: „Blut und Eisen statt Schuldkult-Propaganda.“

Im Text zum Beitrag ist zu lesen: „Das deutsche Volk als Schicksalgemeinschaft aus Abstammung, gemeinsamer Geschichte und Kultur ist der größte Dorn im Auge der globalistischen Eliten und steht somit dem gesellschaftlichen Transformationsprozess des Great Reset im Wege.“ In einem anderen Post ist vom „Erhalt unseres Volkes“ und dem „Stopp des Bevölkerungsaustauschs“ die Rede. Damit bringt die Truppe eine rassistische und ultrarechte Verschwörungserzählung in Umlauf.

„White-Power-Gruß“ als Erkennungszeichen von Rechtsextremisten

Unserer Zeitung liegen Belege vor, die den jungen Koblenzer AfD-Stadtratskandidaten – der Name ist der Redaktion bekannt – bei mindestens einer Wanderung der „Revolte Rheinland“ im vergangenen Sommer im Siebengebirge zeigen. Auf einem Gruppenfoto zeigen fast alle Männer offen den sogenannten White-Power-Gruß, der als Erkennungszeichen von Rechtsextremisten gilt.

Der Gruß ähnelt der Geste, die Taucher etwa für „Alles okay“ verwenden: Dabei werden Daumen und Zeigefinger zu einem Kreis geformt und die übrigen Finger abgespreizt. Darin kann man die Buchstaben „W“ und „P“ erkennen. „White Power“ soll in einschlägigen Kreisen die Macht oder vermeintliche Vorherrschaft von Menschen mit weißer Hautfarbe unterstreichen.

Der AfD-Abgeordnete Joachim Paul
Der AfD-Politiker Joachim Paul sitzt für die AfD im rheinland-pfälzischen Landtag sowie im Koblenzer Stadtrat, er ist außerdem der Kreisvorsitzende der Koblenzer AfD.
Harald Tittel/dpa

Der AfD-Landtagsabgeordnete Joachim Paul soll diesen Gruß auf einer AfD-Veranstaltung im vergangenen Jahr gezeigt haben. Der Koblenzer Kreisvorsitzende bestritt einen extremistischen Hintergrund seines Handzeichens (wir berichteten).

Strafbefehl gegen Paul rechtskräftig

Definitiv fest steht seit vergangener Woche: Der Strafbefehl, den das Amtsgericht Koblenz gegen Paul wegen des Verbreitens eines Videos im Internet und der Verletzung von Persönlichkeitsrechten erlassen hatte, ist rechtskräftig. Mit dem nun rechtswirksamen Strafbefehl über eine Geldstrafe mit 30 Tagessätzen – die genaue Höhe der zu zahlenden Strafe blieb offen -, gilt der AfD-Vertreter laut einer Gerichtssprecherin allerdings nicht als vorbestraft.

Zurück zum Aktivisten auf der Koblenzer Kommunalwahlliste: Auf Anfrage unserer Zeitung bestreiten weder der Student noch Joachim Paul, dass der Bewerber an der Wanderung der „Revolte Rheinland“ teilgenommen hat. Die Erklärung des Kandidaten gegenüber unserer Zeitung lautet: „Ich wandere gerne mit anderen jungen Menschen. Ein für alle Bürger offener Wandertag ist unpolitisch. Ich wollte nur zeigen, dass ich mich über die gelungene Wanderung freue. Mehr nicht.“

Aktivist behauptet: „War nie in der Revolte Rheinland“

Auf die Frage unserer Zeitung, ob er tatsächlich bestreiten wolle, den „White-Power-Gruß“ und seine Bedeutung zu kennen, antwortet das AfD-Mitglied: „Ich wundere mich mittlerweile echt darüber, dass Sie und linke Aktivisten sich einfach so anmaßen, besser über meine Gedanken und Absichten Bescheid zu wissen, als ich selbst.“ Die Frage, ob er heute noch in der „Revolte Rheinland“ aktiv ist, beantwortet er so: „Ich war nie in der Revolte Rheinland, ich habe an einer für alle Bürger offenen Wanderung teilgenommen.“ Sein Herz schlage für die Kommunalpolitik.

Ich wundere mich mittlerweile echt darüber, dass Sie und linke Aktivisten sich einfach so anmaßen, besser über meine Gedanken und Absichten Bescheid zu wissen, als ich selbst.

So äußert sich der junge Aktivist gegenüber unserer Zeitung

Joachim Paul, der im Juli 2023 unter Gegenprotest von etlichen Bürgern den rechtsextremen Kopf der „Identitären Bewegung“, den Österreicher Martin Sellner, in Koblenz empfangen hatte, teilt auf Anfrage mit: „Wir haben uns vor der Aufstellung der Liste eingehend mit dem Kandidaten befasst. Unser Fazit: Der junge Mann ist ein konservativer Patriot und durch und durch Demokrat. Er möchte sich für alle Bürger der Stadt einsetzen. Davon konnten wir uns überzeugen.“

Die bloße Teilnahme an einer Wanderung und „willkürliche Behauptungen“ hätten dabei „eine für uns untergeordnete Rolle“ gespielt, so der AfD-Kreisvorsitzende. Seine Kandidatur trage zur Strategie bei, mehr Frauen und junge Leute für das Stadtparlament zu gewinnen – vor allem jene, die die Sicherheit böten, ihre Berufsausbildung erfolgreich abzuschließen. Das sei ihm „das Wichtigste“, so Paul.

„Revolte Rheinland“ auf Unvereinbarkeitsliste

Was sich so selbstverständlich anhört – ein Rechtsaußen-Aktivist engagiert sich in einer in Teilen rechtsextremen Partei – hat die AfD selbst erst kürzlich ausgeschlossen. Im Dezember setzte die Partei die „Revolte Rheinland“ auf ihre Unvereinbarkeitsliste (siehe Infokasten).

Darauf finden sich eine Reihe von Organisationen, deren Mitglieder nicht zugleich der AfD angehören dürfen. Die „Revolte Rheinland“ wird darin als vom Verfassungsschutz bundesweit beobachtete rechtsextremistische Organisation aus Rheinland-Pfalz aufgeführt. Der Parteilogik zufolge könnte der Mann aus Koblenz also nicht gleichzeitig bei der „Revolte“ sein und als AfD'ler für den Stadtrat kandidieren, den Koblenzer Kreisvorsitzenden scheint das aber kaum zu interessieren.

Unvereinbarkeitsliste der AfD
Politikwissenschaftler, aber auch AfD-Leute wie Robin Classen, Pressesprecher der AfD-Landespartei, bezeichnen die „Revolte Rheinland“ als Vorfeldorganisation der Partei: „Klar ist aber, dass man entweder zum aktivistischen Vorfeld gehört oder zur Partei. Partei und das aktivistische Vorfeld bedingen sich gegenseitig, sollen und müssen aber organisatorisch und personell getrennt bleiben“, stellte er kürzlich in einem Kommentar klar. Ein weiteres Argument von Classen zeigt, dass die Unvereinbarkeit keineswegs mit ideologischer, sondern mit strategischer Abgrenzung zusammenhängt: „Grund für die Listung ist weit überwiegend eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz oder eigene Anhaltspunkte, die für eine gewisse Brisanz von Mitgliedsanträgen sprechen“, so Classen. Es sei offenkundig eine schlechte Idee, einerseits in einem Kreisvorstand Wahlprogramme zu schreiben und im Kreistag Haushaltsfragen zu diskutieren und sich am Wochenende auf Wohnhäusern zu verschanzen oder im Schutz der Dunkelheit Bengalos zu zünden und Banner aufzuhängen, kommentiert Classen weiter. Doch was Classen formuliert, scheint für Koblenz und Trier nicht zu gelten.

Auf die Fragen, mit welcher Mehrheit der Kandidat auf die Liste gewählt worden ist und ob es aus Pauls Sicht legitim ist, das Votum der AfD-Mitglieder über den Unvereinbarkeitsbeschluss der Partei zu stellen, reagiert er so: „Die Aufstellung einer Liste eine interne Angelegenheit, die Wahlen waren demokratisch und deshalb geheim.“ Der Wahlausschuss der Stadt Koblenz habe die AfD „wie immer selbstverständlich ohne Beanstandungen einstimmig zugelassen“, so wie man das von demokratischen Mitbewerbern erwarte.

Paul behauptet: „Unser Kandidat ist politisch nur im Rahmen der AfD aktiv und konzentriert sich seit geraumer Zeit ausschließlich auf die Kommunalpolitik, den Wahlkampf und sein Studium“.

Weitere Fragen unserer Zeitung, warum der junge Aktivist offenbar bei der „Revolte Rheinland“ aktiv sein und gleichzeitig für das Koblenzer Kommunalparlament kandidieren kann und ob er nach Pauls Kenntnis noch in der Gruppierung tätig ist, lässt der AfD-Landtagsabgeordnete gänzlich unbeantwortet – unter anderem mit Verweis auf vorherige Ausführungen.

Aktivist auch auf AfD-Wahlliste in Trier

In Trier zeigt sich ein ganz ähnliches Bild. Der Redaktion des „Trierischen Volksfreunds“ liegen Fotos vor, die mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit einen AfD-Mann für den Trierer Stadtrat bei mindestens zwei Aktionen der „Revolte Rheinland“ zeigen. Bei einer Aktion, die von den Aktivisten im Juni 2023 selbst auf Telegram geteilt wurde, posieren drei teilweise vermummte Mitglieder vor einer schwarz-rot-goldenen sogenannten Odal-Rune – dem Logo der „Revolte“ -, die sie an eine Wand in Trier gesprayt haben. Die Odal-Rune wurde laut Bundesverfassungsschutz zu Zeiten des Nationalsozialismus als Symbol für „Blut und Boden“ verklärt.

Das linke Bild zeigt den Stadtratskandidaten der AfD an einem Stand in der Innenstadt neben dem AfD-Kreisvorsitzenden in Trier, Michael Frisch, und einer weiteren Person. Rechts ist der Mann bei einer Aktion der "Revolte Rheinland" zu sehen. Er posiert mit White-Power-Zeichen vor einer frisch gesprühten, leicht verfremdeten Odal-Rune. Dieses Zeichen ist nicht nur ein Symbol der rechtsextremen "Revolte Rheinland". Laut Verfassungsschutz war die Rune zu Zeiten des Nationalsozialismus als Symbol für "Blut und Boden" verklärt. Das White-Power-Zeichen symbolisiert in rechtsextremen Kreisen die Vormacht der Weißen.
TV/Fotomontage Volksfreund (Quel

Zwei Personen auf dem Foto – einer davon offensichtlich der Trierer Stadtratskandidat – zeigen im Anschluss an die Spray-Aktion triumphierend das White-Power-Zeichen. Quellen aus professionellen Kreisen sowie aus dem erweiterten Umfeld des Kandidaten bestätigen im Gespräch mit dem „Trierischen Volksfreund“ die Identität des Mannes sowie die Übereinstimmung der persönlichen Merkmale auf Vergleichsfotos, obwohl der Mann bei der Aktion teilweise vermummt ist. Der Trierer AfD-Spitzenkandidat und ehemalige AfD-Landesvorsitzende Michael Frisch zeigte sich kürzlich mit dieser Person bei einem Wahlkampfstand der AfD in Trier.

Kreisverbandschef: Kein Grund für Zweifel an demokratischer Gesinnung

Der Trierer AfD-Kreisverbandschef Michael Frisch erklärte auf Anfrage vergangene Woche, dass der Partei solche von der Redaktion „unterstellten außerparteilichen Aktivitäten“ nicht bekannt seien. „Insofern besteht auch keine Veranlassung für uns, Konsequenzen daraus zu ziehen“, sagte Frisch. „Ich kann Ihnen aber versichern, dass wir alle unsere Kandidaten sorgfältig geprüft haben und daher keinerlei Grund besteht, an ihrer demokratischen Gesinnung zu zweifeln.“

AfD-Politiker Michael Frisch
Michael Frisch war bis zu seiner Abwahl im November des vergangenen Jahres Vorsitzender der AfD-Landtagsfraktion. Nun sitzt er als fraktionsloser Abgeordneter im Landtag. Frisch ist Kreisverbandschef der Trierer AfD.
Arne Dedert/dpa

Dem SWR, der ebenfalls über den Kandidaten berichtete, sagte Frisch hingegen: Der Mann habe erklärt, im vergangenen Jahr „lose Kontakte“ zu „Revolte Rheinland“ gehabt zu haben. Trotz dieser Bestätigung erklärte der Trierer Parteichef weiter, die AfD sei überzeugt davon, dass der Kandidat „fest auf dem Boden unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung“ stehe. Laut Frisch bestreitet der Kandidat im Übrigen, an besagter Aktion beteiligt gewesen zu sein. Der Mann selbst ließ eine Anfrage über den AfD-Kreisverband unbeantwortet.

Sachstand im Verfahren gegen Höcke und AfD
Björn Höcke hat öffentlich eine SA-Parole genutzt. Das Landgericht Halle verurteilte ihn wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen zu einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen (13.000 Euro). Gegen dieses Urteil hat Höcke genauso Rechtsmittel eingelegt wie die AfD gegen die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Münster zu der Einstufung der Partei durch den Verfassungsschutz als rechtsextremer Verdachtsfall. In beiden Fällen kann nur noch geprüft werden, ob Rechtsfehler gemacht worden sind. Neue Beweisanträge spielen dabei keine Rolle mehr.

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