Sport-Kommentar
Kommentar zu einem Bundestrainer, um den es einsam wird: Löw, der gescheiterte Reformator

Die Fußballschuhe waren noch warm, der Löw'sche, dem Frust entspringende Standardsatz „die Enttäuschung ist natürlich groß“ soeben in den Duisburger Nachthimmel gehaucht, da machte sich nach dem legendären 1:2 gegen Nordmazedonien in den (a)sozialen Netzwerken wieder der Wut- und Schimpfkonformismus breit. Auch die Berufszyniker waren pünktlich zur Stelle. „Nach den Aktionen für den Erhalt der Menschenrechte in Katar scheint die Nationalmannschaft jetzt dazu überzugehen, die WM auch sportlich zu boykottieren“, schrieb da ein Zeitgenosse. Ja, wer den Schaden hat, muss auf Spott und Häme in diesen Zeiten nicht lange warten.

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Die DFB-Elf trifft es dabei besonders hart, sind doch die Schadensberichte seit der verkorksten WM 2018 eher Regel als Ausnahme und in ihrer Häufigkeit schon bedenklich. Und wer nach dem 0:6 der Adlerträger gegen Spanien im November vergangenen Jahres geglaubt hatte, Löw und die Seinen seien am Tiefpunkt ihres Schaffens angelangt, sah sich nach dem Offenbarungseid gegen den Weltranglisten-65. eines Besseren belehrt. Natürlich war man nicht Augenzeuge eines Boykottversuches der Mannschaft geworden. Nein, sie können derzeit offensichtlich nicht anders – was die Sache auch nicht besser macht.

Die Frage, die sich unsereinem nach einem solchen Abend dann stellt, ist die: Warum ergibt eine erkleckliche Anzahl hochbegabter, großartiger Fußballer nicht automatisch eine großartige Mannschaft? Und daraus folgernd: Warum ist der deutsche Fußball international nur noch zweitklassig?

Es ist allerhand passiert nach 2018. In dem Maß, wie Jogi Löw seine Souveränität verloren und Fehler gemacht hat, hat das Lager seiner Kritiker Zulauf bekommen. Mit den guten Ergebnissen schwand auch das Vertrauen bei Millionen von „Bundestrainern“ im Land in die Arbeit des einzig wahren, allerdings immer ratloser wirkenden Bundestrainers. Auf einmal wurde Kontinuität zum Fluch. Löws Erklärungsversuche wurden stereotyp, ja, vorhersehbar. Vieles hatte sich entwickelt. Nur die Mannschaft nicht. Bei ihrer Reformation blieb es beim Versuch, und wo der Spielstil variabler werden sollte, ist mittlerweile gar keiner mehr erkennbar.

Der Trainer, der nach dem WM-Titel 2014 den ewigen Sonnenschein für sich zu beanspruchen schien, ist auf einmal nur noch ein Schattenmann. Die späte Erkenntnis kam dann vor Wochen: Löw macht im Sommer Schluss – aufatmen. Aber erst nach der EM – durchatmen. Nach Löws Selbstverständnis ist er selbst eben immer noch der beste Bundestrainer. Der Mann, der etwas bewegen kann und bei der EM erfolgreich sein wird. Das könnte sein letzter großer Irrtum sein. Jetzt steht ein 1:2 gegen Nordmazedonien in der Chronik seines angekündigten Abgangs – und die Hoffnung ist gering, dass diese Chronik im Sommer mit dem zweiten Titelgewinn in der Löw-Ära endet.

Hätten wir eine DFB-Verbandsspitze, die diesen Namen auch verdient, wäre spätestens im März Schluss gewesen mit der Amtszeit von Joachim Löw. Herr Löw, Herr Bierhoff – auf Wiedersehen. Danke für alles. Herr Kuntz, übernehmen Sie. Und Ralf Rangnick hätte seine strategischen Fähigkeiten als Manager der DFB-Elf einbringen können. Eine solche Verbandsspitze aber haben wir nicht. Wir haben eher eine, die Steuer-Razzien und interne Grabenkämpfe erklären muss, mithin genug mit sich selbst zu tun hat.

Wohl wissend, dass ihm keiner den Stuhl vor die Tür setzt, taktierte Löw so: Jene, die stets und ständig die Rückkehr des ausgeboteten Trios Mats Hummels, Thomas Müller und Jerome Baoteng anmahnen, vertröstete er mit einem „möglicherweise“ auf die Zeit kurz vor der EM. Davor aber wollte Löw die drei WM-Qualispiele ebenso souverän wie siegreich gestalten und seinen Kritikern damit den Wind aus den Segeln nehmen. Das ist grandios danebengegangen. Die alten Probleme sind auch die neuen. Um zu dieser Feststellung zu kommen, muss man kein Zyniker sein. Manchmal reicht schon eine gesunde Portion Realismus.

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