Sven Sabock zur Mentalitäts-Diskussion bei Borussia Dortmund
Wenn zum Beispiel Torwart Roman Bürki nach dem 2:2 gegen Bremen davon spricht, dass er sich „mehr Aggressivität wünschen würde“, schwingt zumindest der Vorwurf mit, dass es manche seiner prominenten Kollegen an der Einstellung – man könnte auch sagen Mentalität – vermissen lassen.
Doch was bedeutet überhaupt dieser abstrakte Begriff, der offenbar erst im heutigen Fußball-Jargon Einzug gehalten hat? „Das Wort ,mental’ gab es zu meiner Zeit als Spieler gar nicht. Nur eine Zahnpasta, die so ähnlich hieß“, witzelte einst Schalke-Manager Rudi Assauer, bekanntlich ein Kind der Bundesliga. Wenn es denn den Terminus zu Zeiten des Schwarz-Weiß-Fernsehers schon gegeben hätte, er wäre wohl etwas plastischer als „Gras fressen“, den „Rasen umpflügen“ oder „kratzen und beißen“ umschrieben worden. Wer dem nicht nachkommt, hat gefälligst die Sportart zu wechseln. Oder anders ausgedrückt: Ich grätsche, also bin ich.
Assauer hätte wahrscheinlich auch wenig mit der Wortschöpfung des „aggressive leaders“ anfangen können, mit der Ex-Bayern-Trainer Ottmar Hitzfeld einen Stefan Effenberg oder später den Niederländer Mark van Bommel bedachte – die „aggressiven Anführer“ quasi als Synonym für Mentalitätsspieler. Dummerweise haben die Bayern seinerzeit auch Spiele verloren, grimmiges Dreinblicken und der Versuch, den Gegner einzuschüchtern, sind also nur ein Puzzle-Teil im komplexen System Fußball.
Nein, Mentalität allein macht keine Sieger – wie uns Union Berlin gerade vor Augen führt. Der Aufsteiger aus Köpenick definiert sich über Einsatz, Leidenschaft und Zusammenhalt und hat durch das umjubelte 3:1 gegen Borussia Dortmund die Diskussion quasi losgetreten, rangiert aber (wie erwartet) im Tabellenkeller. Vielmehr ist es wohl die sportliche Qualität einer gesamten Mannschaft, die am Ende die Grundlage für Titel und Trophäen darstellt.
Fehlt es dem BVB also an Qualität? Selbstverständlich nicht, entgegnete Manager Michael Zorc schon vor dem frustrierenden 2:2 gegen Werder Bremen, wobei die Ursachenforschung beim Revierklub insgesamt ins Leere läuft. Die fußballerische Güte ist zweifellos vorhanden, zudem stehen Akteure wie Mats Hummels, Axel Witsel oder Marco Reus für Charakterstärke auf dem Platz. Und nicht zuletzt wurde ja Matthias Sammer als Berater verpflichtet, um die weichen Faktoren des Erfolgs zu ergründen. Der Europameister von 1996 würde heute als der Inbegriff des Mentalitätsspielers gelten – das Dortmunder Mysterium konnte er bislang aber ebenfalls nicht auflösen. Bliebe die einfachste aller Lösungen: einfach mal die Vielzahl an vorhandenen Torchancen nutzen. Das würde manche Diskussion im Keim ersticken.