Das hohe Niveau der Trainingsgruppe des MTV Bad Kreuznach hebt auch Fabian Vogel explizit hervor. „Vor einigen Jahren war ich ziemlich alleine im Training. Nun sind wir einige, die im höchsten Leistungsbereich trainieren. Das motiviert und pusht enorm“, erklärt Deutschlands seit Jahren bester Turner. Nach einem kurzen Intermezzo in Hannover ist er im Sommer an die Nahe zurückgekehrt. Neben Prostorov und Vogel gehören in Aileen Rösler und Aurelia Eislöffel auch zwei starke Turnerinnen zur Trainingsgruppe, die zeitweise um den Brasilianer Rafael Andrade und den Österreicher Benny Wizani erweitert wird. In exakt dieser Besetzung gewann der MTV im Oktober die Bundesliga, nun sollen gute Platzierungen bei der WM herausspringen.
„Ich fühle mich sehr gut, reise bestens vorbereitet nach Sofia, möchte das Halbfinale erreichen und dann unter die besten 15 kommen“, nennt Vogel, der für den Saisonhöhepunkt sein Gewicht reduziert hat, seine Zielsetzung für die WM. Das Großereignis in Sofia ist auch eine Standortbestimmung mit Blick auf die Qualifikation für die Olympischen Spiele in Paris, die im nächsten Jahr über die Weltcups erfolgt.
WM ist auch ein Gradmesser für die Turner
Die WM ist zudem eine spannende Angelegenheit, weil sie nach den Spielen in Tokio die erste Zusammenkunft aller Turner ist. Die Weltcups in diesem Jahr hatten nämlich einige Nationen ausgelassen. Fragen, die nun beantwortet werden: Welche Veränderungen gibt es in den Kadern? Welche Turner haben sich verbessert? Gibt es technische und turnerische Entwicklungen? Da werden alle genau hinschauen, und das gilt auch für Vogel und seine deutschen Teamkollegen.
Einstellen müssen sich alle auf ein neues Wettkampfsystem. Der Vorkampf bestand bisher aus einer Pflichtübung und einer Kür, die gemeinsam gewertet wurden und übers Weiterkommen bestimmt haben. Die Pflicht wurde gestrichen, nun hat jeder Turner zwei Kürchancen. Die bessere Übung wird gewertet. „Mir hat die Pflicht eigentlich immer gefallen, weil sie eine gute Möglichkeit war reinzukommen. Auf der anderen Seite ist es auch ein Vorteil, zwei Kürchancen zu haben“, sagt Vogel.
Sicherheit und Risiko bei den Übungen
Er wird in Sofia zwei unterschiedliche Übungen zeigen: zunächst eine Sicherheitskür mit einer Schwierigkeit von 16,2 – auch um für die Teamwertung eine brauchbare Punktzahl vorzulegen. Anschließend folgt dann die 17,1-Risiko-Variante, die auch im Halbfinale geplant ist, weil sie die Chancen erhöht, weit nach vorne zu kommen.
Neben dem Einzel hofft Vogel auf eine gute Teamplatzierung und auf ein starkes Abschneiden im Synchron-Wettbewerb. Mit dem Stuttgarter Matthias Pfleiderer hat er sich zu einem der besten Synchronturner weltweit entwickelt. Die beiden sind Europameister und Vize-Weltmeister – da rechnen sie sich natürlich auch in Sofia etwas aus.
Aileen Rösler, die zweite MTVlerin bei der Erwachsenen-WM, hat nur zwei Finalchancen. Das Team entfällt, da neben ihr bei den Frauen nur noch Leonie Adam aus Stuttgart nominiert wurde. Beide kennen sich gut und gehen im Synchron-Wettbewerb aufs Gerät. Das Hauptaugenmerk liegt aber auf dem Einzelwettkampf. Dass Aileen Rösler den bei der WM bestreiten darf, war zu Beginn des Jahres nicht zu erwarten gewesen. Sie erfasste 2021 das Black-out-Phänomen, bei dem langjährigen Leistungsturnern plötzlich die Sprungsicherheit abhanden kommt.
Aileen Rösler suchte Rat bei MTV-Trainer Steffen Eislöffel und fand unter ihm in Bad Kreuznach Schritt für Schritt wieder zur alten Leistungsstärke zurück. Nach ihrer Grundausbildung bei der Bundeswehr im Frühjahr entschied sie sich dann, den Bundesstützpunkt in Stuttgart zu verlassen und nach Bad Kreuznach zu ziehen. Mittlerweile startet sie auch für den MTV. „Das war alles gar nicht so geplant gewesen. Aber ich fühle mich in Bad Kreuznach einfach sehr, sehr wohl. Es macht richtig viel Spaß, beim MTV zu trainieren“, erzählt Aileen Rösler und ergänzt: „Im Moment passt alles für mich.“
Mein Ziel ist, im Vorkampf meine beste Leistung abzurufen und das Halbfinale der besten 24 Turnerinnen zu erreichen.
Turnerin Aileen Rösler
Im Gegensatz zu Vogel wird sie in beiden Vorkampf-Durchgängen die gleiche Übung turnen – eine Übung, die von der Schwierigkeit (13,3) sogar über ihrem Schwierigkeitsgrad vor der unfreiwilligen Pause liegt. „Mein Ziel ist, im Vorkampf meine beste Leistung abzurufen und das Halbfinale der besten 24 Turnerinnen zu erreichen. Das wäre unter mehr als 70 gemeldeten Turnerinnen schon eine gute Platzierung“, sagt Aileen Rösler.
Nach der WM will sie dann mit den in Sofia gesammelten Erkenntnissen die weiteren Schritte mit Blick auf die Olympia-Qualifikation machen. „Die WM jetzt wird mir sehr gut zeigen, wo ich gerade stehe“, erläutert Aileen Rösler die Bedeutung des Großereignisses. Am Mittwoch stehen in Sofia für die Frauen und Männer die Einzel-Qualifikationen an, am Donnerstag folgen die Synchron-Wettkämpfe, ehe es am Freitag und Samstag um die Medaillen geht. Dann beginnt es wieder bei Null, im Halbfinale und Finale müssen sich die Turner in einer Kür beweisen.
Nachwuchs-WM auf den gleichen Geräten
Traditionell richtet der Turnweltverband direkt nach der Erwachsenen-WM in der gleichen Halle und auf den gleichen Geräten seine Nachwuchs-Weltmeisterschaften aus. Bei denen ist MTV-Turnerin Aurelia Eislöffel mittlerweile Stammgast, auch 2022 qualifizierte sie sich als erste Deutsche für Sofia. „Ich freue mich sehr. Jede WM ist etwas Besonderes. Ich war noch nie in Sofia, und die Halle und die Stimmung dort sollen großartig sein“, sagt Aurelia Eislöffel.
Zu ihren Aussichten im Einzel lässt sich noch weniger als in den Vorjahren sagen, was einem neuen Modus geschuldet ist. Beim Nachwuchs erreicht der Erste jeder Vorrundengruppe das Finale. „Um meine Finalchancen einschätzen zu können, müsste ich also erst einmal meine Gruppengegner kennen“, erklärt Aurelia Eislöffel.
Synchronwettbewerb besonders spannend
Zwei weitere Finaltickets werden über die Punktzahl vergeben. An einem guten Tag ist Aurelia Eislöffel das Finale zuzutrauen. Sie wird dabei die Kür turnen, mit der sie auch beim Bundesliga-Finale überzeugt hat. „Mit der fühle ich mich sicher“, sagt die 16-Jährige. Richtig gut sind die Medaillenchancen im Synchronwettbewerb mit Maya Möller, schließlich brachten die beiden schon mehrfach internationales Edelmetall mit nach Hause.
Da im Nachwuchsbereich nicht alle Kosten für Reisen und Übernachtungen vom Deutschen Turner-Bund übernommen werden, müssen die WM-Teilnehmer einen Eigenanteil leisten. Aurelia Eislöffel wird dabei von Steffen Henkel, einem ehemaligen Trampolinturner, als Sponsor unter die Arme gegriffen. „Danke an Steffen, seine Unterstützung hilft sehr“, freut sich Aurelia Eislöffel. Sie plagt aktuell eine Entzündung am Mittelfuß, wegen der sie zuletzt kürzertreten musste. „Ich habe wohl vorher zu viel trainiert, so ist die Entzündung entstanden“, berichtet die Nachwuchsturnerin, die aber bei der WM auf die Zähne beißen und erst danach eine längere Pause einlegen wird.