Vanessa Roos kann ihr Glück nicht fassen. Völlig ungläubig schaut sie, als bei der Siegerehrung bei den deutschen Meisterschaften in Heinsberg ihre Startnummer 86 aufgerufen wird. Dabei hatte sie sich die Nummer aufgrund ihres Geburtsjahrs selbst ausgewählt, und trotzdem dauerte es einige Sekunden, bis sie realisierte, dass sie den Titel in der Bikini-Klasse in der Altersklasse ab 35 Jahre gewonnen hat. „Ich war total überrascht, weil ich eine sehr starke Konkurrentin hatte, die ich vorne erwartet hatte. Doch die Wettkampfrichter haben es anders gesehen, was mich natürlich total gefreut hat“, erzählt sie noch immer ergriffen.
Der Begriff Bikini-Klasse bezieht sich übrigens nicht auf die Art der Präsentation, Bikinis müssen auch in anderen Klassen getragen werden, sondern vielmehr auf die muskulären Anforderungen, in diesem Fall sollte das muskuläre Verhältnis zwischen Ober- und Unterkörper ziemlich ausgeglichen sein.
Erfolgreiche Saison gekrönt
Der Erfolg in Heinsberg passte ins Bild einer sehr erfolgreichen Frühjahrs-Saison, die von unterschiedlichen Wettkämpfen in verschiedenen Verbänden geprägt war. Zuvor war Vanessa Roos bereits in der Mastersklasse Deutsche Vizemeisterin geworden und Rang drei gab es bei den fränkischen Meisterschaften in einer offenen Klasse. Besonders wichtig war ihr zudem der zweite Platz bei den deutschen Meisterschaften im Natural-Bodybuilding. „Im Gegensatz zu anderen Meisterschaften ist dort nämlich ein Dopingtest verpflichtend“, erklärt die Bad Kreuznacherin und fügt an: „Viele verbinden Bodybuilding mit Anabolika und Steroiden, aber dem ist nicht so, und beim Natural-Bodybuilding werden die wenigen Schwarzen Schafe, die es natürlich auch in unserem Sport gibt, ausgeschlossen.“
Anstatt mit Medikamenten nachzuhelfen, erreicht Vanessa Roos ihre außergewöhnlichen Ergebnisse mit harter Arbeit. „In der Vorbereitung auf die Saison dreht sich alles 24/7 um meinen Sport, da stelle ich viel zurück, auch soziale Kontakte“, berichtet sie und erklärt: „Ich stehe schon um 4.30 Uhr auf, um mich ausreichend zu dehnen. Anschließend folgt Cardio. Glücklicherweise habe ich einen Hund. Die Spaziergänge mit ihm gelten als Cardio. 90 Minuten verbringe ich zudem mit dem Kochen meiner Spezialernährung. Fünfmal die Woche geht es an die Geräte für Kraftübungen“, erzählt die Deutsche Meisterin und fügt noch einen ganz wichtigen Punkt an: „Was die wenigsten wissen, ist, dass für Bodybuilder auch Regeneration und damit Schlaf eine ganz wichtige Rolle spielen. Ich muss jede Nacht acht Stunden schlafen.“
Bodybuilderin ist Vollstreckungsbeamtin
Und das Ganze passiert alles im Einklang mit ihrem Beruf als Vollstreckungsbeamtin der VG Bad Kreuznach. „Da sind ja ein paar Muskeln nicht schlecht“, sagt Vanessa Roos mit einem lauten Lachen. Etwas ernster erzählt sie aber auch von Enthaltsamkeiten: „Wenn ich mich mit Freunden zum Essen verabredet habe, habe ich vor dem Restaurant aus Tupperschalen meine Nahrung zu mir genommen und im Restaurant dann nur ein Wasser bestellt.“
Doch wie wird eine sportliche Frau eigentlich zu einer so erfolgreichen Bodybuilderin? Den einen Moment dafür gab es bei Vanessa Roos nicht. „Ich bin da so irgendwie reingerutscht“, erzählt sie. Zunächst besuchte sie ein Fitnessstudio, im nächsten Schritt gab sie Kurse. Sie erzählt: „Ich wollte dann noch etwas für mich selbst machen und habe an den Geräten trainiert. Da habe ich dann schnell Erfolge an mir bemerkt.“ Und die motivierten sie, nicht nur weiterzumachen, sondern auch Wettkämpfe zu besuchen.
Bei denen spielt die Präsentation eine riesige Rolle. „Du kannst den tollsten und muskulärsten Körper haben, aber wenn du ihn nicht attraktiv präsentierst oder keine Ausstrahlung hast, wirst du nicht gewinnen“, hat sie festgestellt. Ihr imponiert dabei der Zusammenhalt unter den konkurrierenden Frauen, sagt: „Da gibt es einen großen Zusammenhalt, dass die Ellenbogen ausgepackt werden, habe ich nur selten erlebt.“
Das Gehen auf hohen Schuhen bereitet ihr Probleme
Eine Sache bereitet ihr bei den Shows aber große Probleme: das Gehen auf hohen Schuhen. „Die sind vorgeschrieben, aber seit einem Bänderriss 2023 habe ich bis heute große Schmerzen, wenn ich mit hohen Schuhen auf die Bühne muss.“ Dort sind auch weitere Dinge Voraussetzung. Und schon wären wir bei einer weiteren Facette des Sports, den hohen Kosten. „Wir erhalten keinerlei Siegprämien oder Preisgelder, müssen dagegen die Anfahrten, die Hotel und alles andere aus eigener Tasche bezahlen“, berichtet Vanessa Roos. Zwei Posten stechen dabei ins Auge. Das Make-Up für den gesamten Körper kostet sie pro Wettkampf zwischen 160 und 200 Euro. Und der Bikini, den sie trägt, ist auch nicht gerade von der Stange. „Ich habe mich für einen aus der Low-Budget-Kategorie entschieden, aber weit über 1000 Euro bezahlt. Nach oben gibt es da keine Grenzen“, erklärt die Bad Kreuznacherin. Die hohen Kosten sind auch ein Grund dafür, warum sie derzeit nicht plant, internationale Veranstaltungen zu besuchen. „Das wäre theoretisch möglich, aber das würde noch mehr kosten“, erläutert die Deutsche Meisterin und schiebt mit einem Schmunzeln hinterher: „Also Golfspielen wäre günstiger.“
An meine Grenzen zu kommen und vielleicht auch mal darüber hinaus, das hat in mir eine Leidenschaft ausgelöst.“
Vanessa Roos
Doch beim Golfspielen würde Vanessa Roos vermutlich nicht die Faszination spüren, die ihr das Bodybuilden vermittelt. „Zu erkennen, wozu der eigenen Körper in der Lage ist, was er aushalten und wie er performen kann, das ist einfach großartig. An meine Grenzen zu kommen und vielleicht auch mal darüber hinaus, das hat in mir eine Leidenschaft ausgelöst“, sagt sie. Doch nach dem letzten Wettkampf Ende Mai freut sie sich auf die Off-Season: „Dann kann ich auch mal wieder ganz normal leben.“