Nick Woltemade weiß, wo er herkommt: aus der 3. Liga. „Ich habe vor zwei Jahren auch noch dort gespielt, deshalb wollte ich den Jungs zu ihrer großartigen Leistung gratulieren“, sagte der Stürmer und Finaltorschütze des neuen DFB-Pokalsiegers VfB Stuttgart, nachdem er nach dem Schlusspfiff zuerst zu den unterlegenen Gegenspielern des Drittliga-Meisters Arminia Bielefeld gegangen war – und dann erst zu den eigenen feiernden Fans in der Ostkurve des Olympiastadions.
Woltemade ist der Spieler der Stunde in Stuttgart. Nach einer starken Hinrunde wurde der 23-Jährige sowohl für die U21-EM im Juni in der Slowakei als auch für das Nations-League-Finalturnier der A-Nationalmannschaft kurz davor berufen. „Ich kann das alles nur schwer begreifen“, stammelte Woltemade nach dem gewonnenen Finale von Berlin. In der Saison 2022/23 hatte der schlaksige Angreifer noch in Liga drei bei einer gewissen SV Elversberg unter Trainer Horst Steffen zehn Tore zum Zweitliga-Aufstieg beigesteuert. Dass Werder Bremen den torgefährlichen und trickreichen Stürmer vor dieser Saison ablösefrei nach Stuttgart ziehen ließ, werten nicht nur bei Werder viele als schweren und unerklärlichen Fehler. Im Endspiel gegen die tapferen Arminen stellte Woltemade abermals seine Klasse unter Beweis, er machte in vorderster Reihe viele Bälle für seine nachrückenden Mitspieler fest und hatte neben seinem Treffer zum wichtigen 1:0 in eine Bielefelder Drangphase hinein weitere gute Möglichkeiten. „Das Ganze ist phänomenal“, sagte Woltemade überwältigt.
Dritter Hoeneß als Pokalsieger
Überhaupt werteten die Stuttgarter, die die Arminia kaum zur Entfaltung hatten kommen lassen, diesen Sieg als einen aus der großen Kategorie. Vor allem, weil die abgelaufene Saison nach der überraschenden Vizemeisterschaft im Vorjahr bis dato eine schwierige war. Die Freude über den vierten Pokalsieg des VfB nach 1954, 1958 und 1997 sei „unbeschreiblich“, meinte VfB-Coach Sebastian Hoeneß erleichtert. Der 43-Jährige gewann als Nächster aus der Familie nach seinem Onkel Uli und seinem Vater Dieter den zweitwichtigsten Titel im deutschen Fußball und machte aus dem VfB in nur zwei Jahren aus einem Relegationsteilnehmer einen Titelträger. „Ich hoffe, dass wir uns jetzt alle einig sind, dass wir auf eine starke Saison zurückblicken können“, sagte der Coach wohl auch im Hinblick auf die Kritiker im Umfeld, die die schwache Bundesliga-Rückrunde mit sechs Heimniederlagen in Serie und dem neunten Tabellenplatz am Saisonende monieren.
Doch im Finale von Berlin, in dem die Stuttgarter gegen den krassen Außenseiter aus Ostwestfalen viel zu verlieren hatten (Hoeneß: „Es war ein Spiel mit großer Fallhöhe“), zeigte seine Mannschaft eine fast schon verloren geglaubte Qualität. „Wir waren endlich mal wieder sehr effektiv“, lobte Hoeneß die Ausbeute vor allem in der ersten Halbzeit. „Und nach der Pause haben wir nicht nachgelassen.“ Immer wieder setzte der VfB die Arminen bei deren Ballgewinnen unter Druck.
Stiller nach Comeback als Antreiber
Eine besondere Rolle spielte Mittelfeldmann Angelo Stiller. Der 24-Jährige hatte nur 13 Tage vor dem Pokalfinale bei der Bundesligapartie gegen den FC Augsburg nach einem groben Foul von FCA-Spieler Manuel Essende einen doppelten Bänderriss im rechten Sprunggelenk erlitten, meldete sich aber rechtzeitig und nach rascher Genesung einsatzbereit für das Titelspiel. „Ich wollte unbedingt bei diesem Finale dabei sein“, sagte Stiller, der gegen Bielefeld ein herausragendes Spiel machte und unter anderem zwei Treffer vorbereitete. Der überlegene VfB hätte noch mehr Tore erzielen können. Einen Kopfballtreffer nach einer Stiller-Ecke hatte jedoch der aus Thür im Landkreis Mayen-Koblenz stammende Schiedsrichter-Assistent Benedikt Kempkes, der im souverän leitenden Gespann um Hauptschiedsrichter Christian Dingert an der Linie fungierte, wegen einer Abseitsstellung abgewunken (71.). So kam der VfB durch zwei späte Bielefelder Tore noch einmal in kurze finale Bedrängnis.
Zurück in Stuttgart waren Mannschaft und Trainerstab des VfB vor einem ausgedehnten Autokorso und der geplanten Party-Fortsetzung mit den Fans auf dem Schlossplatz zum Eintrag ins Goldene Buch ins Rathaus eingeladen. Ein Pokalsieg muss schließlich ausgiebig gefeiert werden.
Nach der Champions-League-Teilnahme in der zurückliegenden Saison mit Highlight-Spielen bei Real Madrid (1:3) und Juventus Turin (0:1) sowie gegen Paris Saint-Germain (1:4) hat der VfB in der kommenden Spielzeit als Pokalsieger nun acht Gruppenspiele in der Europa League und damit weitere Einnahmen sicher. „Der Weg, den wir gerade gehen, ist enorm. Wir haben jetzt zwei phänomenale Saisons nacheinander gespielt“, urteilte Woltemade. Trainer Hoeneß habe daran einen „sehr großen Anteil“. Und Stürmer Woltemade, der Mann der Stunde beim VfB, natürlich auch.