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Wie ein Computerspiel: Virtueller Kreistag mit Gegenstimmen und läppischen Enthaltungen

Ungewöhnlich war der Fußball-Kreistag nicht nur deshalb, weil er nicht als Präsenzveranstaltung, sondern zum ersten Mal virtuell stattfand, sondern vor allem wegen des Abstimmungsverhaltens der Vereinsdelegierten. Derart viele Enthaltungen und Gegenstimmen wie diesmal hat es wohl noch nie gegeben, wenn es um die Wahl eines Kreisausschusses ohne Gegenkandidaten und Anträge zur Änderung der Satzung beziehungsweise Spielordnung ging.

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Nachspielzeit von Sascha Nicolay

Normalerweise werden Kreisvorstände mit Zustimmungszahlen gewählt, die selbst CSU-Spitzenkandidaten bei ihren Parteitagen nicht erreichen. Üblicherweise enthält sich nur der Kandidat selbst (warum auch immer) und im Saal an den Tischen gehen vielleicht noch zwei weitere Enthaltungshände in die Höhe. Nachdem gefragt worden ist, wer für die Wahl des Kandidaten sei, blickt man praktisch immer in einen Wald von senkrecht in die Höhe gestreckten Armen. Meist heißt es dann, dass der Kandidat einstimmig gewählt sei. Versammlungsleiter, die die Wahl moderieren, kommen beim Abarbeiten der zu Wählenden üblicherweise in eine Art mechanischen Flow, so dass sie auch dann einstimmig Gewählte verkünden, wenn es überraschend doch mal eine Gegenstimme gibt.

Anders am Samstagmorgen: Wenn da ein Präsenzkreistag gewesen wäre und die Delegierten hätten genauso oder ähnlich abgestimmt, dann hätten Wahlkommission und Versammlungsleiter richtig zu tun gehabt. Nichts wäre es mit mechanischem Abarbeiten gewesen. Richtig zählen hätten sie gemusst, und damit sie das auch hingekriegt hätten, wäre bei den Kandidaten Muskelschmalz nötig gewesen, um den Arm lange genug oben zu behalten.

In Zukunft geheime Wahlen

Es stellt sich nur die Frage, ob das Wahlverhalten der Delegierten in Hettenrodt im Bürgerhaus, dort, wo der Kreistag eigentlich stattfinden sollte und wo die Vereinsvertreter wieder nebeneinander an langen Tischreihen gesessen hätten, genauso gewesen wäre wie diesmal im virtuellen Raum, alleine im Wohnzimmer, der Küche, am heimischen Schreibtisch oder im Wintergarten vor dem Bildschirm irgendeines Endgeräts? Man muss wohl kein Psychologe sein und auch nicht über überirdische Vorstellungskräfte verfügen, um die Frage zu beantworten. Nein! Wohl kaum hätte es derart viele Enthaltungen und ablehnende Stimmen gegeben. Mit größter Wahrscheinlichkeit wären die Resultate auch diesmal äußerst klar zu Gunsten der Kandidaten und Anträge ausgefallen.

Es braucht nun einmal deutlich mehr Mumm in den Knochen bei einem Präsenz-Kreistag, bei dem per Akklamation abgestimmt wird, die Hand in einem anderen Moment zu heben als es die meisten anderen tun. Und man braucht auf der anderen Seite daheim am Computer eigentlich überhaupt kein Rückgrat, wenn man diesem oder jenem Kandidaten mal so richtig eine mitgeben möchte. Merkt ja keiner.

Ob die Wahlen deshalb diesmal wirklich ehrlich gewesen sind, wie Volker Schwinn, der bei der Abstimmung über seine Position als stellvertretender Kreisvorsitzender von recht vielen Gegenstimmen betroffen war, vermutete, sei dahingestellt. Klar ist aber, dass übliche Kreistagswahlen, solche bei denen eben per Akklamation abgestimmt wird, offenbar anfällig dafür sind, Ergebnisse zu Tage zu fördern, die den tatsächlichen Ansichten nicht entsprechen. Solche Wahlen sind definitiv nicht ehrlich genug. Die Konsequenz aus den Wahlen am Samstagmorgen und ihren eben gar nicht so eindeutigen Ergebnissen kann daher nur lauten, dass in Zukunft bei Kreistagen eben nicht mehr rasch per Handheben abgestimmt wird, sondern so richtig demokratisch – in geheimer Wahl!

Allerdings förderte dieser virtuelle Kreistag auch einen Umstand zutage, der bedenklich ist. Mit Kandidaten und Themen wird sich offensichtlich nur unzureichend oder überhaupt nicht auseinandergesetzt. Die extrem vielen Enthaltungen beweisen das. Enthaltungen bei Kandidatenfragen bei einem Fußballkreistag sind einfach läppisch. Alle Vereinsvertreter sollten eigentlich genug mit den Kreis-Funktionären zu tun haben, um beurteilen zu können, ob diese ihren Job auch in der kommenden Legislaturperiode ausfüllen können.

Noch unmöglicher sind Enthaltungen aber in wichtigen Sachfragen, also zum Beispiel bei Anträgen zur Änderung der Satzung. Als Verein und dessen Abgeordneter muss man doch eine Meinung dazu haben, ob Pflichtspiele ausgetragen werden sollten, wenn Zuschauer aufgrund behördlicher Verfügungen wie jetzt in der Corona-Pandemie nicht zugelassen sind, oder ob sie dann nicht angesetzt werden sollten. Diese Frage ist doch wichtig für jeden Verein, und es ist unfassbar, dazu eine gleichgültige Haltung zu haben, sich zu enthalten. Und man muss doch einordnen können, ob man die Möglichkeit zum Rückwechsel gut findet oder nicht. Und man kann sich doch bei Anträgen, die existenzielle Fragen betreffen, wie beim für den Mädchen- und Frauenfußball so wichtigen Antrag des SV Weiersbach, nicht einfach heraushalten.

Mit Anträgen beschäftigen

Freilich – um seriös über einen Antrag abstimmen zu können, muss man sich mit ihm beschäftigt haben. Man muss wissen, warum er gestellt wurde, wo Vor- und Nachteile liegen. Man muss einzuschätzen versuchen, welche Konsequenzen er haben könnte. Das herauszufinden kann anstrengen, aber einmal in vier Jahren darf man von Vereinen und seinen Vorständen wirklich erwarten, dass sie eine klare Meinung haben und dieses unsägliche Enthalten vermeiden.

Hilfreich ist natürlich, wenn Anträge noch einmal vorgestellt werden. Am Samstag hat das im virtuellen Raum sicher weitgehend gefehlt, aber bei „normalen“ Veranstaltungen ist es üblich. Wenn dann vor der Abstimmung, auch noch über unterschiedliche Positionen debattiert wird, dann sollte wirklich jeder dazu in der Lage sein, darüber zu befinden, ob er den Antrag für richtig oder falsch hält. Das kostet zwar Zeit, und Kreistage könnten sich ziehen, aber sie hätten dann Substanz – ganz davon abgesehen, dass ein Teil der Zeit mit der Streichung überflüssiger Grußworte, wie sie bei Präsenzveranstaltungen üblich sind, gewonnen werden könnte.

Für den Kreistag in Hettenrodt in drei Jahren wünsche ich mir also keine Grußworte, dafür aber Informationen und Debatten über Anträge und geheime Wahlen – bei denen sich keiner enthält. Der Kreistag muss ein Ereignis sein und jedem Delegierten bewusst, dass es um große Fragen und Entscheidungen im Amateurfußball geht. Entscheidungen, die zu wichtig sind, um an sie heranzugehen wie an ein Computerspiel. Genau daran hat mich der erste virtuelle Kreistag, so hervorragend er vom SWFV auch ausgeführt war, irgendwie erinnert. Auch deshalb fand ich ihn ungewöhnlich.

E-Mail an den Autor: sascha. nicolay@rhein-zeitung.net

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