Rechtzeitig vor seinem runden Geburtstag hat Theo Zwanziger die juristische Absolution erhalten. „Alle Verfahren sind erledigt“, sagt der ehemalige Präsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), der am Freitag 80 Jahre alt wird. „Ich bin rehabilitiert und habe es nicht nötig, mich mit Vorwürfen zu befassen, die mich seit mehr als zehn Jahren verfolgen.“
Übrig geblieben als letzter von drei ehemaligen DFB-Funktionären im Prozess wegen Steuerhinterziehung im Zusammenhang mit der sogenannten Sommermärchen-Affäre, wurde der promovierte Jurist aus Altendiez im Rhein-Lahn-Kreis in diesem Prozess vom Angeklagten zum Aufklärer. Gericht und Staatsanwaltschaft stellten das Verfahren gegen Zwanziger ein, dass er dennoch eine formelle Geldauflage von 10.000 Euro für die deutsche Herzstiftung bezahlte, hat juristische Gründe: „Nur so konnte die Einstellung zum sofortigen Abschluss führen“, erklärt er.
Einst DFB-Doppelspitze mit „MV“
Nach einer bewegten Laufbahn in Politik und Sport steht Zwanziger mit blütenweißer Weste vor der Öffentlichkeit. Er war ja, bei allen Verdiensten, kein Funktionär wie alle anderen. „Bequem war ich nie“, sagt der vormalige DFB-Schatzmeister über seine Jahre als Präsident, die 2004 in einer Doppelspitze mit Gerhard Mayer-Vorfelder begannen und nach dem Rücktritt von „MV“ im September 2006 bis 2012 währten. In seine Amtszeit fielen sportliche Glanzlichter wie das WM-„Sommermärchen“ 2006, aber auch unvorhersehbare Krisen wie der Bestechungsfall um Schiedsrichter Robert Hoyzer (2005) und die unappetitliche Sexaffäre von Schiri-Obmann Manfred Amerell (2010) wie auch menschliche Tragödien, allen voran der Freitod von Nationalmannschafts-Torhüter Robert Enke (2009), aber auch der Selbstmordversuch von Schiedsrichter Babak Rafati (2011). „Zur gesellschaftlichen Verantwortung des DFB gehört auch, dass er sich mit Depressionen im Spitzensport befasst“, ist Zwanziger überzeugt.
„Ich war nicht der, der Problemfällen ausgewichen ist. Ich habe sie manchmal auch an mich gezogen. Nur so habe ich ein gutes Gewissen, ich kann die Sachen nicht einfach an mir vorbeilaufen lassen.“
Sein Krisenmanagement stieß auf Zustimmung und Kritik, bereut hat Zwanziger sein Engagement im größten Sportfachverband der Welt nie. „Der kleine Junge vom Dorf, der in den 1950er-Jahren auf Scheunentore gekickt hat und sich wie Ferenc Puskas oder Fritz Walter fühlte, ist DFB-Präsident geworden und durfte seine Idole persönlich kennenlernen – das kann man doch nicht bereuen“, sagt Zwanziger. „Dieses Amt war für mich ein Geschenk des Himmels. Ich habe unglaublich viele Menschen kennengelernt, die mir viel gegeben haben und die mich persönlich bereichert haben. Da ist so viel Licht, dass ich ein bisschen Schatten leicht ertragen kann.“
Wenn Zwanziger über seine Jahre als Fußball-Funktionär spricht, die mit dem Präsidentenamt im Fußballverband Rheinland (FVR) von 1992 bis 2001 einen ersten Höhepunkt erlebten, dann ist eher selten die Rede von legendären Spielen, tollen Traumtoren oder fatalen Fehlpässen, dafür geht es um Begriffe wie Anstand, Solidarität und Verlässlichkeit. Zwanziger fühlte sich stets wohler auf den Sportplätzen der Region als in den großen Arenen, und Fußball war und ist für ihn „mehr als ein 1:0“, wie es sein Lehrmeister und Förderer Egidius Braun, DFB-Präsident von 1992 bis 2001, formulierte. Mancher Fußballer mag bei dieser Weisheit an ein spätes Ausgleichstor in der Nachspielzeit denken, für Braun und Zwanziger ging es um Werte, die über das Rasenrechteck weit hinausreichen. Das fanden nicht alle Fußballer toll. „Wenn Sie in einem Fußballverband soziale und gesellschaftliche Aufgaben erfüllen wollen, dann wissen Sie, dass 80 Prozent der Funktionäre das eigentlich nicht für notwendig halten oder gar dagegen sind“, hat Zwanziger gelernt. „Aber ich hatte den Mut, das durchzusetzen.“
So sorgte Theo Zwanziger, der gute Mensch von Altendiez, wie er manchmal anerkennend, manchmal auch spöttisch genannt wurde, dafür, dass sich der DFB um seine eigene Vergangenheitsbewältigung bemühte, sich für Chancengleichheit und gegen Rassismus, für Minderheiten und gegen Ausländerfeindlichkeit, für Inklusion und Geschlechtergerechtigkeit auf dem Fußballplatz einsetzte. 2009 erhielt er den Leo-Baeck-Preis, den der Zentralrat der Juden in Deutschland als höchste Auszeichnung für das Engagement gegen Antisemitismus verleiht. „Es macht einen Menschen stolz, der 1945 geboren wurde und Glück gehabt hat, dass er diese Nazis nicht hautnah erleben musste, wenn er mit seiner Arbeit viele Menschen überzeugen kann“, kommentiert der Geehrte die Auszeichnung im Rückblick.
„Man hat mir oft vorgeworfen, ich sei eigensinnig oder stur. Das bin ich nicht; wenn ich einen Fehler einsehe, korrigiere ich den.“
Während und nach seiner Amtszeit blieb Zwanziger auch die Erfahrung nicht erspart, dass manche seiner fußballerischen Idole wie Franz Beckenbauer, Günter Netzer oder Uli Hoeneß trotz aller Verdienste auf dem Rasen im „normalen“ Leben nicht immer vorbildlich agierten. „Der Fußball wird gerade in Deutschland überhöht“, kritisiert er, „man hat das Gefühl, dass dem prominenten Fußballer mehr verziehen wird als Verantwortungsträgern aus anderen Bereichen.“ Im DFB blieb Zwanziger im Grunde immer ein Außenseiter, vor allem in den Augen derer, die Tore für wichtiger halten als Werte und aufatmeten, als mit seinem Rücktritt der Fußball, so wie sie ihn verstehen, wieder in den Mittelpunkt rückte. Ob sich die Verhältnisse im Verband unter seinen Nachfolgern verbessert haben, mag ein jeder selbst entscheiden.
Von seinem Heimatverband im Rheinland distanzierte sich Zwanziger im Vorfeld der umstrittenen Winter-WM 2022, als der viel kritisierte Ausrichter Katar sich mit einer Millionenspende für das flutgeplagte Ahrtal Sympathien erwerben wollte. Dass es ausgerechnet die von ihm 2010 als Theo-Zwanziger-Stiftung gegründete FVR-Stiftung „Fußball hilft!“ war, die jene Spende entgegennahm, findet er heute noch „unanständig“. Schließlich hatte der Ölstaat den Deutschen, der Katar frank und frei als „Krebsgeschwür des Fußballs“ bezeichnet hatte, wegen seiner kritischen Haltung jahrelang bespitzeln lassen. „Wie kann diese Stiftung eine Spende von einem solchen Land annehmen?“, lautete seine Frage. Die Antworten befriedigten ihn nicht. Trotzdem beteuert Zwanziger, dass er zu vielen FVR-Funktionären nach wie vor ein gutes Verhältnis pflegt. Der aktuelle Verbandspräsident Gregor Eibes will seinem Vorvorgänger am 80. Geburtstag die Ehre erweisen, wenn Zwanziger in seinem Heimatort Altendiez die Gratulanten empfängt.
„Ich schaue immer noch Fußball, aber ich halte die Auswüchse nicht für gut. Wer braucht zum Beispiel eine Club-WM?“
„Ich bin gesund, meine Familie auch, ich mache gern Urlaub und bin viel auf dem Fahrrad unterwegs“, beschreibt Zwanziger seine Lebenssituation im 80. Jahr. Doch ganz ohne Engagement geht es bei ihm nicht. Beim Oranien-Campus, einem Privatgymnasium in Altendiez, amtiert er als Vorsitzender der Gesellschafterversammlung, er gründete eine Ruanda-Stiftung in seinem Heimatort und eine Anti-Rassismus-Stiftung in Darmstadt. Auch wenn Zwanziger heute bisweilen altersmilde erscheint, so ist sein Kampfgeist doch ungebrochen. Die Schadenersatzklage des DFB gegen ihn auf sagenhafte 24 Millionen Euro bezeichnet er als „Unsinn“ und kündigt seinerseits an: „Spätestens im Juli wird es einen Prozess gegen den DFB geben auf Schmerzensgeld.“ Denn, so Zwanziger, „die zehn Jahre langen schweren Persönlichkeitsverletzungen durch pflichtwidriges Handeln von DFB-Funktionären kann und werde ich nicht einfach vergessen“. Theo Zwanziger ist fest davon überzeugt, dass er auch diesmal Recht behält.
Anmerkung der Redaktion: Der Autor dieses Textes hat an der Erstellung von Theo Zwanzigers Biografie „Die Zwanziger Jahre“, erschienen im Jahr 2012, mitgewirkt.