DFB-Pokal-Endspiel in Berlin
Rauschendes Fan-Fest beim einseitigen Finale
"Äffle" und "Pferdle" entführen den DFB-Pokal: die Choreo der Stuttgarter Fans.
Jochen Dick

Sportlich war es ein einseitiges Finale, aber atmosphärisch war es ein Spektakel auf Augenhöhe - das 82. DFB-Pokalfinale in Berlin.

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Den Platz des Teufels nahmen „Äffle“ und „Pferdle“ ein. In der Ostkurve des Berliner Olympiastadions, dort, wo im Vorjahr die Fans des Endspielteilnehmers 1. FC Kaiserslautern einen riesigen und grimmig dreinblickenden „Roten Teufel“ mit dem DFB-Pokal in den Klauen als Choreografie installiert hatten, prangten nun in Übergröße die beiden freundlichen Zeichentrick-Maskottchen des früheren Süddeutschen Rundfunks.

Das schwäbelnde Tier-Duo hielt ebenfalls den Cup in den Händen, um ihn heim nach Stuttgart zu tragen. Die beeindruckende Choreo der VfB-Fans vor dem Finale von Berlin erwies sich als Verheißung: Nach dem 4:2 (3:0) gegen Außenseiter Arminia Bielefeld darf das Team von Trainer Sebastian Hoeneß als nationaler Pokalsieger in der kommenden Saison in der Europa League spielen.

„Das ist der schönste Tag in meinem Leben. Dieser Moment wird für immer bleiben“, freute sich der Stuttgarter Kapitän Atakan Karazor und dürfte damit vielen Anwesenden in Berlin irgendwie aus der Seele gesprochen haben. Die Fans auf beiden Seiten veranstalteten ein großes Fußball-Fest und lieferten sich im Stadion einen ohrenbetäubenden akustischen Schlagabtausch. Die Bielefelder Anhänger hatten sich zuvor auf ihrem Fantreff am Alexanderplatz eingestimmt, die Stuttgarter belagerten – friedlich – den Breitscheidplatz.

Pyrotechnik trübt das Bild

Im Stadion kam es allerdings auch wieder zum exzessiven Einsatz von Pyrotechnik, die doch immer wieder den Weg durch die Stadionkontrollen findet und vielleicht beeindruckend aussehen mag, aber eben auch im wahren Wortsinne brandgefährlich ist für Nutzer und Nebenstehende. Mehrmals musste der Stadionsprecher die Kurven zur Raison rufen. Die Anhänger des Drittligisten aus Bielefeld standen jedenfalls der erstklassigen Konkurrenz aus dem Schwabenland in sämtlichen Belangen in nichts nach. „Was die Fans, was ganz Bielefeld in Berlin abgerissen haben, war einmalig“, staunte Arminen-Trainer Mitch Kniat.

Der Anhang aus Ostwestfalen hatte vor dem Anpfiff die Kurve rund um das Marathon-Tor in die Vereinsfarben Schwarz, Weiß und Blau gehüllt. Gleich mehrere riesige Transparente kündeten von einem besonderen Ereignis. Auf einem stand neben dem Abbild von Erfolgstrainer Kniat zu lesen: „Eines Tages, da spielt der Deutsche Sportclub im Finale von Berlin.“ Dieser Tag war nun gekommen – und der DSC Arminia Bielefeld zelebrierte ihn auf außergewöhnliche Weise. Etwa 100.000 Bielefelder sollen am Pokalwochenende in die Hauptstadt gereist sein, bei etwas mehr als 330.000 Stadtbewohnern gleicht dies einem mittleren Exodus. Während und weit nach dem Abpfiff dieses zumeist einseitigen Pokalfinales feierten die Arminia-Anhänger sich, ihre Mannschaft, die Stadt und die Region. Selten wurde eine Niederlage so bejubelt. Erst spät leerten sich die Ränge des unterlegenen Teams, was bei vorangegangenen Endspielen auch schon anders war.

Die Bielefelder Fans standen in Sachen Choreo den Stuttgartern in nichts nach.
Jochen Dick

„Es ist schließlich nicht alltäglich, dass ein Drittligist im Pokalfinale spielt“, begründete Kniat den Ansturm und die Begeisterung der Arminen. Genau genommen war dies erst zum vierten Mal der Fall. Im Jahr 1993 verlor die zweite Mannschaft der Berliner Hertha mit 0:1 gegen Bayer Leverkusen, 1997 Energie Cottbus mit 0:2 gegen eben jenen VfB Stuttgart und 2001 Union Berlin mit 0:2 gegen den FC Schalke 04.

Einige Beobachter und Experten hatten der spielstarken und mutigen Arminia gute Chancen zugeschrieben für dieses 82. Pokalfinale, schließlich hatten die Bielefelder zuvor den Zweitligisten Hannover 96 (2:0) sowie die Bundesligisten Union Berlin (2:0), SC Freiburg (3:1), Werder Bremen (2:1) und im Halbfinale noch Titelverteidiger Bayer Leverkusen (2:1) aus dem Wettbewerb geworfen. Und das stets mit einer forschen Herangehensweise.

Doch in Berlin stieß der Drittliga-Meister und Zweitliga-Aufsteiger an seine Grenzen. Nach gerade mal 28 Minuten lag der Favorit aus Stuttgart nahezu uneinholbar vorn, es war das schnellste 3:0 in der Geschichte des DFB-Pokalfinals. Zu blauäugig, fehlerbehaftet und – bei allem Respekt für das Erreichte – dilettantisch traten die Bielefelder auf. Nick Woltemade (15.), Enzo Millot (22.) und Deniz Undav (28.) hatten bei ihren Toren relativ leichtes Spiel. Hätte allerdings Arminia-Stürmer Noah Sarenren Bazee zuvor in der zwölften Minute freistehend den Ball ins Tor und nicht an die Latte bugsiert, „sehen wir hier vielleicht ein anderes Spiel“, mutmaßte Coach Kniat, schob aber hinterher: „Diese Diskussion nach dem Spiel ist müßig.“

Millot stellte nach der Pause auf 4:0 für die Stuttgarter (66.). Ein Treffer des eingewechselten Julian Kania (82.) und ein Eigentor des Stuttgarters Josha Vagnoman (85.) ließen noch einmal späte Spannung aufkommen und die Bielefelder Fans abermals ekstatisch werden. „Da gehen dir dann schon ein paar komische Gedanken durch den Kopf“, gab Stuttgarts Trainer Hoeneß auch im Hinblick auf zwei wichtige Paraden seines Keepers Alexander Nübel in der Nachspielzeit zu. Der Favorit wackelte ein bisschen, stürzte aber nicht mehr. Und der Underdog zog aus dem (zu) späten Aufbäumen Positives für die Zukunft.

Spätes Bielefelder Aufbäumen

„Wir geben einfach nie auf, das ist die Mentalität dieser Mannschaft“, lobte Arminen-Trainer Kniat, den der Siegeszug seines Teams auf den Geschmack gebracht hat. Beim Gang während der Siegerehrung im goldenen Lamettaregen am DFB-Pokal vorbei sei dem 39-Jährigen ein Gedanke gekommen: „Hier wollen wir wieder hin. Was wir geleistet haben, ist Ansporn dafür, dass wir das im nächsten Jahr wieder erreichen möchten – aber mit einem anderen Ergebnis: dass wir den Pokal nehmen und ihn nach Bielefeld bringen.“ Arminias ambitionierter Trainer denkt eben gerne groß – in diesem Jahr musste Mitch Kniat aber „Äffle“ und „Pferdle“ den Vortritt lassen.

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