Über viele Jahre war der Zeitplan dank der Silvesterläufe enger getaktet als ein Arbeitstag: Aufstehen um 6.30 Uhr, leichtes Frühstück, Anziehen von mehreren Schichten Funktionswäsche, Abfahrt auf den Kuhberg. Start um 9.45 Uhr zum ersten Silvesterlauf. Nach dem Zieleinlauf eine schnelle Tasse Tee und eine halbe Banane. Umkleiden am Auto. Small Talk mit Bekannten, die du nur einmal im Jahr triffst. Um 11.30 Uhr Weiterfahrt nach Waldböckelheim. Start um 13.30 Uhr zum zweiten Silvesterlauf. Nach dem Zieleinlauf am reichhaltigen Kuchenbüffet eine süße Belohnung. Bei der Siegerehrung eine Flasche Wein abstauben. Heimfahrt. Lange Einheit in der kuscheligen Badewanne. Abendessen vorbereiten. Um 20.30 Uhr das erste Gähnen, um 21.45 Uhr der erste Krampf und mit letzter Kraft bis zum Jahreswechsel gegen die Müdigkeit ankämpfen.
Und 2020? Nichts, gähnende Leere. Die Silvesterläufe sind abgesagt. Auch hinter vielen Veranstaltungen im nächsten Jahr stehen Fragezeichen, wenn sie denn nicht schon mit Ausrufezeichen gestrichen wurden. Für sie dienten die Silvesterläufe stets als Vorbereitungsstart, doch auch diese Motivationsspritze fällt weg. Natürlich können wir alleine durch den Wald pflügen. Aber diese einzigartige Stimmung der Silvesterläufe, dieses Gemeinsamkeitsgefühl, am letzten Tag des Jahres noch einmal zusammen etwas zu machen. Das Küsschen, die Umarmung, das Abklatschen im Ziel, mit dem Anerkennung und ein Dankeschön ausgedrückt werden, das Austauschen von Zeiten und Erfahrungen – das alles wird uns, wird mir fehlen. Und die gewonnene Zeit nutzen, um am Abend eine Mega-Sause auf die Beine zu stellen? Auch das ist nicht möglich. Ich fürchte, das wird ein sehr trister Donnerstag. Doch wir Sportler spüren, dass es richtig und vernünftig ist, 2020 die Handbremse zu ziehen. Die Hoffnung ist schließlich riesig, dass ab Sommer und damit auch an Silvester 2021 wieder das Gaspedal voll durchgedrückt werden darf.