Nachspielzeit
Hört ihr die Kurve schrei'n? – Der Verlierer-Ohrwurm des 1. FC Kaiserslautern
Sascha Nicolay
Sascha Nicolay
Jens Weber. MRV

Wie Sie, liebe Leserinnen und Leser, vielleicht wissen, bin ich Fan des 1. FC Kaiserslautern. Und wenn Sie es wissen, dann haben Sie auch eine Ahnung, warum mein einst wallendes Haupthaar langsam aber sicher – sagen wir – schütter geworden ist.

Mein Führerscheinfoto, aufgenommen im Jahr 1988 und eingepinnt in den rosanen Lappen 1989, zeigt mich noch mit Dauerwellen. Heute – 35 Jahre später – bin ich froh, wenn meine Friseurin noch etwas findet, das sie auf drei Millimeter Kürze runterrasieren kann. Bald – so befürchte ich – ist sie arbeitslos. Also, wenn die Roten Teufel so weitermachen und die FCK-Fanszene nicht endlich ihr Liedgut überdenkt.

„Hört ihr die Kurve schrei'n, alles für den Verein. Wir lassen dich nie im Stich, Lautern, wir lieben dich!“

FCK-Fangesang

Ja, liebe Leserinnen und Leser, schuld daran, dass der 1. FC Kaiserslautern nach zwei halbwegs guten Jahren nun wieder mitten im Abstiegssumpf der zweiten Bundesliga steckt, sind die Fans – also ihr Gesang, besonders dieses eine Lied. Ich werde mittlerweile fuchsteufelswild, wenn ich es höre, weil ich sicher bin, dass es vom Teufel verflucht ist. Also nicht vom roten, sondern vom schwarzen, blauen oder blau-schwarzen aus Mannheim oder Saarbrücken. Und ich frage mich, merken die FCK-Fans denn nicht, dass sich Lauterer Spiele immer dann zum Schlechteren wenden, wenn dieser Dauerschleifen-Song angestimmt wird: „Hört ihr die Kurve schrei'n, alles für den Verein. Wir lassen dich nie im Stich, Lautern, wir lieben dich!“

Dauerschleifen-Songs ermüden

Ich war noch nie ein Befürworter dieses Liedchens, weil ich grundsätzlich kein Anhänger von Dauerschleifen-Songs aus der Kurve bin. Warum? Sie feuern nicht an, sondern sie ermüden – mich und ganz offensichtlich auch die Teufel unten auf dem Platz. Und dieses „Hörst du die Kurve schrei'n“ ist nun einmal der schlimmste aller Fangesang-Ohrwürmer. Mittlerweile bin ich mir aber sicher, dass er vor allem ein Verlierer-Song ist.

Eine Ahnung, dass der FCK schlechter spielt, wenn die Kurve lautstark fragt, ob ihr Geschrei zu vernehmen sei, hatte ich schon länger. Spätestens aber, seit der FCK auf mysteriöse Art andauernd Führungen vergeigt, bin ich mir sicher.

Rückstand auf Schalke

Auf Schalke, am 2. Spieltag, lag der FCK zwar nicht vorne, spielte aber richtig gut. Und schon ging's los. „Hört ihr die Kurve schrei'n...“. Die FCK-Spieler hörten es wohl – und Schalke ging 1:0 in Führung. Ich habe daheim auf der Couch gesessen und mich geärgert. Wegen des Rückstands, und weil ich die Melodie und den Text des Ohrwurms nicht mehr aus der Birne gekriegt habe.

Gegen den 1. FC Nürnberg Anfang September, am fünften Spieltag, ist es gerade noch einmal gut gegangen. Der FCK führt nach einer halben Stunde 3:0, als die Anhänger von der Westkurve aus losplärren: „Hört ihr die Kurve schrei'n...“ Prompt macht Nürnberg das 1:3, ist noch vor der Pause zurück im Spiel – und nur ein paar Abseitstreffer und der VAR verhindern, dass die „Glubberer“ noch auf 3:3 stellen. Allerspätestens da war ich sensibilisiert und habe überlegt, ob ich FCK-Chef Thomas Hengen bitte, dieses Kurven-Ohrwurm-Lied zu verbieten.

Die Quittung in Düsseldorf und die Wende gegen den HSV

Leider habe ich es nicht getan, und die Quittung kam prompt. In Düsseldorf. Meine Frau ist Zeuge. Der FCK führte 3:0, als die Lauterer Fans wieder angefangen haben zu singen. Blöderweise sind immer richtig viele auch bei Auswärtsspielen – und man hört sie deshalb eben schrei'n für den Verein. Ganz genau hat sie Marlon Ritter gehört und ein selten dämliches Foul an der Strafraumgrenze begangen. Düsseldorf hat aus dem fälligen Freistoß kurz vor der Pause den Anschlusstreffer erzielt und die Partie ist gekippt. Lautern unterlag 3:4. Die Kurve mit den FCK-Fans hat danach weitergeschrien, aber vor Ärger. Gewarnt waren sie nicht.

Wenn sie es nur gewesen wären, dann hätte es eine Woche später gegen den HSV drei Punkte statt nur einen Zähler gegeben. Terence Boyd macht das 3:1, und alles wäre klar gewesen, wenn die Wahnsinnigen in der Westkurve nicht wieder losgelegt hätten. „Hört ihr die Kurve schrei'n...“ Ich habe versucht, meinen Sohn im Stadion zu erreichen, damit er einschreitet, aber er hat sein Handy nicht gehört. Die Kurve hat zu laut geschrien, dass sie den FCK nicht im Stich lassen werde. Wahrscheinlich hat mein Sohn mitgesungen, obwohl ich es ihm strengstens untersagt hatte. Aber so ist das, die Jungen hören nie auf die Alten. Zur Strafe muss er womöglich mit einem Abstieg fertig werden.

Hört ihr die Kurve... im DFB-Pokal

Drei Tage später bin ich aus Diefflen nach Hause gefahren und war prächtiger Laune. Erstens, weil der VfR Baumholder dort 8:0 gewonnen hatte und weil der FCK zweitens 3:0 im DFB-Pokal gegen den 1. FC Köln geführt hat. Ich stelle also das Radio an, und was wummert mir aus den Lautsprechern entgegen? „Hört ihr die Kurve...“ Beinahe hätte ich eine nicht gekriegt. Irgendwie ist es gut gegangen für den FCK und mich. Mein Auto und die Roten Teufel sind gerade so in der Spur geblieben – Köln hat nur noch zwei Tore geschossen...

In der nächsten DFB-Pokal-Runde war ich dann endlich mal wieder „uff'm Betze“. Rangnar Ache kommt, sieht, legt vor und trifft – es steht 2:0, und was macht die Westkurve? „Hört ihr die Kurve schrei'n...“ Ich war so richtig stinkig, habe mich auf der Südtribüne zu meiner vollen Größe aufgebaut und die „West“ angeherrscht, endlich die Klappe zu halten. „Nein, ich höre die Kurve nicht. Ich will sie mit diesem Kack-Lied auch gar nicht hören, verdammt!“, habe ich getobt. Die Strafpredigt muss beeindruckend gewesen sein. Ruhe war mit „...alles für den Verein...“ Der FCK ist ins Viertelfinale eingezogen.

Dieser überzeugende Beleg für meine Theorie hat die Fans aber offensichtlich nicht nachhaltig beeindruckt. Ein paar Tage später war alles wieder vergessen. 1:0-Führung gegen Hertha BSC Berlin, und die Westkurve so: „Hört ihr die Kurve schrei'n...“, die Hertha so: 1:1 und 2:1. Und dazwischen die Westkurve so: „...wir lassen dich nie im Stich...“, woraufhin FCK-Profi Afeez Aremu zur Blutgrätsche ansetzt und mit Rot belohnt wird.

Tränen vor dem TV

Und auch jetzt in Braunschweig lag der FCK wieder vorne. Beglückt schalte ich für drei Minuten in den Bezahl-TV-Sender meines Vertrauens, sehe Braunschweig angreifen, höre: „Hört ihr die Kurve schrei'n...“ und bin live dabei, als die Eintracht das 1:1 schießt. Ich habe dann laut angefangen zu weinen – weil ich gewusst habe, dass der FCK verlieren wird und in absehbarer Zeit überhaupt keine Haare mehr auf meinem Kopf wachsen werden.

Ein Appell an die FCK-Anhänger

Einen letzten Appell will ich noch starten: Liebe FCK-Fans, wenn ihr wollt, dass die Roten Teufel in der 2. Bundesliga bleiben, dann hört auf mit diesem schrecklichen Singsang, werft „hört ihr die Kurve schrei'n“ auf den fußballmusikalischen Müllhaufen. Der Dauerschleifen-Ohrwurm motiviert die Jungs auf dem Rasen nicht, sondern schläfert sie ein, lähmt sie. Schmettert ihnen das gute alte „Oleee, Effzekaha...“ um die Ohren, bis ihnen Hören und Sehen vergeht und sie von selbst rennen.

Tut ihr das nicht und fragt sie weiter, ob alle die „Kurve schrei'n“ hören, findet sich der FCK bald mindestens in der dritten Liga wieder – und meine Friseurin muss wahrscheinlich umschulen: zur Poliererin...

E-Mail: sascha.nicolay@rhein-zeitung.net

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