Noch nicht einmal der Videobeweis konnte den FSV Mainz 05 auf seiner Europa-Reise aufhalten – und das wollte in diesem denkwürdigen Saisonfinale der Fußball-Bundesliga schon etwas heißen. „Das war ein verrücktes Spiel, so etwas habe ich noch nie erlebt“, sagte der Mainzer Trainer Bo Henriksen mitgenommen, aber gleichwohl euphorisiert.
Drei Treffer waren den 05ern beim 2:2 (1:0) gegen Vizemeister Bayer Leverkusen nach Videoüberprüfung aberkannt worden. Tor ist eben erst Tor, wenn der Schiedsrichter pfeift und der Videoassistent nichts einzuwenden hat. Ein Treffer wurde den Rheinhessen durch den Videoassistenten aber auch nachträglich erst ermöglicht. So verhalf das umstrittene technische Hilfsmittel kurioserweise zum Einzug in den Europapokal. Neben dem VfB Stuttgart versteht sich, der den 05-Konkurrenten RB Leipzig 3:2 bezwang.
„Wir haben uns nicht hängen lassen – egal, was passiert ist“, lobte der Mainzer Offensivmann Paul Nebel, als die erste Feier mit den Fans vorüber war. Und es war einiges passiert in dieser Partie. „Ich habe ja schon viel erlebt, aber das war grenzwertig“, sagte auch 05-Sportvorstand Christian Heidel, der betonte, ein Befürworter des Videobeweises zu sein.
Videobeweise im Akkord
Den von Beginn an stürmischen Mainzern wurde allein in der ersten Halbzeit dreimal der Torjubel abgewürgt: Nach dem Treffer von Nadiem Amiri wegen einer Abseitsstellung (15.), nach dem Tor von Andreas Hanche-Olsen wegen eines Fouls (32.) – beide Male per Videobeweis –, den Treffer von Jae-sung Lee hatte Schiedsrichter Tobias Reichel höchstselbst wegen Abseits zurückgepfiffen (30.). Von alledem ließen sich die Rheinhessen nicht abbringen von ihrem großen Ziel, dem Einzug in den Europapokal. Nun sind die Mainzer zum insgesamt fünften Mal nach 2005, 2011, 2014 und 2016 im internationalen Geschäft, nach zumeist kurzen Gastspielen im damaligen Uefa-Cup und in der Europa League. In der nächsten Saison spielt das Henriksen-Team in den Play-offs zur Conference League, dem dritten europäischen Regal nach Europa und Champions League.
„Egal, wer als Gegner kommt – wir freuen uns drauf“, sagte Nebel, der die Mainzer gegen Leverkusen tatsächlich in Führung gebracht hatte (35.). Bayer drehte kurz nach der Pause die Partie durch einen Foulelfmeter (49.) und einen Kopfballtreffer (54.) von Patrik Schick. In der Halbzeit war Leverkusens Trainer Xabi Alonso nach eigener Aussage „sehr, sehr laut“ geworden, um den entthronten Meister wieder auf Kurs zu bringen. Bis dato war es ein fahriges Spiel der Gäste gewesen.
Mainz 05 und der Glaube
Auch von den beiden Schick-Toren ließ sich das Henriksen-Team nicht groß beeindrucken. „Bei Mainz 05 lebt der Glaube immer“, formulierte es Amiri etwas pathetisch. Torwart Robin Zentner bezog das Erfolgsrezept pragmatischer auf die ganze Saison: „Wir haben nie nachgelassen.“ Und so kamen die 05er gegen Leverkusen zum Ausgleich – wohlgemerkt unter Einflussnahme des Videobeweises, der das Einsteigen von Arthur gegen 05-Angreifer Lee als elfmeterreif entlarvte. Kapitän Jonathan Burkardt traf zum 2:2 (63.).
Doch damit nicht genug: In der Nachspielzeit erzielte Abwehrchef Stefan Bell eines seiner seltenen Tore. Ein Siegtreffer des 33-Jährigen aus Wehr im Kreis Ahrweiler, der sich abermals nach einer Verletzung zurückgekämpft hat, wäre vielleicht auch eine Spur zu kitschig gewesen. Jedenfalls zählte das Tor nicht, weil der Ball zuvor Bells Hand berührt hatte. Auch diese Entscheidung durch den Videobeweis war richtig. Der Rest war Mainzer Freude über den Europapokaleinzug und Leverkusener Genugtuung über die zweite Saison und somit 34 Spiele in Folge ohne Auswärtsniederlage. Meistercoach Alonso, der wohl zu Real Madrid wechselt, hat bei Bayer bemerkenswerte Arbeit geleistet.
Starke Saison unter Retter Henriksen
Die 05er hätten zweifellos in der nächsten Saison auch gegen die „Königlichen“ aus Madrid in der Königsklasse spielen können, die Chance war da. Aber auch so dürfen die Mainzer auf eine formidable Saison zurückblicken, in der sie teils mitreißenden Fußball boten, unter anderem mit Heimsiegen gegen Borussia Dortmund (3:1) und den FC Bayern (2:1) sowie einem Auswärtserfolg am Fastnachtssamstag bei RB Leipzig (2:1).
Das Ganze ist umso erstaunlich, da die Mainzer in der Vorsaison erst am letzten Spieltag den Klassenerhalt gesichert hatten. Unter Henriksen setzte dann eine Entwicklung ein, die zwar nicht immer reibungslos verlief – auch was den Trainer betraf –, aber den Klub eine neue Stufe hat erklimmen lassen. Henriksen kann eine Mannschaft nicht nur begeistern, der Däne hat auch taktische Finesse und Flexibilität bewiesen. „Er ist viel mehr als ein Motivator“, lobte Heidel. Unter Henriksen wurden Amiri und Burkardt zu deutschen Nationalspielern. Ob sie den Mainzer Weg weiter mitgehen, ist jedoch wegen prominenter Interessenten ungewiss. Der Fluch des Erfolgs.