Das Handy von Patrick Heim hat in den vergangenen beiden Wochen häufig geklingelt, aber die Botschaft, die der Schiedsrichterobmann des Fußballkreises Rhein-Lahn hätte befürchten können, ist ihm erspart geblieben. „Es gab keine Rückmeldungen, dass jemand als Konsequenz aufhören will“, sagt der Unparteiische, der selbst in der Rheinlandliga pfeift.
Rund zwei Wochen sind vergangen, seitdem eine Schiedsrichterin im Rahmen eines D-Jugendspiels in Bad Ems vom Vater eines Spielers gewürgt und ins Gesicht geschlagen wurde. „Es ist eine Jetzt-erst-recht-Stimmung eingekehrt. Die Vereine unterstützen uns, der ganze Kreis ist sich einig“, hat der 31-jährige Heim festgestellt. Es sei eine dieser wenigen Partien gewesen, die außer Kontrolle geraten. Eigentlich geht es „deutlich gesitteter zu als noch vor ein paar Jahren“, erklärt der Obmann. Umso größer war der Schock über den Zwischenfall in Bad Ems.
FVR: Gleichbleibend niedriges Niveau
Im Fußballverband Rheinland (FVR) bewegt sich die Anzahl der Partien mit Gewalt- oder Diskriminierungsfällen auf einem gleichbleibend niedrigen Niveau. Bei einem Anstieg der Partien mit geführtem Spielberichtsbogen um knapp 3000 auf insgesamt 34.514 Partien in der Spielzeit 2023/24 nahm die Zahl der Vorkommnisse mit Gewalt im Verhältnis auf geringem Niveau von 74 auf 80 zu. Die Zahl der Spielabbrüche wegen Gewalt oder Diskriminierung ist von 16 auf 15 zurückgegangen. Der Anteil mit derartigen Zwischenfällen im FVR-Gebiet lag in der Saison 2023/24 bei 0,23 Prozent. Vor fünf Jahren waren es noch 0,36 Prozent. In der Runde 2022/23 wurden 14 Urteile bezüglich Gewaltvorfällen gegenüber einem Schiedsrichter oder einer Schiedsrichterin gesprochen, in der Saison 2023/24 waren es derer elf und in der laufenden Spielzeit bisher acht Urteile.
„Ein großes Problem ist, dass das Verbale als Standard gesehen wird. Kommentare vor allem unter der Gürtellinie gehen nicht an einem vorbei“, schildert Heim. „Die Einstellung zu sagen, dass so etwas dazu gehört, ist ein riesiger Fehler. Wir tun uns selbst keinen Gefallen damit, wenn wir das nicht vermerken.“

Vater attackiert Schiedsrichterin bei Jugendspiel
An jedem Spieltag sehen sich Schiedsrichter beim Fußball verbaler Gewalt ausgesetzt. In Bad Ems wurde jetzt ein Vater eines D-Jugendlichen handgreiflich gegen eine Schiedsrichterin und verletzte sie. Die Polizei ermittelt.
Sogar leicht rückläufige Zahlen im Südwesten
Auch der Südwestdeutsche Fußballverband (SWFV) kann anhand seiner vorliegenden Zahlen rein statistisch keine Steigerung der Gewalt- beziehungsweise Diskriminierungsvorfälle in seinem Gebiet feststellen. Die Zahlen bewegten sich in der Spielzeit 2023/24 auf dem prozentualen Niveau der Vorsaisons und sind sogar leicht rückläufig. Eine fundierte Aussage zur laufenden Runde ist nach Angaben der SWFV-Geschäftsstelle erst nach deren Abschluss möglich. Der Anteil der Spiele mit Gewaltmeldung an den Gesamtspielen belief sich in den Spielzeiten 2022/23 und 2023/24 auf 0,25 Prozent. Die Quote von Diskriminierungsfällen betrug im gleichen Zeitraum 0,14 Prozent. Auch bei den Spielabbrüchen (0,03 Prozent) gibt es im Vergleich zur Vergangenheit keine spürbare Abweichung.
Die Instrumente, die den Verbänden und den Schiedsrichtern zur Verfügung stehen, sind vielfältig und machen deutlich, wie sehr alle Seiten bemüht sind, gegen das Gewaltthema vorzugehen. Vor der Saison rief der Deutsche Fußball-Bund (DFB) das Stopp-Konzept ins Leben. Eine Beruhigungspause in einer auf dem Spielfeld kritischen Situation soll erhitzte Gemüter herunterkühlen. „Der FVR erachtet das Konzept als wichtigen Baustein der Gewaltprävention und ist optimistisch, dass das Stopp-Konzept einen nachhaltigen Effekt haben wird“, ist Ulrich Schneider-Freundt, Vorsitzender des Verbandsschiedsrichterausschusses, überzeugt. In den Partien der aktuellen Saison kam das Konzept im FVR-Gebiet immerhin 129 Mal zum Einsatz. Zu einem Spielabbruch nach Einsatz des Stopp-Konzepts kam es lediglich in einem Fall.
Schulungen und das Stopp-Konzept
Außerhalb des Spielbetriebs macht der Verband mit spezifischen Schulungen und Trainings auch für Schiedsrichter Angebote, die auf Gewaltprävention und Deeskalation abzielen. Die Kommission Gesellschaftliche Verantwortung des FVR bietet unter anderem das Kurzschulungsmodul „Mannschaftsführung“ an. Es geht um den Umgang mit Konfliktsituationen und Deeskalationsstrategien auf dem Platz. Bei auffälligen oder wiederholt gewalttätigen Spielern und Trainern führt die Kommission Deeskalationsgespräche durch. Auch Schiedsrichter werden nach Vorfällen beraten und unterstützt, um sie für zukünftige Situationen zu stärken.
Der Zwischenfall aus Bad Ems wirkt jedenfalls nach, er setzte die Unparteiischen unter Schock. Heim lud seine jüngsten Schiedsrichter in der vergangenen Woche zu einer gemeinsamen Sitzung ein. Einige Spielleiter hatten zuvor einen Boykott für ein Wochenende vorgeschlagen. Der Ausschuss verneinte: „Es wäre ein falsches Zeichen, die Vereine zu bestrafen, die uns unterstützt haben“, erklärt Heim. Der junge Schiedsrichter David Daubenfeld schildert, dass er Rückgrat beweist und seinem Hobby treu bleibt: „Der Zwischenfall tut mir sehr leid, aber ich weiß, dass es ein Einzelfall war. Ich mache mir keine Sorgen um meine Sicherheit auf dem Platz.“