Sascha Nicolays Nachspielzeit
Ein störendes Ritual: Weg mit der Passkontrolle
Sascha Nicolay
MRV

Jahrzehntelang war sie obligatorisch, dann wurde sie kurz wegen Corona abgeschafft und nun ist sie wieder da und nervt: die Passkontrolle.

Wer im Amateurbereich Fußball spielt oder gespielt hat, der kennt die Situation: Die Kabine ist eng und für 15 Mann plus Trainer und Betreuer zu klein. Die Luft stickig, die Sicht wegen der Nebelschwaden aus der angrenzenden Dusche, in der sich die Akteure der zweiten Mannschaft den Dreck ihres Kicks vom Körper waschen, schleierhaft eingeschränkt. Es riecht nach einer Mischung aus Schweiß, Putzmittel und Latschenkiefer-Massageöl. Die 15 Mann sitzen da, ein bisschen gestapelt, weil eigentlich nur acht Leute auf den Bänken Platz haben, und spüren die Aufregung und das Knie des Mitspielers in den Nieren. Und sie warten. Auf den Schiedsrichter.

Der hat nämlich über den Trainer, Betreuer, Abteilungsleiter oder einen Bekannten ausrichten lassen, dass er „Punkt Viertel vor“ Passkontrolle machen wird. Mittlerweile ist es „zehn vor“, Nervosität, Anspannung, die Ungeduld und der Sauerstoffmangel steigen, aber der Schiri ist noch nicht da. Dann endlich geht die Tür auf und der Unparteiische quetscht sich in die ohnehin überfüllte Kabine.

Eine Passkontrolle ist konspirativ

Ich weiß nicht, ob die Referees wissen, dass sie jetzt schon all ihre Autorität verlieren können. Zu viel Geschwafel macht Spieler misstrauisch. Belehrungen, Anekdoten oder eine kurze Regelkunde nerven nur und kommen jetzt bei den Akteuren und bei heißblütigen Trainern ganz und gar nicht an.

Selbstverständlich muss die Tür sofort wieder geschlossen werden, wenn der Schiri die Kabine betreten und sich irgendwo zwischen am Boden liegenden Taschen, zwei Mülleimern, den Trikotkoffern und der Eisbox sicheren Stand verschafft hat. Denn so eine Passkontrolle ist konspirativ und geheim. Sie ist auf keinen Fall für fremde Ohren bestimmt.

Die Durchführung einer Passkontrolle geschieht zu zweit

Außer dem Schiedsrichter und der Mannschaft braucht es auf jeden Fall noch einen Betreuer. So eine Passkontrolle muss zu zweit durchgeführt (ja, hier passt dieser schreckliche und irgendwie sehr deutsche Begriff bestens) werden. Wahrscheinlich steht es so in der Spielordnung oder gar der Satzung der Fußballverbände.

Früher schnappte sich einer der beiden Durchführenden dann die Mappe mit den Spielerpässen und der andere den Spielbericht. Der mit dem Spielbericht in der Hand rief dann – nach Rückennummern geordnet – die Spielernamen auf. Der jeweils Aufgerufene schnarrte dann „hier“, schnalzte ein „Ja“, murrte ein „Hmmm“ oder hob nur die Hand, weil er keine Lust hatte, mit dem Schiri zu sprechen. Je nachdem, wer Schiedsrichter war, musste noch die Trikotrückseite mit der Nummer gezeigt werden. Streng wanderte dann der Blick des Referees vom Spielberichtsbogen zum Spielerpass in der Mappe und dann zum Spieler selbst. Besonders lustig und anstrengend war die Zeit, in der Spielberichte noch handschriftlich ausgefüllt wurden und in Spielerpässen noch sämtliche Wechsel, die der Akteur in zehn Fußballjahren hinter sich gebracht hatte, abgestempelt vermerkt waren. Das Passfoto und das Antlitz des Spielers hatten meist keine Ähnlichkeit mehr, denn das Bild zeigte einen 18-jährigen Jüngling mit Locken, während der Schiri in die Augen eines 28-Jährigen mit Glatze starrte.

Bei der Passkontrolle wird heute gewischt und gesucht

Heute hat sich die Passkontrolle leicht verändert. Niemand klappt mehr in einer Passmappe die in der dem Spielbericht entsprechenden Reihenfolge liegenden Pässe auf. Heutzutage wird gewischt oder gesucht, wenn der Vorleser (heute ist meistens der Schiri in dieser Rolle) fragend Nummer und Namen nennt. Das geht dann etwa so: „Nummer 1, Otto Müller?“ Der Spieler schnarrt „Hier!“, und dann beginnt entweder das große Wischen, wenn der Passkontrollenhelfer den entsprechenden digitalen Identitätsnachweis in seinem Smartphone zu finden versucht, oder eben das große Suchen, wenn der digitale Nachweis ausgedruckt und alle 69 theoretisch spielberechtigten Akteure des Vereins auf sieben laminierte Blätter gebannt wurden.

Überhaupt nicht geändert hat sich aber eins: Die Passkontrolle nervt. Sie stört, hält auf und macht aggressiv. Und deshalb gehört sie wieder abgeschafft! Tatsächlich nervt sie Spieler, Funktionäre und Schiedsrichter gleichermaßen. Im Grunde haben alle Beteiligten es genossen, als die Passkontrolle wegen der Corona-Ansteckungsgefahr ausgesetzt worden war.

Nun ist sie aber wieder da, wohl auch, weil hie und da Schindluder mit der Spielberechtigung getrieben wurde. Tatsächlich kann so eine kurze Sichtkontrolle ja helfen bei der Frage, ob jemand wirklich für diesen oder jenen Verein spielberechtigt ist. Aber wahrscheinlich waren die Fälle des Missbrauchs verschwindend gering im Verhältnis zur Anzahl der Fußballer, die am Sonntag zum Spaß der Kugel hinterherjagen. Zumindest in ländlichen Regionen und Fußballkreisen könnte man die Passkontrolle wieder in die Tonne treten. Akteure ohne Spielberechtigung fallen dort sowieso sofort auf, weil jeder jeden kennt.

Keine Passkontrolle um „Viertel vor“

Und sollte es tatsächlich nicht möglich sein, die Passkontrolle abzuschaffen, weil die Spielordnung, die Verbandssatzung oder das Grundgesetz dagegen sprechen, dann brauchen die Schiedsrichter etwas mehr Fingerspitzengefühl. „Viertel vor“ ist keine gute Zeit für eine Passkontrolle, weil dann gerade die heiße Aufwärmphase läuft. Nichts ist schlimmer als das Warmmachen mal kurz zu unterbrechen, vom Platz in die Kabine zu traben, dort fünf, sechs Minuten mit Warten auf den Schiri zu verbringen, um dann einem Ritual zu frönen, von dem man nur schwer glauben kann, dass es wirklich hilft, nicht spielberechtigte Akteure zu identifizieren.

Wenn schon Passkontrolle, dann entweder eine Stunde vor Spielbeginn oder unmittelbar vor dem Anpfiff – und in der Kabine nur, wenn es regnet.

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