Deichmeeting mit Starappeal
In Neuwied kehrt Kauls Gespür fürs Fliegen zurück
Seite an Seite über die Hürde: Niklas Kaul (Mitte) und Leo Neugebauer (rechts) waren die Stars beim Neuwieder Deichmeeting, das aber noch viel mehr zu bieten als „nur" den Auftritt des Ex-Weltemeisters aus Mainz und den frisch aus den USA eingeflogenen Olympia-Zweiten.
René Weiss

Der Mehrkampf steht beim Neuwieder Deichmeeting im Mittelpunkt, doch diese Ausgabe hatte viel mehr zu bieten: Prominente Gesichter betraten die Bühne – und ein prominentes Gesicht, das die Leichtathletik in der Region geprägt hat, trat offiziell ab.

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Einen Doppelsieg feierte die Mainzer Mehrkämpfer-Familie Kaul beim Deichmeeting im Neuwieder Rhein-Wied-Stadion. Dass am Ende der Vierkämpfe Ex-Weltmeister Niklas Kaul bei den Männern vorn lag und seine Schwester Emma in der Frauen-Konkurrenz, wollte Vater und Trainer Michael Kaul allerdings nicht überbewerten: „Zu gewinnen war überhaupt nicht unser Ziel“, stellte er klar, „hier geht es darum, schöne Wettkämpfe vor Publikum zu absolvieren.“

„Ich bin zu 100 Prozent Deutscher, hier fühle ich mich zu Hause.“
Zehnkampf-Star Leo Neugebauer über sein Leben zwischen Austin/Texas und seiner Heimat im Schwabenland

Dass seine Schützlinge gewannen, lag auch daran, dass ihre härtesten Konkurrentinnen und Konkurrenten den Vierkampf nicht zu Ende brachten. „Stargast“ Leo Neugebauer, erst am Vortag nach langer Flugreise aus seiner Wahlheimat Texas eingetroffen, begnügte sich mit Hürdensprint und Diskuswurf („Zwei Disziplinen sind die perfekte Anzahl“), bevor er sich mit Leidenschaft und Engelsgeduld seiner „dritten Disziplin“ widmete. „Leo socialised gern“, denglischte Jörg Roos, der Neuwieder Leitende Bundestrainer Mehrkampf, der Neugebauer für die Zeit seines Heimataufenthalts in seiner Leverkusener Trainingsgruppe betreut.

Hürdensprint und Diskuswurf, diese beiden Disziplinen, waren für Leo Neugebauer in Neuwied „die perfekte Anzahl“. Dann folgte für den Olympia-Zweiten seine ganz besondere „dritte Disziplin“.
René Weiss

Zwischen Selfies und Autogrammen für seine jungen und älteren Fans fand der deutsche Rekordler (8961 Punkte) auch bereitwillig Gelegenheit für ein kurzes Interview: „Ich bin mehr als zufrieden und fühle mich top“, gab der Modellathlet, der mit drei blitzsauberen Würfen über die 50-Meter-Marke seine Ausnahmeklasse andeutete, gut gelaunt Auskunft. „Dieses Jahr nutze ich dazu, mich daran zu gewöhnen, dass ich nicht mehr im Unibetrieb stecke“, beschrieb er seine nächsten Ziele, „jetzt freue ich mich auf das Meeting in Götzis in zwei Wochen.“ Zwischendrin besucht er seine Familie im Schwabenland und genießt das Heimatgefühl.

„Endlich fühlt sich der Hochsprung wieder wie Fliegen an.“
Zehnkämpfer Niklas Kaul nach überzeugenden Leistungen in seiner „Problemdisziplin“

In Götzis wird der Olympia-Zweite von Paris auch den derzeit zweitbesten deutschen Zehnkämpfer wiedertreffen. Niklas Kaul freute sich besonders über seine gelungenen Hochsprünge und wollte nach vier beschwerdefreien Lattenüberquerungen von 1,96 bis 2,05 Meter gar nicht mehr aufhören mit dem Springen: „Endlich fühlt sich der Hochsprung wieder wie Fliegen an“, jubelte der 27-Jährige vom USC Mainz. Vater Michael wollte seinen Sohn und Schützling zum Abbruch bewegen, doch der legte noch einen (gescheiterten) Versuch über 2,08 Meter hin, ehe er der Aufforderung folgte: „Ich wollte unbedingt noch springen, doch da hat der Trainer das letzte Wort.“ Vater Kaul bestätigte: „Ich will nicht, dass er sich hier den Fuß kaputtmacht.“

„Endlich fühlt sich der Hochsprung wieder wie Fliegen an“, jubelte der 27-jährige Mainzer Niklas Kaul, der in Neuwied 2,05 Meter meisterte.
René Weiss

Dass Sonnyboy Neugebauer seinem Sohn den Rang als Leichtathletik-Liebling abgelaufen hat, findet Michael Kaul „gar nicht schlimm“, wie er betonte. „Niki will gar nicht immer im Fokus stehen, er war genug Publikumsliebling.“  Trotzdem widmete auch Niklas Kaul seinen Anhängern und Bewunderern nach dem Wettkampf viel Zeit für Fotos, Unterschriften und Gespräche und mischte sich beim anschließenden Hammerwurf-Wettbewerb noch unter die verbliebenen Zuschauer.

Sieg für Emma Kaul, Tränen bei Sandrina Sprengel

Niklas‘ Schwester Emma, mit 19 die Jüngste im elf Athletinnen starken Frauenfeld, hatte schon beim Hürdensprint die schnellste Zeit hingelegt, schleuderte den Speer im zweiten Versuch auf fast 50 Meter, vier Meter weiter als bei ihrer bisherigen Bestleistung, und freute sich über ihren Gesamtsieg. Den hatte sie allerdings auch dem Verletzungspech der Favoritin zu verdanken. Auf dem Weg zum Sieg im abschließenden 150-Meter-Lauf griff sich Sandrina Sprengel, die U20-Europameisterin von 2023, plötzlich an den Oberschenkel und stürzte auf die Bahn.

Doppelsieg für die Kauls aus Mainz: Während Niklas bei den Männern gewann, hatte Emma bei den Frauen die Nase vorn.
René Weiss

Tränen flossen, und Chefcoach Jörg Roos stellte mit steinerner Miene fest: „Zwei Wochen vor Götzis ist das gar nicht gut.“ Wenige Minuten zuvor hatte der frühere Coach von Lokalmatador Kai Kazmirek die 21-Jährige noch in den höchsten Tönen gelobt: „Sandrina ist in toller Form und bewegt sich deutlich Richtung Bestleistung.“ Die zweite U23-Hoffnung Marie Dehning glänzte zwar mit 51,50 Metern im Speerwurf, verspielte ihre Siegchance allerdings durch einen schwachen Hochsprung.

In Zivil stand Kai Kazmirek (links) im Blickpunkt: Funktionäre wie Achim Bersch (rechts), Politiker und Zuschauer würdigten die Leistungen und Verdienste des WM-Dritten von 2017 und Olympiavierten von 2016, ohne den es vermutlich das Deichmeeting nicht gäbe.
René Weiss

In Zivil erschien anschließend Kai Kazmirek auf der Bühne, der nach mehr als zehn erfolgreichen Jahren seine Zehnkampfkarriere beendet hat und demnächst Vaterfreuden entgegensieht. Funktionäre, Politiker und Zuschauer würdigten die Leistungen und Verdienste des WM-Dritten von 2017 und Olympiavierten von 2016, ohne den es vermutlich das Deichmeeting nicht gäbe. Von Entzugserscheinungen konnte der sympathische (Ex-)Topathlet aus Neuwied beim Besuch „seines“ Meetings allerdings nicht berichten: „Ich ärgere mich nicht, dass ich keine 300 Meter laufen muss“, scherzte der Polizeikommissar mit breitem Lächeln.

Als Abschiedsgeschenk erhielt das langjährige Aushängeschild der LG Rhein-Wied ein Bäumchen – „eine japanische Kirschblüte, das ist mein Lieblingsbaum“ –, der im Rhein-Wied-Stadion eingepflanzt wird. Dem Verein wird Kai Kazmirek als Nachwuchstrainer erhalten bleiben, aktuell kümmert er sich um die Stabhochsprung-Talente der LG.

Ergebnisse vom Deichmeeting in Neuwied

Vierkampf Männer (110 m H, Diskus, Hochsprung, 300 m): 1. Niklas Kaul (USC Mainz) 3452 Punkte (14,56 Sekunde; 47,24 Meter; 2,05 Meter; 34,94 Sekunden), 2. Manuel Eitel (SSV Ulm 46) 3396 (14,38; 44,82; 2,05; 34,94), 3. Malik Diakite (Hannover 96) 3061 (15,14; 42,61; 1,84; 35,52), 4. Moritz Eisold (Filder) 2879 (16,23; 45,26; 1,84; 37,14). Friedrich Schulze (Königstein) 2577 (14,59; 47,91; 2,05; n.a.), Gaio Finley (Schweiz/Ulm 46) 2565 (14,12; 41,55; o.g.V.; 34,57), Leo Neugebauer (VfB Stuttgart) (14,49; 52,21; danach nicht mehr angetreten).

Vierkampf Frauen (100 m H, Hoch, Speer, 150 m): 1. Emma Kaul (USC Mainz) 3685 (13,79; 1,67; 49,71; 18,17), 2. Marie Dehning (Bayer Leverkusen) 3531 (14,57; 1,61; 51,50; 18,23), 3. Leonie Kroter (Wasseralfingen) 3527 (14,07; 1,73; 42,35; 18,54). Sandrina Sprengel (Steinlach-Zollern) 2709 (13,82; 1,76; 45,70; gestürzt).

Hammerwurf: 1. Ethan Katzberg (Kanada) 79,32 Meter, 2. Denzel Comenentia (Niederlande) 75,13, 3. Christoph Gleixner (Frankfurt) 64,79.

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