Ein verhängnisvoller Ausrutscher zehn Sekunden vor Schluss hat der HSG Hunsrück einen Punkt gekostet, im Gegenzug durfte die HSG Kastellaun/Simmern mit ihren fast 300 Gäste-Fans den „Auswärtssieg“ und die neue Rolle des „Spitzenreiters“ lautstark bejubeln. Das Derby hätte nicht dramatischer enden können: Beim Stand von 24:25 für Kastellaun hatte Gäste-Akteur Nico Hassley den Matchball 15 Sekunden vor Schluss, aber er traf nur den Innenpfosten.
Die Gastgeber schnappten sich den Ball, Kristof Schell spurtete in Richtung Tor, beim Passversuch auf Jannik Stürmer rutschte Schell aber unglücklich weg, Kastellaun eroberte den Ball und gab den Sieg nicht mehr aus der Hand. Wäre Schells Pass angekommen, der völlig frei stehende Stürmer hätte mit hoher Wahrscheinlichkeit den 25:25-Ausgleich besorgt. So lagen aber Schell und Stürmer sinnbildlich auf dem Boden und die Kastellaun/Simmerner konnten ihre Jubelarie mit ihren Fans starten.
„Kein Vorwurf an Kristof, das war einfach Pech, wir hatten vorher schon genug Chancen, um hier nicht verlieren zu müssen“, meinte Hunsrück-Torjäger Julian Mangold. „Kastellaun hatte da sehr viel Glück“, sagte Hunsrück-Trainer Dejan Dobardzijev: „Der Punkt wäre nach der zweiten Halbzeit verdient gewesen.“ Auch für Kastellauns Coach Mirza Cehajic wäre ein Unentschieden gerecht gewesen: „Es war ein super Spiel, wir 40 Minuten überragend, dann Hunsrück am Ende viel stärker, ein Remis wäre okay gewesen.“
Die letzten zwei Minuten des Derbys trieben es auf die Spitze für die 750 begeisterten Zuschauer: Kastellaun führte nach 39 Minuten mit 21:14 und nach 49 Minuten noch mit 23:19. Aber Hunsrück kämpfte sich Tor um Tor heran. Als Mangold mit seinem zehnten Treffer nach 58 Minuten das 23:23 markierte, schien alles auf ein Remis hinauszulaufen.
Cehajic nahm die Auszeit und sein Spielmacher-Ass Sasa Puljizovic schlüpfte in die Hauptrolle. Mit einem Alleingang markierte der überragende Ex-Profi mit seinem neunten Tor 100 Sekunden vor Schluss das 23:24. Im Gegenzug foulte Puljizovic Manuel Schell, nach einem Wortgefecht forderte der Kastellauner Spielmacher den Hunsrück-Spielmacher auf: „Komm her, komm her.“ Die guten Schiedsrichter Michael Hemmes und Siegfried Niesen werteten das als Unsportlichkeit und gaben Puljizovic zwei Minuten. „Lass uns über die Schönheit dieses Derbys reden, nicht über so eine Aktion, in Derbys gibt es eben mehr Intensität und Emotion“, sagte der 32-jährige Puljizovic. Sein Landsmann Cehajic wird mit Puljizovic darüber aber noch sprechen: „Sasa hat uns unnötig in Unterzahl gebracht.“
In Überzahl scheiterte Manuel Schell an Kastellauns Keeper Maurice Lahm (58:55 Minuten), im Gegenzug traf Philipp Hassley zur vermeintlichen 23:25-Vorentscheidung (59:10 Minuten). Aber Hunsrück gab nicht auf, Manuel Schell markierte das 24:25 (59:26 Minuten), dabei kassierte Andi Zigelis auch eine Zeitstrafe. Kastellaun war in doppelter Unterzahl, schaukelte den Sieg aber über die Bühne, weil Kristof Schell ausrutschte.
40 Minuten dominierte Kastellaun das Geschehen in Sohren fast nach Belieben. Beim Stand von 4:4 (12.) brachte Cehajic seinen kurzfristig reaktivierten Kreisläufer Zigelis, der nach dem Spiel lachte: „Jetzt will ich wieder meine Ruhe haben.“ Mit der Achse Puljizovic, Zigelis und Kilian Kötz war Kastellaun kaum zu stoppen. „Die sind einfach gut, das hat mit Rheinlandliga nix zu tun“, zollte auch Hunsrück-Geschäftsführer Ralf Johann dem Gäste-Trio seinen Respekt. „Wir haben vor allem Puljizovic zu viel Freiraum gegeben“, sagte Hunsrück-Keeper Martin Scherschlicht. „Viel zu abwartend hat meine Abwehr gespielt“, monierte Dobardzijev. Im Gegenzug lief außer bei Mangold nicht viel im Hunsrück-Angriff zusammen. „Wir haben 40 Minuten eine überragende 6:0-Deckung gespielt“, sagte Cehajic.
Kastellaun führte zu dem Zeitpunkt 21:14, die Messe schien gelesen. „Wir waren vielleicht zu relaxt“, meinte Puljizovic. Dobardzijev zog dann seinen letzten Trumpf: Doppelte Manndeckung gegen Kötz durch Kristof Schell und gegen Puljizovic durch Fabian Schmidt. „Es war klar, dass Dejan das irgendwann machen würde“, sagte Cehajic. „So eine doppelte Manndeckung ist wirklich das allerletzte Mittel, aber es hat funktioniert“, sagte Keeper Scherschlicht, der dann einige Würfe wegfischte.
Warum Dobardzijev nicht schon früher auf die doppelte Manndeckung zurückgegriffen habe, dazu sagte der Trainer: „Das kann man maximal 20 Minuten spielen, länger geht das nicht.“ Kastellaun verlor jedenfalls völlig die „Kontrolle“, wie auch Zigelis sagte. „Kastellaun hat nur noch auf Ergebnisverteidigung gespielt, sie waren ja ständig im Zeitspiel“, meinte Mangold. „Uns ging dann auch einfach die Puste aus“, sagte Cehajic. Mit einem 9:2-Lauf in 18 Minuten glich Hunsrück zum 23:23 aus (58.). Aber in den dramatischen beiden Schlussminuten ging es mit viel Glück dann doch gut aus für Kastellaun/Simmern.
„Meine Mannschaft hat großen Charakter gezeigt, aber es ist im Endeffekt kein gutes Ergebnis für uns“, war Dobardzijev enttäuscht. Cehajic sagte zur neuen Rolle des Tabellenführers: „Wir haben noch so viele schwere Spiele auswärts vor uns, da müssen wir nicht über die Meisterschaft sprechen.“ Auch für Dobardzijev ist die Saison „noch ganz lang“. Aber bereits am kommenden Wochenende kann Kastellaun vier Punkte „vor“ sein, wenn Hunsrück beim Tabellendritten Bitburg verliert.
Enttäuschte Irmenach/Gösenrother, überglückliche Kastellaun/ Simmerner nach den 60 packenden Derby-Minuten – die Gefühlswelten waren grundverschieden. Beide einte aber der Stolz, vor so einer großen Kulisse nach langer Zeit wieder ein echtes Highlight im Hunsrücker Männerhandball gesetzt zu haben. „Das war Werbung für unseren Sport in der Region“, sagte Cehajic. Auch Dobardzijev meinte: „Dieser Abend war eine super Sache für den Hunsrücker Handball.“ Hunsrück-Torjäger Mangold schwärmte: „Wir haben dieses Derby vor so vielen Zuschauern sehr genossen, das war einzigartig, auch wenn wir leider unglücklich verloren haben.“
HSG Hunsrück: Charalampidis, Scherschlicht – L. Schneider, B. Klei (1), Stürmer (3), Krömer (1), Mangold (10/3), K. Schell (1), M. Schell (3), Schmidt (3), Reuter (1), Ihmer, Pusceddu (1).
Kastellaun/Simmern: Lahm, Stein – P. Hassley (2), K. Kötz (6), Mallmann (1), M. Kötz, Ponstein (1), Kraft, N. Hassley (3), M. Kaltenmorgen, Bottlender, Puljizovic (9/1), Zigelis (3).
Schiedsrichter: Michael Hemmes (Mertesdorf) und Siegfried Niesen (Bitburg).
Zuschauer: 750.
Spielfilm: 5:5 (12.), 7:10 (20.), 11:13 (26.), 11:15 (Halbzeit); 14:21 (39.), 19:23 (49.), 23:23 (58.), 23:25 (60.), 24:25 (Endstand).