Von unserem Reporter Christoph Erbelding
In zahlreichen Turnieren haben es Cristiano Ronaldo und Kollegen seitdem nicht geschafft, dieses Trauma zu überwinden. In diesem Sommer aber kann genau das den Portugiesen gelingen, wenn sie am Sonntag (21 Uhr, ARD) Frankreich im EM-Finale bezwingen. Und dabei wird mit Santos jener Trainer auf der Bank sitzen, der vor zwölf Jahren genug hatte und ging. Allerdings nicht aus Frust über das verkorkste Finale. Sondern weil ihn in der Heimat nach seiner Entlassung bei Sporting Lissabon kein Top-Verein mehr wollte.
Griechenland machte Santos im Jahr 2004 kurz nach dem Scheitern Portugals zu seinem Exil. Er trainierte zwei Jahre lang AEK Athen. Es war für den 61-Jährigen keine neue Erfahrung, er hatte schon vorher im Land der Philosophen trainiert, ab 2001 erstmals AEK, ab 2002 Panathinaikos. Von 2007 an stand er zudem bei Paok Saloniki und ab 2010 beim griechischen Nationalteam an der Seitenlinie.
Es ist offensichtlich, dass die Griechen Santos' knorrige Art und seinen Ansatz, Spiele über Defensivarbeit zu gewinnen, sofort schätzten. In Portugal aber taten sie sich schwer, mit diesem Trainertypen warm zu werden, einem Kettenraucher, der als Profi mit 21 Jahren verletzungsbedingt aufhören musste. Immer wieder kehrte der Trainer Santos nach Portugal zurück, um zu beweisen, dass der Meistertitel, den er 1999 mit dem FC Porto geholt hatte, kein Produkt des Zufalls war. Er war der erste Trainer, der alle drei großen Klubs trainierte. Außer in Porto scheiterte er aber überall: In Lissabon bei Sporting (2003/04) und Benfica (2006/07) wurde er jeweils nach nur einer Spielzeit entlassen.
Der heutige Nationaltrainer war in Portugal über Jahre der Prophet, der im eigenen Land nichts zählte, woanders aber sehr viel. Santos hat 13 Jahre lang in Griechenland gearbeitet, er hat das Nationalteam bei der EM 2012 und der WM 2014 in die K.o.-Phase geführt. Er wurde zum griechischen Vereinstrainer des Jahrzehnts gewählt. Griechenland ist seine zweite Heimat geworden. Der studierte Ingenieur und frühere Hoteldirektor hat sich sogar an politischen Diskussionen beteiligt. Und dennoch: Die Ablehnung seiner Arbeit in der Heimat hatte eine emotionale Wunde aufgerissen. Als Trostpflaster diente ihm die Anerkennung in der Fremde nicht.
Als Bewerbungsschreiben indes taugten mit der Zeit die Erfolge. Als Santos Griechenland bei der WM 2014 ins Achtelfinale führte, während die Portugiesen nach der Gruppenphase ausschieden, dachten sie um auf der iberischen Halbinsel. Vielleicht in Ermangelung eines geeigneten Kandidaten, dem sie zugetraut hätten, das Nationalteam doch noch auf dem schönen Weg zum Erfolg zu führen, gaben sie Santos doch eine Chance. Dem Mann fürs ungeliebte Grobe, der über sein Spiel sagt: „Wir haben immer einen Plan.“ Und dem dieser Satz abzunehmen ist. Santos, seit 2014 im Amt, hat 13 Pflichtspiele mit Portugal bestritten. Keines ging verloren. Er hat Techniker wie Cristiano Ronaldo oder Nani in sein defensives Werk eingeflochten. Und er strahlt eine Autorität aus, an der Kritik an einer wenig attraktiven Spielweise abperlt.
Am Sonntag wird das EM-Finale von 2004, das 0:1 gegen Griechenland, 4389 Tage zurückliegen. Um das portugiesische Trauma von damals zu besiegen, ist Santos vielleicht der richtige Trainer. Wie man ein Finale gewinnt, und das gegen einen Gastgeber, hat er in seiner Zeit in Griechenland sicherlich oft erzählt bekommen.