Kessel rückt in Bundesliga auf
Profi-Schiedsrichter bewundert regionale Kollegen
Shakehands vor dem Spiel: Patrick Kessel (rechts) klatscht Nationalspieler Nadiem Amiri ab. Kessel assistiert in diesem Fall Nicolas Winter, seinem Freund aus der Pfalz.
IMAGO/Ulrich Scherbaum. IMAGO/Jan Huebner

Groß war die Freude bei Patrick Kessel aus Norheim, als er die Info erhalten hat, dass er ab der neuen Saison in der Bundesliga am Start sein wird. Er steht im Mittelpunkt des zweiten Teils unserer Schiedsrichter-Serie.

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Sonntag für Sonntag stehen Schiedsrichter auf den Sportplätzen der Region im Fokus. Eine kleine Anzahl von ihnen schafft es in eine andere Welt, ihnen gelingt meist in jungen Jahren der Aufstieg in den Profibereich. Einer von ihnen wohnt in Norheim: Patrick Kessel, der sich auf die Assistentenrolle fokussiert hat und nun in die Bundesliga aufgestiegen ist.

Seine Wurzeln hat der 35-Jährige aber ganz und gar nicht vergessen. Das drückt sich darin aus, mit welcher Hochachtung er von den Leistungen der Kollegen schwärmt, die auf den Plätzen der Region Woche für Woche Pfeifen und Fahnen in die Hand nehmen. Er sagt: „Ich bewundere, wie viele Schiedsrichter teilweise schon seit 30, 40, 50 Jahren aktiv sind, sich dem permanenten Druck aussetzen und sich auch nicht entmutigen lassen, wenn sie beschimpft werden. Davor habe ich einen Riesen-Respekt.“

Derzeit weilt Kessel bei der Klub-WM – aus beruflichen Gründen

Zumal die Herausforderungen ganz andere sind. In großen Stadien bekommen die Schiedsrichter oft nicht mit, was gerufen oder geschrien wird. „Das geht in der anonymen Masse unter“, sagt Kessel. Ganz anders die Unparteiischen auf den kleinen Sportplätzen, wo jede Anfeindung zu hören ist.

Kessel ist einer der wenigen Schiedsrichter und Assistenten auf höchstem Niveau, der noch einer geregelten Arbeit nachgeht. „Das ist mir ganz wichtig. Ich brauche einen Ausgleich, vor allem dann, wenn es vielleicht mal nicht so gut läuft“, sagt der Unternehmer, der Fitness-Rucksäcke entworfen hat und vertreibt. Sein neuestes Baby sind die Bodycams für Schiedsrichter, die aktuell auch bei der Klub-WM zum Einsatz kommen. Schon seit gut drei Wochen weilt Kessel deshalb in Miami und weist die weltbesten Schiedsrichter in den Umgang mit den Kameras ein. Er wird auch bis zum Finale vor Ort bleiben. Mit diesem Projekt lassen sich sein Unternehmergeist und seine Liebe zur Schiedsrichterei natürlich perfekt verbinden.

Dank an die Fürsprecher

Während der Saison bleibt allerdings kaum Zeit für berufliche Verpflichtungen. Lehrgänge, Trainingslager, tägliches Training, dazu kurzfristige Ansetzungen – Schiedsrichter und Assistenten in der Bundesliga sind permanent gefordert. „Zudem reisen wir ja im Regelfall am Tag vor dem Spiel an“, erzählt der Norheimer.

Der Aufstieg in den Profibereich wäre ohne Fürsprecher und Mentoren nur schwer möglich gewesen. Die beiden schon verstorbenen Obmänner Wolfgang Lauer und Erhard Blaesy nennt Kessel gerne als Unterstützer. Doch spätestens, wenn es auf DFB-Ebene geht, zählen nur noch die Lei(s)tungen. Wann ist bei ihm die Entscheidung gereift, Profi-Schiedsrichter zu werden? „So einen bewussten Punkt gibt es da gar nicht. Ich bin eher so reingeschlittert, es ging immer irgendwie weiter nach oben. Mir hat das großen Spaß gemacht, bis ich dann den Ehrgeiz entwickelt habe, in diesem Bereich bleiben zu wollen“, antwortet Kessel, der sich 2024 als Schiedsrichter aus der Dritten Liga zurückgezogen und auf die Assistenten-Schiene gesetzt hat. Eine Entscheidung, die nun mit dem Aufstieg belohnt wurde.

„Jeder Schiedsrichter hasst es, Fehler zu machen.“
Patrick Kessel

„Auf jedem Level stellt sich immer wieder die neue und spannende Frage, packst du es“, gibt er einen Einblick in seine Gefühlswelt und fügt an: „Aber ich versuche, mir da gar nicht so viele Gedanken zu machen, sondern einfach mein Bestes zu geben. Eh ist es mein Anspruch, fehlerfrei zu bleiben. Jeder Schiedsrichter hasst es, Fehler zu machen.“

Sein erstes Oberliga-Spiel als Assistent absolvierte er mit Jochen Drees, dem damaligen Bundesliga-Schiedsrichter, der mittlerweile das Videoschiedsrichter-Projekt beim DFB verantwortet. Dabei arbeiten beide wieder eng zusammen, denn Kessel kommt auch regelmäßig im Kölner Keller zum Einsatz. Zum Videoassistenten hat er übrigens eine geteilte Meinung: „Als Schiedsrichter möchte ich maximale Gerechtigkeit, deshalb ist es gut, dass wir den Videoschiedsrichter haben. Mein Fanherz möchte aber maximale Emotionen, und die verhindern die Überprüfungen oftmals.“

„Ich glaube, es ist wichtig, auch mal drüber zu stehen, über dem, was andere über einen sagen.“
Patrick Kessel

Wenn es seine Zeit zulässt, ist Kessel auch mal auf dem Sportplatz vor Ort anzutreffen, vorzugsweise bei der SG Hüffelsheim, für die er pfeift. Welche Ratschläge gibt er den jungen Schiedsrichtern, die er dort sieht? „Talent ist auch im Schiedsrichterwesen die Basis für alles. Aber du musst dir auch ganz, ganz viel erarbeiten. Und das geht nur mit Selbstkritik. Du musst bereits in jungen Jahren reflektieren, was sind meine Stärken und Schwächen, wie reagiere ich in Drucksituationen.“ Und noch einen Tipp hat er auf Lager: „Nicht zu sehr auf Noten und Kritiken achten. Viele brechen da weg. Ich glaube, es ist wichtig, auch mal drüber zu stehen, über dem, was andere über einen sagen.“

Mit dieser Herangehensweise ist Kessel gut gefahren, seit er mit 15 Jahren seine Prüfung abgelegt hat. Eine Entwicklung, die er anderen nur empfehlen kann: „Schiedsrichter zu sein, ist eine Lebensschule. Du entwickelst Selbstbewusstsein und Selbstständigkeit. Mir hat die Aufgabe in jungen Jahren einen Inhalt und eine gewisse Ordnung vermittelt.“ Wird er eines Tages die Rollen wieder tauschen, nach der Profikarriere an die Basis zurückkehren und wieder in der A-Klasse pfeifen? „Ich mache das ja jetzt schon sehr gerne und immer mal wieder“, erzählt Kessel, um dann nachdenklicher hinterzuschieben: „Wenn Hochzeiten und Geburtstage anstehen, bin ich nicht da, weil der Fußball ruft. Ich könnte mir gut vorstellen, dass ich nach dem Ende meiner Karriere ganz oben eher mal ein selbstbestimmtes Leben führen werde.“ Aber vielleicht kommt es ja auch ganz anders. Und er steht am Ende auch noch im hohen Alter seinen Mann auf den Plätzen der Region – so wie die Schiedsrichter, die er derzeit so bewundert.

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