Die von Schiedsrichter Zijad Ikanovic vom FC Erlenbach angezeigten zwei Nachspielminuten waren beinahe schon abgelaufen, als der SC Idar-Oberstein sich noch einmal den Ball eroberte. Der Baumholderer Dennis Peters, 60 Sekunden vorher eingewechselt, ging in Höhe der Mittellinie unnötigerweise in ein Dribbling gegen drei SC-Spieler und verlor den Ball an Jeffrey Renner, der sogleich Florian Zimmer bediente, der wiederum umgehend Alex anspielte. Der brasilianische Edeltechniker startete mit Ball parallel zur Sechzehnmeterlinie nach innen und zog ab. Robin Sooß, der Kapitän des VfR Baumholder, versuchte noch zu blocken, fälschte den Ball aber so ab, dass er unerreichbar für seinen Torwart Julian Staudt ins rechte Eck fiel. Gespielt waren da exakt 91 Minuten und 58 Sekunden. Es war sozusagen ein abgefälschter Schock für den VfR. In einem Akt von Gnadenlosigkeit ließ Schiedsrichter Ikanovic danach noch den Anstoß ausführen, um dann sofort abzupfeifen. Der SC Idar-Oberstein hatte gewonnen. Verdient? Auf jeden Fall nicht unverdient! Aber ebenso wenig hatte der VfR Baumholder verdient verloren. „Am Ende war der Sieg glücklich“, gestand SC-Coach Andy Baumgartner, ehe er hinzufügte: „Aber was war das für ein geiles Spiel, so stellt man sich doch ein Derby vor.“
Ein Derby wie gemalt
Tatsächlich – wenn man ein Fußballderby malen müsste, dann könnte es so aussehen, wie die Partie des SC Idar-Oberstein gegen den VfR Baumholder. Regenwetter und ein nasser, tiefer, zum Teil matschiger Rasen sowie eine stimmungsvolle Kulisse bildeten den Rahmen, den die Akteure mit Leben füllten. Zu sehen gab es keine Kombinationsorgie, kaum technische Leckerbissen, nicht das, was gemeinhin als Spielkultur bezeichnet wird, aber es war Feuer im Spiel, Leidenschaft, Kampfgeist und Siegeswille auf beiden Seiten. Es gab Torchancen, Spannung, dramatische Wendungen und Helden – tragische und echte. Und genau deshalb war das Derby im Haag ein herausragendes Fußballspiel.
Taktisch lief es erwartbar ab. Der SC hatte mehr Ballbesitz und immer ein scheinbares Übergewicht. Der VfR stand dagegen gut, attackierte aggressiv und schaltete höchst gefährlich um. Beide Teams wählten auch immer wieder lange Bälle als Spieleröffnung. Der VfR fast durchgängig, der SC vielleicht ein paarmal zu oft – aber auch dieses Stilmittel passte irgendwie zu diesem Derby, das nie langweilig war. „Wir wollten einen tollen Fight liefern, das ist uns sicher gelungen“, sagte VfR-Trainer Sascha Schnell, der zur Pressekonferenz im „Hugo-Heinz-Klub“ im Haag genauso mit Beifall empfangen wurde wie Baumgartner, der dort den Satz des Tages sagte: „Man kann froh sein, dass man hier in der Region so zwei starke Mannschaften hat.“
Gewinnen hätte am Ende genauso gut der VfR können. Vor allem zwischen der 70. und 85. Minute hatte der SC richtig Glück, die Waagschale neigte sich da deutlich in Richtung der Gäste. „Knackpunkt war die Elfmetersituation, wenn wir da in Führung gehen, dann bekommen wir noch mehr Räume zum Kontern, und ich kann mir gut vorstellen, dass wir dann gewinnen“, analysierte Schnell und widersprechen mochte ihm da niemand. 70 Minuten waren gespielt, als Jannis Staudt gegen Flavius Botiseriu den Strafstoß „zog“. „Aus meiner Sicht war das kein Elfer. Er war nur darauf aus“, beteuerte Botiseriu später. Allerdings hatte er sich schon höchst ungeschickt angestellt, denn Staudt war gerade dabei, den Strafraum mit Ball am Fuß zu verlassen. Botiseriu verfolgte den Baumholderer zu stürmisch und lief ihm dann in die Haxen. Den Elfer konnte man geben.
Elfmeter von Alles misslingt
Alexander Bambach, der aus beruflichen Gründen gerade kaum mit der VfR-Mannschaft trainieren kann und auch deshalb nicht in der Startelf stand, lief sich noch warm, und André Thom der VfR-Co-Trainer und Ex-Kapitän des SC konnte wegen anhaltender Adduktorenprobleme nicht auflaufen. Die beiden wohl sichersten Elfmeterschützen in Reihen des VfR Baumholder standen also nicht auf dem Feld. Aber Niklas Alles war entschlossen. Und warum auch nicht? Er hatte schließlich bis dahin ein gutes Spiel gemacht und mit einem Eckball die 1:0-Führung der Baumholderer vorbereitet. Doch ausgerechnet sein Elfmeter missriet.
Mit leichter Verzögerung lief er an und schaufelte die Kugel mit dem linken Fuß in die linke Ecke. Julian Beyhl im SC-Tor roch den Braten, entschärfte den aufsetzenden Ball und parierte auch noch den Nachschuss von Alles ganz ausgezeichnet. Den daraus resultierende Abpraller köpfte Moritz Höh auf den Rücken von Johannes Lang, von wo die Kugel Sooß vor die Füße fiel, der sie aus sieben Metern am Kasten vorbei jagte (71.). Da hatte der SC am Abgrund gestanden, mit den Armen gerudert und das Gleichgewicht schon fast verloren.
Und nur vier Minuten später überstanden die Idarer noch einen mindestens genauso heiklen Moment, nachdem Moritz Höh SC-Linksverteidiger Luca Redschlag den Ball praktisch auf der Torlinie geklaut und Sooß bedient hatte. Der VfR-Kapitän stand da vielleicht noch drei Meter vor dem Kasten, aber Beyhl blockte den Flachschuss im kurzen Eck (75.). Noch ein weiteres Mal hatte der SC Glück, nämlich als Sooß scharf nach innen flankte und ganz sicher den mittlerweile eingewechselten Bambach sechs, sieben Meter vor dem Tor gefunden hätte, wenn nicht SC-Innenverteidiger Paulo de Souza geradezu artistisch im Vorbeiflug geklärt hätte (80.).
Nun war es aber keineswegs so, dass nur der VfR Baumholder Chancen gehabt hätte. Der SC besaß schon auch gute Möglichkeiten, um zu treffen. Beim Stand von 0:0, 0:1 und 1:1. Gerade zu Beginn waren die Idarer auch gut in der Partie, es reichte allerdings lange nicht zu mehr als zu Halbchancen. Das erste „Riesending“ besaß Renner in Minute 25 nach einer Flanke von Alex. Aber er schoss vorbei. Seine besten Gelegenheiten hatte der SC, nachdem er von Dominic Schübelin in Rückstand geschossen worden war. Schübelin stocherte eine Ecke von Alles, die von Höh verlängert worden war, über die Linie. Der VfR führte also 1:0 (27.).
Flo Zimmer liefert erneut
Die Gastgeber antworteten mit Großchancen, aber Julian Staudt war zunächst nicht zu überwinden. Von Flavius Botiseriu im direkten Duell nicht (28.), von Alexander Davidenkos Kopfball nicht (29.) und auch nicht von de Souzas Nachschuss (29.). Julian Staudt hätte den VfR fast mit einer Führung in die Pause gerettet, wenn in der 40. Minute nicht Fabian Lauder ein wenig unkonzentriert den Ball an den starken Marius Gedratis verloren hätte. Danach ging es schnell und in diesem Fall auch kombinatorisch zum Zungeschnalzen. „Wir haben da mit drei Kontakten die Seite gewechselt“, freute sich auch Baumgartner. Von Gedratis lief die Kugel über Flavius Botiseriu und Davidenko zu Marius Botiseriu. Der nutzte seinen Raum zu einem präzisen Querpass auf – natürlich Florian Zimmer. Der Mittelstürmer des SC lieferte erneut und traf zum 1:1 (40.). „Dieses Tor war ganz wichtig für uns“, schnaufte Baumgartner durch.
Der Treffer schien den SC tatsächlich zu beflügeln, denn für gut 20 Minuten in Abschnitt zwei drängte er den VfR in dessen Hälfte. Chancen zur Führung gab es auch – und ein Abseitstor von de Souza (59.). „Mitte der zweiten Hälfte haben wir dann aber das Zepter aus der Hand gegeben“, erkannte Baumgartner. Die gefährliche Phase für den SC und die starke Zeit des VfR begann.
Dass die Idarer diese Phase überstanden und ganz spät sogar noch zum Siegtor kamen, war einerseits sicherlich großes Glück, hatte aber auch mit einem Wechsel zu tun. Christian Henn kam. „Er hat zu mir gesagt, 'nimm mich drauf, ich will das Ding gewinnen'“, erzählte Baumgartner später, wie motiviert Henn war. Und der Co-Trainer ließ Taten folgen. Sieben Minuten nur spielte er, aber sieben Minuten lang war er der Herrscher auf dem Platz. Zweikampfstark und mit klugen Pässen. Unmittelbar vor dem Siegtor hatte der SC nämlich schon eine Riesenmöglichkeit zum 2:1 gehabt. Henn hatte die Chance eingeleitet und Danny Lutz geflankt. Aber Justus Klein traf frei stehend den Ball nicht (90.+1). Keine 60 Sekunden später setzte Alex dann aber den entscheidenden Schuss an, der dem SC den dritten Punktspielsieg in Folge bescherte. Aber auch der VfR Baumholder hat ein Ausrufezeichen gesetzt. „Meine Mannschaft hat ihr wahres Gesicht gezeigt“, sagte Trainer Schnell und Mittelfeldmann Kevin Appleby ergänzte: „Wir haben gezeigt, dass wir in die Verbandsliga gehören.