Fußball: Hargesheimer erzielt im Oktober 1983 das Tor des Monats, das auch zum Tor des Jahres gewählt wird - Hassia-Team besucht Sportschau
Wilhelm schreibt ein Kapitel Fernsehgeschichte
So kennen die Fußball-Fans in der Region ihren „Ed“: Jürgen Wilhelm vor einigen Jahren bei seiner Trainerstation beim FSV Bretzenheim. Foto: Hans-Otto Thomas
Hans-Otto Thomas

Hargesheim. Jürgen Wilhelm liegt in der Luft, waagerecht. Fast hat es den Eindruck, als würde er fliegen, ja sogar schweben. Doch der Vollblutfußballer hat nur zwei Sachen im Blick: den Ball und das Tor. Den Ball trifft er per Seitfallzieher perfekt, und das Tor trifft er ebenfalls. Im Winkel landet der Ball, der das Netz angesichts der Wucht dieses Kunstschusses ausbeult. Im Hintergrund jubeln die Zuschauer am Binger Hessenhaus enthusiastisch. Es ist eine Videoaufnahme, die man sich tausendfach anschauen kann, so schön ist das Zeitdokument vom 2. Oktober 1983. „Ich selbst habe das Video aber noch keine fünfmal gesehen“, sagt Jürgen Wilhelm über sein Tor des Monats Oktober 1983, das wenige Wochen später sogar zum Tor des Jahres gewählt wurde.

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50 Jahre jung wird das Tor des Monats dieser Tage. Längst ist die Wahl des schönsten Treffers, traditionell eingebettet in die ARD-Sportschau, zu einem Stück Fernsehgeschichte geworden. 50 Jahre voller Traumtore, und einmal war eben auch der Hargesheimer der Torschütze des Monats. „In den vergangenen Tagen wurde ich unheimlich oft darauf angesprochen. Fast jeder meiner Kollegen aus der Mittwochstruppe hat mir da etwas aufs Handy geschickt“, erzählt Wilhelm, der selbst viel lieber im Hier und Jetzt lebt. „Ich bin da anders als andere. Ich schaue nicht so viel in die Vergangenheit“, erklärt er. Deshalb schmerzt es ihn auch sehr, dass seine Mittwochstruppe, in der er auch mit 70 Jahren noch einer der Leistungsträger ist, derzeit wegen der Corona-Pandemie nicht kicken darf.

Immerhin verrät Wilhelm, dass der Besuch der Sportschau „damals ein großes Erlebnis war“. Seinerzeit wurden die Gewinner ins Studio nach Köln eingeladen. Wilhelm, den die komplette Fußballwelt „Ed“ nennt, durfte die Reise gleich zweimal antreten. Beim zweiten Mal, bei der Ehrung zum Tor des Jahres, war sein gesamtes Team von Hassia Bingen dabei. Aufgrund eines Wintereinbruchs entschieden sich die Hassiaten für eine Fahrt mit dem Zug, vertrieben sich die Zeit mit Kartenspielen. Doch schon damals war die Bahn nicht immer pünktlich, sodass der Binger Tross verspätet im Kölner Funkhaus eintraf. Ganze fünf Minuten Zeit blieben für die Maske, das Vorgespräch mit dem Moderator musste ganz ausfallen, doch Jürgen Wilhelm meisterte die für ihn nicht alltägliche Situation bravourös.

Zudem durfte er die Gewinner ziehen, mehr als 200 000 Zuschauer hatten sich für seinen Treffer entschieden. Bei der Wahl zum Tor des Jahres setzte er sich gegen hochkarätige Konkurrenz durch, beispielsweise gegen das Tor von Felix Magath, das dem Hamburger SV den Gewinn des Landesmeisterpokals bescherte. Auch Treffer von Paul Breitner, Rudi Völler oder Michael Rummenigge ließ er hinter sich. „Dass ich da gewählt wurde, war schon eine feine Sache für mich, der in einem Amateurverein gespielt hat“, erklärt der Hargesheimer, der damals mit 33 Jahren bereits eine bewegte Fußball-Vergangenheit hinter sich hatte.

Geboren wurde er in Lahnstein. In jungen Jahren bekam er seine Bundesliga-Chance, erzielte in der Saison 1971/72 in sieben Spielen drei Treffer für Borussia Dortmund. Doch es zog ihn schnell wieder zurück nach Rheinland-Pfalz, genauer gesagt an die Nahe. Bei Eintracht Bad Kreuznach wurde er zur Legende, spielte nicht nur für die Blau-Weißen, er trainierte sie später auch viele Jahre. Auch beim VfR Kirn, beim TuS Roxheim und beim FSV Bretzenheim hinterließ er Spuren, führte die Vereine zu großen Erfolgen.

Zwei bemerkenswerte Jahre als Spieler absolvierte er auch bei Hassia Bingen. Als Libero lenkte er das Spielgeschehen beim Oberligisten, dem er noch heute gerne einen Besuch abstattet. An jenem 2. Oktober 1983 hielt es den Libero in der 53. Minute des Spiels gegen den FC Homburg aber nicht hinten, er tauchte unvermittelt im Strafraum der Saarländer auf. Ein flaches Anspiel auf den freien Wilhelm wäre sicher Erfolg versprechend gewesen. Dem Flankengeber verunglückte die Hereingabe aber, sie geriet zu hoch. Doch kein Problem für Wilhelm. Mit enormer Sprungkraft katapultierte er sich in die Höhe und setzte zu einer Flugeinlage inklusive Seitfallzieher an. Eine Aktion, mit der er sich in die Herzen der Zuschauer geschossen und ein Kapitel deutsche Fernsehgeschichte geschrieben hat.

Von unserem Redakteur Olaf Paare

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