Ende Oktober 1992 war im Staden alles entschieden. Der SC Idar-Oberstein führte im Landesliga-Spitzenspiel beim TuS Tiefenstein klar mit 3:0, und 1672 Zuschauer – womöglich bis heute die größte Kulisse in einer Partie der Landesliga West – warteten nach den Toren von Thomas Enders, Roman Uglesic und Bülent Türker eigentlich nur noch auf den Abpfiff, als es noch einmal Freistoß für den von Lothar Emmerich trainierten SC gab. 23, 24 Meter lag der Ball vom Kasten entfernt, halbrechte Position – und der älteste Spieler auf dem Feld nahm sich der Sache an. Fritz Röhrig war damals schon 42 Jahre alt, hatte aber noch immer die Klasse, um in dieser relativ hohen Liga mitzuhalten. Und so ein Freistoß war natürlich wie gemalt für ihn.
33 Jahre später ist Fritz Röhrig noch immer dem Fußball und (wieder) dem SC Idar-Oberstein verbunden. Mit viel Herzblut füllt er die Betreuerrolle beim Oberligisten aus. Ob die SC-Spieler, die seine Enkel sein könnten, überhaupt so wirklich wissen, dass ihnen nicht irgendwer die Getränke mixt und die Trikots zurechtlegt? Ob ihnen klar ist, dass kaum einer von ihnen die Klasse besitzt, die ihr Betreuer einst am Ball hatte? Ob sie ahnen, wie oft er in der abgelaufenen Oberligasaison auf der Bank gesessen und sich gewünscht haben mag, bei einem Freistoß aus halbrechter Position doch noch einmal eingewechselt zu werden? Ob die Idarer Spieler wirklich wissen, dass Fritz Röhrig eine Idar-Obersteiner Fußballlegende ist?
Für fünf Idar-Obersteiner Vereine am Ball
Wenn die SC-Akteure ein paar Jährchen jünger wären, dann hätten sie wahrscheinlich irgendwann, irgendwo auf einem Sportplatz Fritz Röhrig gegenübergestanden – und ziemlich sicher hätte er sie genarrt, so, wie er viele genarrt hat. Mit „seinem“ Trick zum Beispiel. Aufziehen, den Gegenspieler eine Bewegung machen lassen und dann mit einem Haken und einem kurzen schnellen Antritt vorbeirauschen. Damit hat Fritz Röhrig seine Kontrahenten noch stehen lassen, als die 30 Jahre jünger waren. Den Trick kannte nahezu vier Jahrzehnte lang an der Nahe jeder – nur machen konnte kaum jemand etwas dagegen. So, wie niemand Arjen Robben stoppen konnte, obwohl jeder wusste, dass er von rechts nach innen ziehen und dann mit links schießen würde. Wobei: Bevor Arjen Robben damit berühmt geworden ist, hatte Fritz Röhrig auf diese Weise schon ein paar Dutzend Tore geschossen. So, wie er unzählige Treffer in der Halle erzielte. Ansatzlos, scheinbar abgeschirmt, mit der „Piecke“. Unter dem Hallendach ist kaum jemand erfolgreicher gewesen als Fritz Röhrig, der noch mit „hart an den 60 Jahren“ auf der Bein für den FC Hohl bei der Stadtmeisterschaft zum Einsatz kam.
Doch selbst der Autor dieser Zeilen erzählt als ehemaliger Mit- und Gegenspieler aus eigenem Erleben nur aus dem fußballerischen Spätwerk von Fritz Röhrig – mit großer Bewunderung natürlich. In seiner Hochzeit war Fritz Röhrig sicher so ziemlich der beste Angreifer der Region. Er hat das Trikot von fünf Vereinen der Schmuckstadt getragen. Er spielte für Eintracht 09 Oberstein, den ASV Idar-Oberstein, den SV Göttschied, den FC Hohl und den SC Idar-Oberstein. Seine persönlichen Erfolge und jene mit seinen Mannschaften aufzuführen, würde hier den Platz sprengen, aber er kickte gerade mit dem ASV auf höchstem Amateurniveau, unter anderem in der damals drittklassigen Südwestliga. Und er schoss auch – nachdem Jürgen Römer den ASV gegen den VfL Neustadt in den DFB-Pokal geballert hatte – in der ersten Hauptrunde des DFB-Pokals das erste Tor für die Obersteiner. Vor ziemlich genau 50 Jahren war das. Fritz Röhrig markierte gegen die SG Hoechst das 1:0. Peter Dusek und Pankratius Schulz machten den 3:2-Sieg des ASV perfekt, der damit in die zweite Runde einzog, wo gegen Westfalia Herne das Aus kam.

Über Fritz Röhrig kursieren in Idar-Oberstein unzählige Geschichtchen, Anekdötchen, Halbwahrheiten und Erzählungen – eben so, wie es sich für eine Legende gehört. Legendär ist sicher auch sein Wechsel vom ASV zum SC Idar-Oberstein – von Rivale zu Rivale im zarten Alter von fast 40 Jahren – vollzogen an einem Bierstand während des Spießbratenfests, kurz bevor die Wechselfrist endete.
Und so konnte er dann auch an jenem Oktobertag im Tiefensteiner Staden zum Freistoß für den SC antreten. Mit einer Kopfbewegung deutete er an, wohin – nämlich in den rechten Winkel – er zu schießen gedachte. Ein paar Schritte Anlauf, ein Schuss, und der Ball sauste, eine Linkskurve beschreibend, über die Mauer in – genau – den rechten Winkel. Und während der Ball vom Netz hinter die Linie tropfte, lag der Tiefensteiner Torwart im Gras, rieb sich die nach dem gehechteten Rettungsversuch schmerzende Hüfte und schaute dumm aus der Wäsche. Der Schreiber dieses Textes weiß das sehr genau – denn besagter Torhüter war er selbst.
In diesem Sinn alles Gute zum 75. Geburtstag, den Fritz Röhrig am 1. Juli feiert.