Seit 1972 schlägt sein Herz in blau und weiß. Ein Spiel in Duisburg, ein 1:0-Sieg der Schalker – Schlarb wird den Tag und das Ergebnis nie vergessen, schließlich bildeten sie den Anfang einer Liebe fürs Leben. Den Zugang zu den Schalkern fand er über einen Torwart. „Norbert Nigbur war mein großes Idol. Und er spielte damals eben beim FC Schalke“, erinnert sich Schlarb, einer der Sportlichen Leiter des Fußball-Landesligisten SG Hüffelsheim, an seine Anfänge. Zum Höhepunkt wurde zweifelsohne eine Reise nach Mailand: Auf der Tribüne des Stadions San Siro verfolgte Schlarb, wie seine Schalker 1997 den Uefa-Cup gewannen und somit den größten Erfolg in ihrer jüngeren Vereinsgeschichte feierten.
Kurioserweise begann auch das Herz von Rudi Weis, den alle Fußballer der Region als Schiedsrichter kennen, im Jahr 1972 blau-weiß zu schlagen. Rund um den jungen Rudi waren in Familie und Freundeskreis alle Menschen Fans des 1. FC Kaiserslautern, pflegten sogar persönliche Kontakte in die Pfalz. Lediglich der beste Freund seines Vaters, Werner Küstner, sympathisierte mit dem Klub aus dem Pott und musste sich dafür einiges an Häme gefallen lassen. In Rudi Weis, der gegen die FCK-Übermacht in seinem Umfeld ein wenig aufbegehren wollte, fand Küstner einen Unterstützer. „Ich habe ihm gesagt, dass mir Schalke auch ein bisschen gefällt. Daraufhin hat er zu mir gesagt, ein bisschen Fan geht nicht. Und er fragte mich: Bist du nun ein Schalker oder nicht? Daraufhin habe ich ihm gesagt, dass ich Schalker bin. Dann gab es kein Zurück mehr. Mein Vater hat schön gekocht, für ihn war es eine Selbstverständlichkeit, dass ich FCKler werde“, erzählt Weis.
Er und Küstner hielten fortan zusammen und für S04. Da in der Bad Sobernheimer Kneipe von Jupp Bregenzer nur ein kleiner Wimpel von Schalke 04 an Küstners Stammplatz hing, bestellte Weis junior einen großen Wimpel mit Fransen und schenkte diesen seinem väterlichen Freund. „An Heiligabend war damals morgens die Kneipe geöffnet. Ich bin hin, habe Werner den Wimpel überreicht, und er hat geheult vor Freude. Auf dem Platz, an dem fortan der große Wimpel hing, durfte nur er sitzen – und ich“, erinnert sich Weis.
Schalke-Fans sind reisefreudig
Bis er selbst mal ein Schalker Spiel im Stadion erleben durfte, sollte es aber viele Jahre dauern, ein Uefa-Cup-Spiel gegen Roda Kerkrade bildete den Startschuss. Anschließend gab es kein Halten mehr. Weis gründete in Kirn sogar einen Fanclub, die „Schalker Freunde Nahe-Hunsrück“. Mit elf Fans ging es 1997 los, in der Spitze hatte der Klub bis zu 60 Mitglieder. Und die machten sich regelmäßig auf nach Gelsenkirchen, meist im Zug. „Die Schalke-Fans sind ein reisefreudiges Volk. Die fahren überall hin und werden den anderen Vereinen in der Bundesliga fehlen“, sagt Weis, der auf diesen Touren viele unvergessliche Stunden erlebt hat.
Auf die kann auch Meik Neumann aus Münchwald zurückblicken. „Dieser Moment, wenn die 60 000 Zuschauer im Stadion zusammenkommen und das Spiel beginnt, der ist unbeschreiblich. Es gab keine Partie, in der ich in dem Moment nicht Gänsehaut bekommen habe“, beschreibt er seine Faszination Schalke 04. Die entstand aufgrund räumlicher Nähe. Drei Jahre lang wohnte Neumann in Gelsenkirchen-Buer. „Jeden Morgen, wenn ich die Rollläden hochgezogen habe, habe ich aufs Parkstadion geschaut. Näher dran geht nicht“, erzählt der 60-Jährige, der in Gelsenkirchen die Parkettleger-Schule besuchte. Mit Erfolg: Schließlich arbeitet er heute noch selbstständig in diesem Beruf. Geblieben ist auch die Liebe zu Schalke 04.
Die aktuelle Situation können alle drei Nahe-Fans nur schwer greifen. „Für mich ist es unfassbar, wie es so weit kommen konnte. Das sind doch alles Nationalspieler. Ich verstehe diese Entwicklung nicht. Der Abstieg ist richtig bitter. Eigentlich ist es absurd, dass ein Verein wie Schalke absteigt“, sagt Neumann. Am meisten ärgert er sich über die Spieler: „Die meisten von ihnen würde ich am liebsten in die Wüste schicken. Einige von ihnen lachen sich wahrscheinlich über den Abstieg kaputt, weil sie jetzt irgendwo anders einen besseren Vertrag bekommen.“ Schlarb denkt sehr ähnlich, wenn er ausführt: „Vielleicht ist der Abstieg ja sogar eine Chance. Eine Chance, eine charakterlose Mannschaft gegen ein Team auszutauschen, in dem wieder Jungs mit Charakter stehen. So könnten wir wieder gesunden und auf die Füße kommen.“
Weis hatte schon frühzeitig ein mulmiges Gefühl. „Kurz nach dem Saisonstart im Oktober habe ich bereits befürchtet, dass wir absteigen. So wie wir damals gespielt haben. Von den Einzelspielern gehört das Team in die obere Tabellenhälfte, aber das Zusammenspiel hat nicht gepasst. Mir will nicht in den Kopf, wie eine Mannschaft 2019 Ambitionen auf die Champions League hat und dann so absteigen kann“, erklärt der Schiedsrichter, allerdings sieht er die Mannschaft nicht als Alleinschuldigen: „In so eine Situation kommst du nicht alleine wegen der Spieler, auch nicht allein wegen der Trainer und auch nicht allein wegen des Managements. Es ist das Gesamtbild, das nicht stimmt. Zudem habe ich den Eindruck, dass während der Corona-Pause Fehler gemacht wurden. Danach lief ja gar nichts mehr. Mir tut das Ganze sehr weh.“
Tönnies-Abgang falsch?
Sehr plastisch macht Weis die Problematik an einem Beispiel deutlich: „Das ist wie bei einem Apfel. Wenn da mal der Wurm drin ist, dann siehst du das nicht direkt. Von außen sieht der Apfel noch gut aus, aber der Wurm frisst sich durch, und erst, wenn du in den Apfel beißt, merkst du, dass der ganze Apfel ungenießbar ist.“ Weis vermutet, dass auch die fehlenden Zuschauer einen Ausschlag gegeben haben: „Vielleicht haben Spieler gedacht, es ist ja egal, wie ich spiele, es ist ja keiner da, der mich auspfeift und anmeckert.“
Schlarb vertritt die Meinung, dass ein Ausgangspunkt des Schalker Niedergangs die Trennung von Mäzen und Aufsichtsratschef Clemens Tönnies war. „Ich finde es nicht in Ordnung, wie er vor die Tür gesetzt wurde. Seine damaligen Aussagen, die zu seinem Abschied geführt haben, waren falsch. So etwas sagt man nicht. Trotzdem hätte er bei Schalke an Bord bleiben müssen“, erklärt der Weinsheimer, der viele Jahre in Niederhausen gewohnt hat. Er ergänzt: „Ich sehe es übrigens genauso wie mein Idol Norbert Nigbur, der unlängst analysiert hat, dass das Desaster vor dreieinhalb Jahren begonnen hat. Seitdem ging es stetig bergab und gipfelte nun im Abstieg.“ Neumann hatte in den vergangenen Wochen nach den wenigen Lichtblicken immer wieder gehofft, dass die Schalker ähnlich wie der FSV Mainz 05 die Kurve bekommen würden. „Wenn wir die letzten Spiele gewonnen hätten, hätte es für die Relegation reichen können, doch dann gab es Niederlagen wie in Stuttgart oder gegen Bielefeld. Unfassbar“, sagt Neumann. Schlarb konnte es teilweise gar nicht mehr mit ansehen. „Ich habe im Fernsehen immer mal reingeschaut, aber bis zum Ende bin ich zuletzt kaum noch drangeblieben“, sagt er.
Beim Rückblick auf 30 Jahre Bundesliga-Zugehörigkeit eint die drei Schalke-Fans ein interessanter Punkt. Bei der Frage nach dem emotionalsten Augenblick antworten sie alle das Gleiche und erinnern an den Mai 2001, als aus Schalke 04 der Meister der Herzen wurde. „Es waren die schönsten und traurigsten Minuten zugleich“, sagt Neumann. Vier Minuten wähnten sich die Königsblauen als Deutscher Meister, ehe Bayern-Torschütze Patrik Andersson den Schalkern die Schale aus den Händen riss. Weis erinnert sich: „Ich war im Stadion. Alle um mich herum haben gejubelt, aber ich habe immer wieder auf die Anzeigetafel gezeigt und darauf hingewiesen, dass das Bayern-Spiel noch nicht beendet ist.“ Als wenn er das Unheil hätte kommen sehen. Trotz der Enttäuschung blieb ihm die Vizemeisterschaft in guter Erinnerung. Wenige Tage später kam nämlich seine Tochter Ann-Kathrin zur Welt. Wegen der Geburt verpasste er das DFB-Pokalfinale in Berlin, machte mit der Weitergabe seiner Karte aber einem jugendlichen Fan eine große Freude. Dass Ann-Kathrin Schalke-Fan, ja sogar Schalke-Mitglied ist, überrascht da kaum. Auch Schlarb hat seine Passion vererbt. Mit seinem Sohn Marco, der in Euskirchen lebt, treffen er und seine Frau sich oft, um Schalke-Spiele zu besuchen. Es verwundert wenig, dass Marco mit zweitem Namen Norbert heißt – natürlich in Anlehnung an Michael Schlarbs großes Idol Nigbur...
Kritik am Verhalten der „Fans“
Schlarbs Blick in die Zukunft ist allerdings getrübt. Die Geschehnisse am Dienstagabend nach der Rückkehr der Mannschaft ans Stadion, als die Spieler von vermeintlichen Fans attackiert, teilweise verfolgt wurden, bewertet er sehr kritisch. „Verbale Äußerungen müssen die Spieler ertragen. Aber jede Form von Gewalt ist ein absolutes No-Go. Das ist ein Makel, der bleiben wird“, sagt Schlarb. Auch die beiden anderen Schalke-Fans von der Nahe verurteilen die Aktionen. „Wie frustriert und bescheuert muss ein Fan sein, um so etwas zu machen? Ich bin Schiedsrichter und distanziere mich von solchem Verhalten deutlich“, sagt Weis.
Trotz des Abstiegs und trotz der unschönen Szenen, die Schalker Seele lässt sich nicht unterkriegen. „Auch in der Zweiten Liga wird das Stadion wieder voll sein. Und auch ich werde wieder dabei sein, das ist doch klar“, sagt Neumann, erwartet aber, dass sein Verein in der neuen Umgebung direkt Gas gibt. Er sagt: „Sonst wird es schwierig, wie die Beispiele HSV und FCK zeigen.“ Probleme werden ihm die Anstoßzeiten bereiten: „Ich bin gewohnt, am Samstag um 15.30 Uhr Schalke zu schauen. 13 Uhr, das geht gar nicht.“
Schlarb sieht sogar einen Vorteil: „Zweite Liga bedeutet Stand jetzt zwei Auswärtsfahrten ins schöne Hamburg, wenn denn dann wieder gereist werden darf.“ Auch Weis sehnt die Zeit nach Corona herbei: „Der Fußball fehlt mir sehr. Ich möchte so gerne wieder als Schiedsrichter auf den Platz.“ Er hat in den vergangenen Wochen sehr stark abgenommen, wiegt 55 Kilogramm weniger. „Deshalb ist die Freude besonders groß, wenn es wieder losgeht. Wenn es die Einsätze zulassen, werde ich aber auch zu Schalke-Spielen fahren.“ Die Ligazugehörigkeit spielt da keine Rolle, die Liebe zu S04 ist größer.