Rasen war in den 1950er-Jahren ein Spielort der Spvgg Biebertal - Aufstiegspartien zur Bezirksliga fanden hier statt - Gustav Konrad erinnert sich
Spvgg Biebertal und der Rasenplatz in Reich: Von Tor zu Tor ging's 1,40 Meter bergab

Der Blick von oben auf den alten Sportplatz in Reich: Heute ist der Rasen ein großer und beliebter Bolzplatz, früher fanden bis 1961 des Öfteren Spiele in der A-Klasse dort statt. In der Breite ging es damals bis zum heutigen Abenteuerspielplatz (rechts), der Länge nach bis zum Feldweg Richtung Reckershausen. Die Spvgg Biebertal wich in ihrer Anfangszeit oft von ihrem „Hauptsitz“ in Biebern nach Reich aus. Der stark unebene Rasen genügte ab 1961 aber nicht mehr den Richtlinien des Verbands, Biebertal spielte seitdem alle Heimspiele in Biebern.

Photo-Moments by Dennis Irmiter

Die Spvgg Biebertal ist einer der größten und traditionsreichsten Fußballvereine im Hunsrück. 1949 wurde die Spielvereinigung aus den Vereinen VfR Biebern-Fronhofen und SV Reich gegründet. Fortan wurde fast immer auf dem tollen Sportgelände in Biebern, das zuerst über einen Hartplatz und seit 1977 auch über einen Rasen verfügt, um Punkte gespielt – aber in den Anfängen musste und wollte man auch oft nach Reich ausweichen.

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Der Blick von oben auf den alten Sportplatz in Reich: Heute ist der Rasen ein großer und beliebter Bolzplatz, früher fanden bis 1961 des Öfteren Spiele in der A-Klasse dort statt. In der Breite ging es damals bis zum heutigen Abenteuerspielplatz (rechts), der Länge nach bis zum Feldweg Richtung Reckershausen. Die Spvgg Biebertal wich in ihrer Anfangszeit oft von ihrem „Hauptsitz“ in Biebern nach Reich aus. Der stark unebene Rasen genügte ab 1961 aber nicht mehr den Richtlinien des Verbands, Biebertal spielte seitdem alle Heimspiele in Biebern.

Photo-Moments by Dennis Irmiter

Der nicht sonderlich große Rasen mit ordentlichem Gefälle am Rande des 340-Seelen-Orts hatte seine Vorteile, aber auch seine Tücken. Seit Anfang der 1960er-Jahre und mit der Maßgabe des Verbandes, dass in höheren Klassen das Spielfeld gewisse Richtlinien erfüllen sollte, hat auch der Rasen in Reich den Status einen längst vergessenen Sportplatzes inne.

Dass es in Reich neben dem Abenteuerspielplatz einen ziemlich großen (65 x 35 Meter) Bolzplatz gibt, das wissen einige. Dass dieser Bolzplatz früher auch einmal ein offizieller Fußballplatz gewesen ist, das ist nur noch den Älteren im Gedächtnis. Das damals 90 Meter lange und 50 Meter breite Rasenrechteck in Reich mit 1,40 Meter Gefälle in Richtung Wüschheim und vielen Unebenheiten hat auch keine lange Verweildauer gehabt. 1961 wird der Platz den Erfordernissen des Verbandes für eine Austragung von Partien ab der A-Klasse aufwärts nicht mehr gerecht.

In den Jahren zuvor verlegt die Spvgg Biebertal, die ihren „Hauptsitz“ in Biebern hat, aber ab und zu gerne ihre Partien nach Reich. Notgedrungen vor allem in der Zeit zwischen 1955 und 1956, weil der alte Hartplatz in Biebern umfassend saniert wird. Aber auch aus eigenem Antrieb, weil sich die Spvgg in besonderen Spielen, wie zum Beispiel 1958 in der Aufstiegsrunde zur Bezirksliga, in Reich im Vorteil gesehen hat, weil man sich dort mit den Gegebenheiten auskennt.

Hier in Reich war immer was los.

Reiner Bonn

„Der Platz in Reich war bei den Gegnern gefürchtet, weil er ziemlich eng gewesen ist und dort eine besondere Atmosphäre geherrscht hat“, sagt Werner Rockenbach. „Hier in Reich war immer was los“, sagt auch Reiner Bonn: „Ich habe den Platz gar nicht so klein empfunden, aber das Gefälle war mit 1,40 Metern schon sehr gewöhnungsbedürftig. Für einen Torwart war es ein Vorteil, wenn er Richtung Wüschheim bergab den Ball schlagen konnte.“

Der Reicher Reiner Bonn (Jahrgang 1948) ist Torwart und später mitverantwortlich für den Spvgg-Aufstieg 1969 in die Bezirksliga. Da hat der Platz in Reich schon lange ausgedient, Bonn hat in Jugendspielen darauf gekickt – und sonntags den „Großen“ zugeschaut und sich von seinen Vorgängern im Biebertaler Tor, Hermann Günnewig (Bonn: „Er hatte immer einen dicken Pulli und die gleiche Mütze an“) und dem noch lebenden 90-jährigen Hans Brenner, einiges abgeschaut.

Der Bieberner Werner Rockenbach (Jahrgang 1949) geht auch als kleiner Bub in den 1950ern zu jedem Heimspiel der Spvgg – und natürlich auch über den Feldweg ins benachbarte Reich, wenn dort der Ball rollt. Rockenbach ist der Chronist der Spvgg, er hat aus der mittlerweile 72-jährigen Vereinsgeschichte der Spvgg Biebertal alles aufgeschrieben aus Erzählungen, alte Berichte aus unserer Zeitung gesammelt und sich alle möglichen Tabellen der Spvgg besorgt. Ein umfassendes Archiv – ein Schatz für Fußballhistoriker mit der einen oder anderen Anekdote, die Gustav Konrad hautnah miterlebt hat.

Gustav Konrad vor dem Ausdruck seines Spielerpasses und dem Bild der allerersten Mannschaft der Spvgg Biebertal, zu der der 90-jährige Konrad im Jahr 1949 als damals 18-Jähriger gehörte. Konrad war Stürmer und kann sich an seine Fußballzeit noch bestens erinnern. Auf dem Rasen in seinem Heimatort Reich hat er allerdings nie so gerne gespielt.

Michael Bongard

Der 90-jährige Reicher Gustav Konrad ist mit dem 92-jährigen Bieberner Ernst Wust der letzte Überlebende aus der allerersten Mannschaft der Spvgg Biebertal im Jahr 1949. Gustav Konrad hat als 18-Jähriger gerade seine erste Männersaison beim SV Reich in der 2. Kreisklasse hinter sich, Ernst Wust hat ein Jahr mehr Seniorenerfahrung beim VfR Biebern-Fronhofen auf dem Buckel. Nach dem Ende des Kriegs dauert es zwei Jahre bis der Fußball in einem einigermaßen geordneten Spielbetrieb wieder rollt.

1947 gibt es wieder die ersten Ligen, Biebern-Fronhofen spielt mit Reich übrigens bis 1949 nie in einer Staffel. „Zwischen Reich und Biebern haben sie immer die Grenze gezogen“, erinnert sich Gustav Konrad: „Wir haben immer in der Staffel Richtung Kappel gespielt, die Biebern-Fronhofener in der Staffel Richtung Simmern.“

Den ersten großen Berührungspunkt zwischen dem VfR Biebern-Fronhofen und dem SV Reich gibt es am Sonntagmorgen des 7. August 1949 – vor der Kirche in Biebern. Biebern-Fronhofen hat am Nachmittag auf dem Sportfest in Frankweiler zugesagt, aber es stehen keine elf Spieler zur Verfügung. Der VfR-Vorsitzende Engelbert Adamus und sein Kapitän Ernst Wust fangen vor dem Beginn der Kirche den SV-Reich-Chef Alois Arnold senior ab. Der Dialog dürfte sich so abgespielt haben. „Wir haben keine Leute für heute in Frankweiler. Könnt ihr uns einige Spieler abstellen?“, fragen Adamus und Wust. Die Antwort von Arnold: „Ja, können wir machen – unter einer Bedingung: Dann machen wir in der nächsten Saison eine Spielgemeinschaft.“

Die Spvgg wird geboren

Die Biebern-Fronhofener willigen ein, es ist der Startschuss für die Spvgg Biebertal. Am Freitag danach treffen sich 56 Mitglieder der Vereine VfR Biebern-Fronhofen und SV Reich zur Gründungsversammlung im Gasthaus Klein in Biebern, dem heute besser bekannten „Pferdestall“ mit den leckeren Hähnchen. Der VfR und der SV werden aufgelöst, es kommt zu einer Fusion, die Spvgg Biebertal ist geboren und seit dem 29. August 1949 im Vereinsregister des Sportbundes Rheinland eingetragen.

Das Turnier in Frankweiler gewinnt das Mixteam aus Biebern, Fronhofen und Reich übrigens, als Anerkennung gibt es eine Flasche Vanillelikör. Es ist das erste Anzeichen, dass die Spieler wie das Bieberner Mittelfeld-Ass Wust und der Reicher Mittelstürmer Konrad auf dem Feld prächtig harmonieren. „Wir waren alle noch ziemlich jung und wir waren ganz gut“, erinnert sich Konrad.

Die Premierensaison der Spvgg Biebertal kann kommen, es ist zugleich die Premierensaison im ebenfalls ins Leben gerufenen Fußballverband Rheinland. Landesliga (mit dem Aushängeschild SV Woppenroth), Bezirksklasse (unter anderem mit dem VfR Simmern, der SG Büchenbeuren und dem SV Bell/Kastellaun), die 1. Kreisklasse mit längst vergessenen Mannschaften aus Hausen und Sevenich – und ganz unten die 2. Kreisklasse mit weiteren Teams wie Gehlweiler, Leideneck-Krastel, Altweidelbach, Nannhausen-Ohlweiler (wird 1951 aufgelöst, die Spieler schließen sich alle Biebertal an) oder Ravengiersburg, die es in der Anfangszeit im Verband Rheinland nicht lange auf der Fußball-Landkarte aushalten werden – so hat das Ligensystem runtergebrochen auf den Kreis Simmern 1949/50 ausgesehen.

Der erste große Erfolg der Spvgg war der Sieg im Endspiel des Landratspokals in Simmern am 6. August 1950. Vor dem sensationellen 3:2-Sieg gegen Bezirksklasse-Meister SV Bell/Kastellaun stellte sich das allererste Spvgg-Team zum Foto auf: (stehend, von links) Alois Arnold jun., Theo Schneider, Gustav Konrad, Josef Schneider, Hansi Adams, (Mitte, von links) Josef Neuheuser, Ernst Wust, Helmut Caspar sowie (sitzend, von links) Heinz Gerhardy, Hermann Günnewig und Heinrich Kauer.

Spvgg Biebertal Archiv

Die Spvgg Biebertal beginnt in der untersten 2. Kreisklasse und wird Meister vor dem SV Beltheim. Der Aufstieg in die 1. Kreisklasse ist geschafft, das Double noch nicht. Nach dem sensationellen 2:1-Halbfinalsieg gegen den Bezirksklässler VfR Simmern kommt es am 6. August 1950 zum Endspiel um den Landratspokal Simmern im Hunsrückstadion gegen Bezirksklasse-Meister SV Bell/Kastellaun. „Die kamen damals mit dem Sonderzug nach Simmern“, erinnert sich Biebertals Stürmer Konrad: „Wir sind auf dem Hänger des kleinen Eierautos vom Rippel hingebracht worden.“

Die Rollen sind klar verteilt, Bell/Kastellaun führt zur Pause vor 800 Zuschauern 2:0. Doch mit dem Anschlusstreffer von Gustav Konrad wendet sich das Blatt, Josef Schneider (Konrad: „Er war immer unser bester Mann“) markiert das 2:2 und mit einem 20-Meter-Schuss zum 3:2 macht Konrad kurz vor Schluss die Biebertaler zum überraschenden Pokalsieger. „Wir haben bis morgens in einer Simmerner Wirtschaft gefeiert, dort, wo heute die Hunsrückbank ist, das werde ich nie vergessen“, sagt Konrad.

In der Saison 1950/51 wiederholt Biebertal das Kunststück. Als Aufsteiger wird die Spvgg Meister in der 1. Kreisklasse Simmern und sichert sich in der Aufstiegsrunde durch Siege gegen Lingerhahn und Kaisersesch einen Platz in der Bezirksklasse Hunsrück/Mosel. Zudem verteidigt Biebertal den Landratspokal mit einem 6:0 gegen Ellern. In der Bezirksklasse 1951/52 wird die Spvgg Achter, Meister der SV Woppenroth. Der Verband teilt die Klassen 1952 neu ein, Biebertal findet sein Zuhause in der A-Klasse. Erfolgreiche Jahre beginnen, dreimal wird Biebertal Kreismeister (1955, 1957 und 1958), der Sprung in die Bezirksliga glückt nie.

In der Saison 1957/58 wurde Biebertal Meister der A-Klasse Simmern. Vor den Aufstiegsspielen in die Bezirksliga, die in Reich ausgetragen wurden, stellte sich die Spvgg-Elf vor dem Tor aus Maschendrahtzaun in Richtung Biebern auf: (stehend, von links) Alois Schneider, Dieter Adams, Gustav Konrad, Helmut Schneider, Josef Schneider, (Mitte, von links) Gerhard Caspar, Ernst Wust, Hartmut Michel sowie (kniend, von links) Alois Arnold jun., Hans Brenner und Heinz Gerhardy.

Spvgg Biebertal Archiv

1955 scheitert die Spvgg in der Aufstiegrunde an Moselkern, Liesenfeld und dem TuS Neuendorf II. 1957 verzichten die Biebertaler sogar auf die Aufstiegsrunde, 1958 sind sie wieder dabei – die Gegner in Hin- und Rückspiel heißen Mörsdorf und Rübenach, gespielt wird in Reich. Der erhoffte Heimvorteil bleibt diesmal aus, gegen Mörsdorf gibt es eine 3:7-Klatsche und gegen Rübenach eine 1:2-Niederlage.

Stürmer Gustav Konrad, der auch gerne auf den Flügel ausweicht und viel Platz braucht, hat nie so gerne in seinem Heimatort Reich gespielt: „Der Platz war viel zu klein und viel zu schlecht, weil er so uneben war. Und wenn es geregnet hat, ist das ganze Wasser durch das Gefälle auf den Platz gelaufen. Ich habe nie verstanden, dass das ein Vorteil für uns gewesen sein sollte.“ Die Spiele in Reich werden immer weniger, Chronist Werner Rockenbach hat in seinen Aufzeichnungen gefunden, dass 1961 in der A-Klasse gegen Mengerschied und Kisselbach das letzte Mal in Reich um Punkte gespielt worden ist.

Reges Treiben auf dem Bolzplatz

„Der Hartplatz in Biebern war viel besser, da gab es auch eine bessere Infrastruktur, bei uns in Reich gab es gar nix“, erinnert sich der spätere Torwart Bonn: „Deshalb hat ab 1961 nur noch ein paar Jahre die Jugend dort gespielt.“ Der Reicher Rasen gerät fortan nicht ganz in Vergessenheit. Als Trainingsplatz, um die Bieberner Plätze zu schonen, wird er noch lange gerne genutzt. Heute herrscht ein reges Treiben auf dem Bolzplatz. „Wenn kein Corona ist, tragen wir sogar alljährlich ein Dorfturnier hier aus, die Kirmes findet auf dem Bolzplatzgelände auch immer statt“, sagt Bonn.

Gustav Konrad beendet 1959 seine Karriere, die Landwirtschaft hat Vorrang. „Fußball ist immer alles für uns gewesen, aber der Beruf war irgendwann wichtiger“, sagt Konrad, der immer der Spvgg treu bleibt, unter anderem wirkt er 25 Jahre als Kassierer und verpasst bis vor rund zehn Jahren kein Spiel der Spvgg. Die Spieler der letzten erfolgreichen Biebertaler Mannschaft, die von 2008 bis 2011 in der Bezirksliga kickt, bezeichnen Gustav Konrad als den „treuesten Fan, den wir hatten“.

Sogar ein Fußballgedicht soll Konrad geschrieben haben, so lautet die Mär, bei vielen Biebertalern hat es einen Ehrenplatz. „Ich bin jetzt 90 Jahre alt und kann mich nicht mehr an alles erinnern. Aber ich weiß, dass ich keine poetische Ader hatte“, lacht Gustav Konrad. Tatsächlich stammt das Gedicht aus der Feder von Erwin Sohnius aus dem Westerwald.

Das Gedicht passt gut zu den längst vergessenen Sportplätzen, so wie auch der Rasen in Reich seit mehr als 60 Jahren ein Exemplar davon ist:

Manchmal war's so wie Weinen, als das Fußballende naht, da ich schon seit Kindesbeinen nach dem runden Leder trat.

Manchmal war es so wie Fieber, mein geliebter Fußballsport, zog ich mir das Trikot über, waren Alltagssorgen fort.

Wer dies Fieber nicht erfahren, ahnt nicht, wie es wirklich ist, unvergesslich schöne Jahre, Jahre, die man nie vergisst.

Mit dem Ball aufs Tor zu zielen, war mein Lebenselixier, mit dem Herzen Fußball spielen ist so schön, oh glaubt es mir.

Freunde konnt' ich mir erwerben, Lobesworte ach so viel, doch nun ist es wie Sterben nach dem allerletzten Spiel.

Hätt ich es noch mal zu entscheiden, wäre ich noch mal Kind, Fußball würde mich begleiten, das wüsst ich ganz bestimmt.

Rückwärts blickend in Gedanken, macht sich Freud und Wehmut breit, schließlich ist es noch ein Danken an eine wunderschöne Zeit!

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