Doch für die meisten, die sich in Beruf oder Freizeit für die Kickerei engagieren, ist „Verrückter“ ja eher ein Ehrentitel. Fußball-verrückt eben.
In einem rund vierstündigen Programm blätterten die Moderatoren Tom Theisen und Stefan Pauly ein buntes und kurzweiliges Panorama der Vielfalt auf, sodass sich FVR-Präsident Gregor Eibes des zustimmenden Beifalls sicher sein konnte, als er den offiziellen Teil des Abends mit der rhetorischen Frage beschloss: „Ich finde, das war ein toller Jubiläums-Abend. Findet ihr das auch so?“
Der Verbandschef hatte in seiner Begrüßung zunächst den abwesenden Ehrengast Bernd Neuendorf entschuldigt. Der DFB-Präsident hatte sich drei Tage vor dem Start der Europameisterschaft krankheitshalber entschuldigt. „Wenn er gekonnt hätte, wäre er garantiert gekommen“, versicherte Eibes, „aber es ist natürlich wichtiger, dass er am Freitag zur EM-Eröffnung wieder fit ist.“
Wir werden Europameister!
Gregor Eibes ist für das bevorstehende EM-Turnier zuversichtlich.
Der FVR-Boss übernahm gern die Rolle des Zweckoptimisten, als er gleich zu Beginn feststellte: „Wir haben mehrere Gründe zum Feiern“ – und als ersten Grund nannte: „Wir werden Europameister!“
Ob diese Prognose dem Optimismus des Berufspolitikers zu verdanken ist oder nur ein verrückter Wunsch, werden wir in gut vier Wochen wissen. Den sogenannten „großen“ Fußball der Bundesligen und Nationalmannschaften betrachtet man im Rheinland eher aus der Ferne; noch hat es kein Männerteam des FVR in die erste Bundesliga geschafft, und es ist nicht abzusehen, dass Trierern oder Koblenzern in absehbarer Zeit der Sprung in eine der drei Profiligen gelingt.
Aus der Not eine Tugend machen
Doch die fröhlichen Verrückten im Rheinland machen aus der Not eine Tugend und setzen nicht auf Massenunterhaltung durch Millionäre, sondern auf Fußball für alle. Talentförderung, neuen Spielformen, Inklusionsangebote sind einige der Schwerpunkte im FVR, bei der Bewältigung der katastrophalen Ahrflut zeigten und zeigen die Vereine Solidarität. Großen Wert genießt seit vielen Jahrzehnten die Partnerschaft mit den befreundeten Verbänden aus Ungarn und Norwegen, die ihre Vertreter zum Gratulieren geschickt hatten.
Die TV-erprobten Moderatoren präsentierten also im Kuppelsaal keine schillernd frisierten Nationalspieler, sondern eher die Helden des Alltags. Und Heldinnen selbstredend. Stellvertretend stand Marion Isbert-Ackermann auf der Bühne, die beim ersten EM-Gewinn 1989 das Tor des deutschen Nationalteams hütete, während sie in ihrem Verein auch als torgefährliche Stürmerin gefragt war.
Ihre Erinnerung an das dramatische Elfmeterschießen im Halbfinale gegen Italien, in dem die Torfrau des früheren Bundesligisten TuS Ahrbach nicht nur drei Schüsse parierte, sondern selbst den siegbringenden Elfer verwandelte, ist lebendig. „Das war der Wahnsinn“, schwärmt Marion Isbert-Ackermann vom ersten live im Fernsehen übertragenen Länderspiel der deutschen Fußballfrauen: „Wegen uns wurde sogar die Tagesschau verschoben.“
Der Frauenfußball hat im FVR dank des langjährigen Bundesligisten SC Bad Neuenahr, der 1978 die deutsche Meisterschaft gewann, aber auch dank des TuS Ahrbach aus dem Westerwald als Vizemeister 1989, sportlich für die größten Erfolge gesorgt, heute hält die SG 99 Andernach in der 2. Bundesliga diese rheinländische Tradition am Leben.
Sasic bedankt sich bei Hammes
Dass Titel und Pokale nicht das Wichtigste sind in einem kleinen verband wie dem FVR, machte Milan Sasic deutlich. Der spätere Erfolgstrainer, der vor 33 Jahren mit seiner Familie als Geflüchteter vor dem Jugoslawien-Krieg im Westerwald landete und später als Profi-Coach unter anderem in Koblenz, Kaiserslautern und Saarbrücken bekannt wurde, bedankte sich ausdrücklich beim damaligen Verbandstrainer Ewald Hammes, der ihm seinerzeit unbürokratisch und schnell zu einem Platz im Trainerlehrgang verhalf, weil Sasics Diplom in seiner neuen Heimat nicht gültig war.
„Das war der Grundstein, dass wir in Deutschland bleiben durften und ich meinen Beruf ausüben konnte“, erinnerte sich Sasic bewegt, „vielen Dank an Ewald Hammes und den Verband, der mir und meiner Familie so viel gegeben hat. Ich habe hier tolle Menschen kennengelernt, das macht mein Leben glücklich.“
Als Trainer aus dem Rheinland in die große Fußballwelt, diesen Schritt hat auch Jan Siewert geschafft, der nach einem Gastspiel in der englischen Premier League zuletzt als Trainer beim Erstligisten FSV Mainz 05 Schlagzeilen gemacht hat. Nicht auszuschließen, dass Siewert eines Tages in seine frühere Funktion im Nachwuchsbereich der 05er zurückkehrt.
„Dieser Verein ist für mich etwas Besonderes“, schwärmte Siewert, „doch die Verbundenheit mit dem Rheinland bleibt immer. Der FVR hat viel mehr Potenzial, als viele denken.“
Ausdrücklich würdigte der Proficoach den FVR-Ehrenpräsidenten Walter Desch als „positiv Verrückten“, was der Ruheständler im Unruhestand als Lob auffassen dürfte. Desch tauchte schon in Tom Theisens Einführungs-Film über die 75-jährige Verbandsgeschichte in seiner Nebenrolle als Unparteiischer auf und verriet anschließend: „Ich bin jetzt im 54. Jahr als Schiedsrichter tätig, das macht mir einfach Spaß.“ Und dann berichtete der Multifunktionär von einem Spiel der C-Mädchen, nach dem ihn eine der Kickerinnen auf die Schulter klopfte und anerkennend feststellt: „Hey Schiri, gut gepiffe.“
Erinnerungen an das Jahr 1982
Neben Desch stand sein langjähriger Weggefährte Werner Lunnebach auf der Bühne, der dem FVR 40 Jahre lang als Geschäftsführer gedient hatte und Erinnerungen an das erste Länderspiel einer deutschen Frauen-Nationalmannschaft zum Besten gab, das 1982 pünktlich zur Eröffnung der neu gestalteten Sportschule auf dem Oberwerth im benachbarten Koblenzer Stadion stattfand.
Die gute Zusammenarbeit beim FVR hob Präsident Eibes besonders hervor: „Das Ehrenamt ist ganz wichtig, es würde aber ohne die Unterstützung der Hauptamtler nicht funktionieren.“ Ein Hinweis auf eine künftige Verschiebung der Kompetenzen, die anderswo schon längst im Gange ist? Fest steht, dass der Bundesligisten-freie FVR ohne millionenschwere Profiklubs seine Finanzmittel selbst herbeischaffen muss.
Da kam es gut, dass Sportminister Michael Ebling versicherte: „Das Land leistet dem Sport zuverlässige Unterstützung seit Jahren und wird auch in Zukunft einen namhaften Betrag zur Verfügung stellen.“ Weil die öffentlichen Gelder dem Verband aber nicht ausreichen, um seine vielfältigen Pflichten zu erfüllen, ist er auch auf Mittel aus der freien Wirtschaft angewiesen.
Ein breites Spektrum von Glücksspielunternehmen, Geldinstituten, Bierbrauern und Energieversorgern, womit längst nicht alle Sponsoren des FVR genannt sind, präsentierte sich beim Jubiläum und versprach den Fußballern auch weiterhin finanzielle Hilfe.
82 Millionen Bundestrainer sind mir lieber als 82 Millionen Militärstrategen oder Virologen.
Sportminister Michael Ebling schaut voraus auf die EM und das vermutete große Interesse der deutschen Fußballfans.
Und was wäre der Fußball ohne seine Pfeifemänner und -frauen? „Bei den Schiedsrichtern ist das Rheinland seit jeher eine richtige Wucht“, stellte Moderator Tom Theisen fest. Die ehemaligen und aktiven Erst- und Zweitliga-Schiris Herbert Fandel, Hans-Peter Dellwing, Mike Pickel und Benedikt Kempkes zogen Vergleiche zwischen früher und heute. „Mit meinen zuverlässigen Assistenten brauchte ich seinerzeit keinen Videobeweis, um über Abseits zu entscheiden“, sagte Dellwing, „heute sind die Schiris ja nicht mehr in der Lage, selbst zu entscheiden, weil das die Kollegen im Kölner Keller erledigen.“
Widerspruch kam von Mike Pickel, der nach dem Ende seiner aktiven Schiri-Karriere selbst als Video-Referee tätig ist: „Der VAR hat den Fußball ein Stück gerechter gemacht“, ist er überzeugt, „aber zwei oder drei falsch beurteilte Fälle bringen das ganze Konstrukt zum Wanken.“
Inklusionsliga soll eingeführt werden
Diese Diskussion wird die Fußballer wohl auch noch bei der 100-Jahr-Feier des Verbands beschäftigen. Doch Fußball ist auch und vor allem im Rheinland mehr als ein 1:0 oder ein strittiger Handelfmeter. Arianit Besiri, Vizepräsident im FVR für sozial- und gesellschaftspolitische Aufgaben, kündigte in Zusammenarbeit mit dem Behindertensportverband und den Special Olympics, dem Sportverband für Menschen mit geistiger Behinderung, die Gründung einer Inklusionsliga an: „Wir wollen nachhaltige Strukturen aufbauen, damit alle Menschen einen Platz in der Gesellschaft finden.“ Spontan kommentierte Moderator Theisen: „Das schaffen wir Fußballer.“
FVR-Präsident Eibes schloss den offiziellen Teil der Jubiläumsfeier nicht ohne Pathos mit einem Appell an die „verrückte“ Fußballer-Familie ab: „Wir haben ein gemeinsames Ziel, das wir auf gemeinsamen Wegen anstreben. Diese Einstellung prägt unsere gemeinsame Arbeit für den Fußball, das macht mich stolz.“ Schließlich überreichte er dem Moderatorenteam zwei Trikots der Nationalmannschaft, verbunden mit dem Wunsch für die anstehende Europameisterschaft: „Hoffentlich tragt ihr die sieben Spiele lang.“ Manchmal ist ein 1:0 eben doch das Wichtigste für die Fußballer. Ganz schön verrückt, oder?