Das gleiche Ziel wie die Spieler verfolgen die Männer an der Pfeife: Sie wollen in der Regionalliga bleiben oder im Idealfall noch höher hinaus in Richtung 3. Liga vorstoßen. Das Urteil von Detlef Schütz und seinen Kollegen ist dafür nach dem Ende der Saison maßgebend. Um die acht Bewertungen erhält jeder Regionalliga-Spielleiter pro Spielzeit. Die vier mit dem schwächsten Mittelwert gelten als Absteiger. Die Ausschüsse der untergeordneten Verbände beratschlagen anschließend und haben die Möglichkeit, die Absteiger als sogenannte Wiederaufsteiger zu melden. Die finale Entscheidung aber, wer tatsächlich in der vierthöchsten deutschen Spielklasse zu Pfeife und Sanktionskarten greifen darf, obliegt den Regionalliga-Funktionären.
„Die Regeln kennen auf diesem Level alle“, verrät Schütz, der sich viel mehr als „Coach“ und nicht als „Beobachter“ sieht, kein Geheimnis. „Wir sind keine Oberlehrer, die alles besser wissen. Unsere Aufgabe ist es, die Entscheidungen zu beobachten, die Fehler in anschließenden Gesprächen aufzuarbeiten und insgesamt einen besseren Weg aufzuzeigen, um Lösungen zu finden.“ Die Erfahrungen zeigen dem Westerwälder, dass „97 Prozent der Regionalligaspiele sachlich und ruhig“ ablaufen. Aber es gibt eben auch die Begegnungen, in denen die Schiedsrichter richtig gefordert werden.
Mehrere Bewertungsfaktoren
Das birgt auf der einen Seite die Gefahr, ins Schwimmen zu kommen, andererseits jedoch auch die Möglichkeit, sich von der Masse abzuheben. Vom Einstiegswert von 8,4 aus haben die Unparteiischen die Möglichkeit, sich mit guten Leistungen nach oben zu verbessern, während gravierende Fehlentscheidungen zu Abzügen in die andere Richtung führen. „Ein Ergebnis von 8,3 ist Liga-Durchschnitt. Es gibt in dieser Saison aber auch des öfteren eine 7,8 oder 7,9. Mit diesen Werten wird es schwierig, die Liga zu halten“, erklärt Schütz die „Schiedsrichter-Tabelle“. Die richtigen Entscheidungen an sich stehen natürlich im Mittelpunkt, weitere Kriterien wie das Stellungsspiel, die Zusammenarbeit mit den Assistenten an den Linien und das Auftreten spielen aber ebenso eine Rolle. Schütz kennt das Szenario aus eigener Erfahrung. Unter anderem pfiff er zu seiner aktiven Zeit eine Erstligabegegnung und 45 Partien in der 2. Liga.
„Ich habe das selbst alles mitgemacht und habe Verständnis für die Sichtweise der Schiedsrichter“, erzählt er. So etwas wie ein Steckenpferd des Westerwälders ist das Kriterium des Laufvermögens. „Ich war selbst läuferisch ganz gut drauf. Das verlange ich jetzt auch. Aber die Schiedsrichter in der Regionalliga sind in der Regel alles drahtige Kerle.“ Bewegtbilder sind auch in dieser Spielklasse längst eher Regel als Ausnahme. Viele Anbieter speisen Livestreams von den Begegnungen ins Internet ein – inklusive der Möglichkeit, sich als Zuschauer strittige Szenen unzählige Male in der Wiederholung anzuschauen. Ein Handicap für die Unparteiischen? Schütz verneint. „Die Schiedsrichter sind froh über jedes Video, das es gibt. Denn es kann ihnen auch zum Vorteil und Bonuspunkten verhelfen.“
Aufzeichnungen helfen im Zweifel
Die Beobachter beziehungsweise Coaches – so verfährt zumindest Detlef Schütz – nutzen die Videoaufzeichnungen in Zweifelsfällen oder wenn sie keine ideale Sicht auf eine Situation hatten. „Wenn ich dann merke, dass der Schiedsrichter mit einer kniffligen Entscheidung Recht hatte, bekommt er eine Aufwertung.“
Ungewohnt bleibt nach wie vor die Geisterspielkulisse. Nun ist der Zuschauerzuspruch in der Regionalliga in aller Regel überschaubar, aber „Pfeffer kommt trotzdem von draußen rein, wenn Besucher im Stadion sind“, macht Schütz deutlich. „Es kommt keine Stimmung auf, und das ist auch für die Unparteiischen eine Herausforderung, weil es schwieriger ist, sich selbst so zu pushen wie unter normalen Bedingungen in einem Stadion.“
In der von Schütz beobachteten Partie zwischen Rot-Weiß Koblenz und dem FC-Astoria Walldorf nimmt er den Büdinger Marius Ulbrich mit seinen Assistenten Tim Waldinger und Jeffrey Euchler unter die Lupe. Ulbrich meistert die Partie im Zeichen des Abstiegskampfs souverän, zückt nur einmal Gelb und verdient sich sogar aus Reihen der Vereine gute Kritiken. „Das war eine richtig gute Schiedsrichterleistung“, zieht Christian Noll, der Sportliche Leiter der Koblenzer, nach dem Abpfiff den Hut. Nach so verlaufenen Partien nehmen die Männer in Schwarz den Anruf des Beobachters gerne entgegen. „Normalerweise findet die Besprechung nach dem Spiel in der Kabine statt. Aufgrund der Corona-Situation sind wir auf eine telefonische Abstimmung umgestiegen. Das dauert in der Regel 15 bis 20 Minuten“, beschreibt Schütz die Nachbetrachtung.