Neues Buch über Glücksspiel
Zwischen Spiel, Sucht und Geschäft
Für die einen ist es Freizeitvergnügen, für andere wird es zur Sucht und damit zum Problem: Das Thema Glücksspiel ist ein vielfach kritisiertes und kontrovers diskutiertes. Daniel Henzgen hat darüber ein Buch geschrieben.
Britta Pedersen. picture alliance/dpa-Zentralbild

Als Angestellter des Automatenherstellers Löwen ist Daniel Henzgen nicht wirklich unbefangen, sein Buch über die Faszination des Glückspiels folglich teils eindimensional – und doch nicht uninteressant. Wir haben mit ihm darüber gesprochen.

Das Thema Glücksspiel ist eines, das immer schon kontrovers diskutiert wurde. Einerseits gesellschaftlich populär – kaum jemand, der sich darin noch nicht versucht hat –, andererseits aber auch in der Kritik, nicht zuletzt wegen des erhöhten Suchtfaktors. Daniel Henzgen ist Geschäftsführer Kommunikation bei Löwen Entertainment in Bingen, einem der größten Spielautomatenhersteller Deutschlands. In einem neuen Buch wirft er – wenig überraschend – ein positives Licht auf das Thema, liefert gemeinsam mit dem Journalisten und Strategieberater Dominik Meier aber auch eine aufschlussreiche historische Betrachtung der Faszination Glücksspiel. Wir haben uns mit ihm unterhalten:

Herr Henzgen, um die Glücksspieldebatte führen zu können, muss man zunächst einmal verstehen, warum wir uns dieser Art der Freizeitbeschäftigung seit jeher hingezogen fühlen. Woher rührt die Begeisterung dafür?

Zunächst einmal bietet das Glücksspiel eine der wenigen Möglichkeiten, die festgelegten Pfade, auf denen wir uns bewegen, zu verändern. Dadurch entsteht ein Tagtraum: Ich spiele montags Lotto und stelle mir die ganze Woche über vor, wie es wäre, Millionär zu sein. Wobei genau das am Ende auch die eigentliche, oft verkannte Leistung einer solchen Lotterie ist, die natürlich nur ganz wenige Gewinner hervorbringt, aber viele Menschen träumen lässt. In unserer Gesellschaft hingegen wird das Glücksspiel oft reduziert auf den Umstand: „Da sind Menschen, die leicht an Geld kommen wollen.“ Und das verträgt sich natürlich nicht mit unserer protestantischen Arbeitsethik, nach der Status und finanzielle Möglichkeiten nur derjenige erringen sollte, der dafür hart gearbeitet hat. Daneben – und das ist der zweite wichtige Punkt – ermöglicht das Glücksspiel aber auch eine Auszeit von den Regeln, mit denen wir unsere Gesellschaft organisieren. Wir leben in einer sehr durchstrukturierten Welt, in der alles vorgegeben ist, es kaum Freiraum gibt für individuelle Entfaltung. Und das Glücksspiel stellt eine Option dar, aus dieser Gleichförmigkeit auszubrechen. 

Geschäftsführer Kommunikation und Compliance (etwa: Regeltreue) bei Löwen Entertainment, einem der größten Spielautomatenhersteller Deutschlands: Daniel Henzgen
Löwen Entertainment

Auch weil es, wie Sie im Buch schreiben, eine Form des „ kathartischen Auslebens“ darstellt. Inwiefern?

Schauen Sie: Wenn Sie vor einem Spielautomaten sitzen und den Knopf drücken, steht zwischen ihnen und dem Zufall – andere mögen es auch Glück oder Schicksal nennen – für einen Moment lang nichts mehr. Wir haben hier also eine ganz unmittelbare Verbindung: der Ungläubige zu sich selbst, der Gläubige vielleicht zu Gott. Was dazu führt, dass das Glücksspiel seit jeher extrem aufgeladen ist mit Attributen wie Fügung, Moral, Göttlichkeit, Schuld – obwohl es eigentlich nichts anderes ist als Mathematik. Ich finde das absolut faszinierend, gleichzeitig erschwert es aber auch den Umgang mit diesem Thema: Das Spiel – auch das mit dem Zufall – ist für uns Menschen im Grunde das Natürlichste auf der Welt, und doch machen wir es ständig zu etwas Problematischem.

Sie gehen im Buch sogar so weit und bezeichnen die bereits in der Antike einsetzende Regulierung des Glücksspiels durch den Staat als „Kulturkampf“. Geht das in diesem Kontext nicht ein bisschen zu weit?

Ich verstehe Ihren Punkt, aber wir haben es im Buch bewusst so zugespitzt, weil wir die Art und Weise, wie Gesellschaft und Staat mit Glücksspiel umgehen, als Brennglas allgemeiner gesellschaftspolitischer Fragestellungen betrachten. Es geht hier um das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen, das Recht des Staates, in dieses einzugreifen, aber auch darum, wie Moralvorstellungen aufgebaut werden. Das Verhältnis zwischen Individuum und Staat ist in diesem Spannungsfeld seit Jahrtausenden umkämpft. Und immer dann, wenn der Staat – ob nun aus politischen, religiösen oder moralischen Motiven – in unser Leben eingreift, ist das ein Kulturkampf, wobei das Glücksspiel gewissermaßen der Auswuchs dieser großen gesellschaftspolitischen Diskussion ist. 

„Die unterschiedslose Pathologisierung des Spielbedürfnisses ist in meinen Augen gefährlich, weil sie 99 Prozent der Nutzer ungerechtfertigterweise zu problematischen Spielern erklärt.“
Daniel Henzgen

Als Gründe für die staatlichen Eingriffe führen Sie an, dass die Mächtigen sich seit jeher herausgefordert fühlen durch das Spiel.

Genau, weil es sich eben nicht institutionell aufsaugen lässt und ein Stück weit ihrer Kontrolle entzieht. Daher war das Glücksspiel zum Beispiel auch in der NS-Zeit oder der DDR verboten, weil die Kontrolle über das Individuum in allen Lebenslagen für solche totalitären Regime natürlich essenziell ist, der Moment, in dem ich meine Kreuzchen mache, auf die Taste drücke oder alles auf Rot setze, sich diesem Zugriff aber entzieht, weil sich der Zufall eben nicht kontrollieren lässt. 

Sie schreiben hierzu im Buch auch von einem „anarchisch-subversiven Potenzial“, das dem Glücksspiel innewohne, weil vor dem Zufall jeder gleich sei, der soziale Hintergrund keine Rolle spiele. 

Die Egalität im Spiel ist das eine, spannend ist daneben aber auch, wie vielschichtig die Motivation seiner Teilnehmer ist. Es gibt zum Beispiel einen Typus, der in die Spielbank geht und kein Problem damit hat, dort zu verlieren. Klingt erst mal völlig irrational, aber diese Menschen sagen: „Wenn ich gewinne, ist das schön, dann habe ich alles richtig gemacht. Und wenn ich verliere, bleibe ich trotzdem entspannt, weil ich es mir leisten kann.“ Heißt: Die Bestätigung, dass der finanzielle Verlust ihnen nicht wehtut, ist für diese Menschen mit einem vergleichbar positiven Gefühl verbunden wie für andere der Gewinn. Und das ist nur ein Beispiel aus einer breiten Palette an Motivationslagen, die in der Debatte über das Glücksspiel allerdings so gut wie nie zur Sprache kommen, weil man es stattdessen lieber pathologisiert. Wenn uns jemand erzählt, er geht in die Spielbank und will dort verlieren, sagen wir: „Der gehört unter Aufsicht gestellt.“ Dabei suchen diese Menschen einfach nur ein spezielles Erlebnis, und ganz oft hat das tatsächlich auch etwas Anarchisches nach dem Motto: Auf dieser Welt gibt es Regeln, es gibt vielleicht auch einen Gott und jemanden, der Macht über mich hat. Aber in dem Moment, in dem ich 100 Euro auf Rot setze, ist das meine Entscheidung, meine Macht, und die kann mir niemand nehmen.

Das Buchcover zu "Der Mensch, das Spiel und der Zufall"
Springer VS

Nun sind Sie allerdings kein neutraler Beobachter, sondern verdienen als Unternehmer Ihr Geld mit dem Glücksspiel. Im Buch ist daher – logischerweise – viel Positives darüber zu lesen. Die negativen Begleiterscheinungen, Stichwort pathologische Spielsucht, kann man aber ja nicht einfach ignorieren.

Wir haben das Thema Spielsucht im Buch bewusst nicht größer aufgegriffen, weil wir in diesem Bereich keine Experten sind. Es gibt zum Beispiel unterschiedliche Meinungen darüber, ob Glücksspiel per se süchtig macht oder ob es vor allem Menschen betrifft, die hierfür eine genetische Veranlagung haben. Aber die Diskussion darüber müssen diejenigen führen, die dazu forschen. Ich kann Ihnen nur sagen, dass statistisch betrachtet 0,3 bis maximal 0,6 Prozent der Spieler als pathologisch spielsüchtig gelten, und aus genau dieser Perspektive heraus führen wir die Diskussion um Regulierung. Auf der anderen Seite haben wir aber eben auch 99 Prozent, die Glücksspiel als Teil ihrer Freizeitgestaltung betrachten und dabei überhaupt keine Auffälligkeiten zeigen. Daher ist doch die Frage: Wie viel Kontrolle muss ich einführen, um denen gerecht zu werden, die ein Problem entwickeln? Und wo muss diese Kontrolle aufhören, damit die restlichen 99 Prozent ihrem Spielbedürfnis in einem legalen, regelgebundenen Rahmen nachkommen können? Das erfordert natürlich eine sensible Abwägung. Doch die unterschiedslose Pathologisierung des Spielbedürfnisses ist in meinen Augen gefährlich, weil sie 99 Prozent der Nutzer ungerechtfertigterweise zu problematischen Spielern erklärt und damit gleichzeitig ein System begünstigt, dass die Menschen faktisch davon abhält, legale Angebote zu nutzen.

Sie wünschen sich also schlichtweg weniger Regulierung.

Ich wünsche mir, dass man in dem Bündel kleinteiliger Vorgaben an jeder Schraube ein bisschen dreht, um das, ich nenne es mal „Bedürfnisbefriedigungsniveau“ für die Nutzer wieder zu erhöhen. In manchen Bundesländern ist es beispielsweise verboten, bequeme Stühle vor die Spielautomaten zu stellen, in anderen dürfen keine Getränke gereicht werden, Gewinne und Verluste sind zudem gedeckelt, es gibt gesetzliche Spielpausen – all das mit dem Ziel, die Verweildauer vor solchen Automaten zu reduzieren. Wir müssen allerdings verstehen, dass das Fehlen einer Mindestattraktivität für legale Angebote letztendlich vor allem dazu beiträgt, dass der Marktanteil illegaler Anbieter weiter wächst, denn: Die Nachfrage wird infolge staatlicher Auflagen ja nicht kleiner, sie wandert nur schrittweise dorthin ab, wo sie sich keiner Regulierung, sprich weniger Unannehmlichkeiten gegenübersieht. Und eines muss auch klar sein: Maßnahmen zum Spielerschutz wie etwa Sperrdateien, geschultes Personal oder Algorithmen, die das Onlinespielverhalten prüfen, gibt es dort ebenfalls nicht.

Daniel Henzgen, Dominik Meier: „Der Mensch, das Spiel und der Zufall: Eine historisch-systematische Annäherung an die Faszination des Gewinnspiels“, Springer VS, 260 Seiten, 24,99 Euro