In knapp zwei Wochen wollte Xavier Naidoo eigentlich auf der Loreley spielen. Dass das Konzert bei St. Goarshausen stattfindet, ist mittlerweile so gut wie ausgeschlossen – „verschoben“, liest man auf den Internetseiten der gängigen Ticketanbieter und der Konzertagentur Live Nation. Doch auch, ob sich eine Veranstaltung mit Naidoo ohne pandemiebedingte Beschränkungen noch reibungslos in den regionalen Livemusikkalender einfügt, ist äußerst zweifelhaft. Zu offensichtlich, zu unverhohlen sympathisiert der in Mannheim geborene Soul- und Popsänger inzwischen mit dem Milieu von Verschwörungserzählern und Radikalen. Lange ein offenes Geheimnis, das jetzt durch den Song „Ich mach' da nicht mit“ unter Naidoos tatkräftiger Mitwirkung nicht mehr zu leugnen oder schönzureden ist.
In dem nun erschienenen Lied singt Naidoo den Refrain, offensichtlich in Bezug auf Corona-Impfungen: „Es kann gar nicht sein, euer Gift kommt niemals in unsere Körper rein ... Ich mach da nicht mit.“ Die zahlreichen Strophen des gut siebenminütigen Songs werden dabei von verschiedenen bisher weitgehend unbeachteten Rapmusikern beigesteuert. Die Rapper mit Künstlernamen wie Holy Smokez, Schwrzvyce oder Twanie verpacken dabei zahlreiche bekannte Verschwörungsmythen in eine Textschale, die vermeintlich zur Skepsis und zum Selbstdenken anregen soll. Wer sich das Vokabular der Raptexte jedoch genauer anschaut, erkennt schnell Alarmsignale: Von „Maskenpest“ durch eine Diktatur ist die Rede, von einer „Fake-Pandemie“, die die Menschen verdummen lässt, und von Chips, die Geimpften angeblich eingepflanzt wurden.
Von der Neuen Weltordnung und Antisemitismus
Bekannte Verschwörungsmythen finden sich in „Ich mach' da nicht mit“ zuhauf: Der Teil der Bevölkerung, der nicht an Verschwörungen glaubt, wird als „blinde Schafe“ oder „satanische Sklaven“ bezeichnet, die von einem „Haufen Psychopathen“ unterjocht werden und durch „Covid-1984“ das Selbstdenken verlernt hätten. Wer selbst denkt, kann freilich leicht herausfinden, dass die Rede von der „Neuen Weltordnung“ (NWO) unter rechten und vermeintlich linken „Querdenkern“ eine weitverbreitete Verschwörungsidee ist: Angeblich wollen globale Eliten einen „Great Reset“, also ein großes Zurücksetzen der Bevölkerung erwirken. Wie nah diese Spinnereien an judenfeindlicher Rhetorik sind, lässt sich auch in dem Song unter Xavier Naidoos Mitwirkung sehen. Die Impfkampagne sei eine „Falle, die jede Ratte erwischt“, heißt es dort. Das antisemitische Bild von jüdischen Menschen als Ratten ist historisch gewachsen und erfuhr in der NS-Zeit enorme Verbreitung.
Aufruf zur bewaffneten Gewalt
Es scheint indes nicht zu genügen, das Naidoo-Projekt als wirres Musikstück einiger Abergläubiger abzutun. Schließlich wird in dem Lied auch mehrfach Gewaltanwendung konkretisiert. „Mach Alarm, bewaffne dich, vernichte den tiefen sStaat“, heißt es (als tiefen Staat oder „Deep State“ bezeichnen Verschwörungserzähler die Idee einer machtvollen geheimen Struktur unterhalb des gewählten Staatsapparates). Andere Rapper bezeichnen Gesundheitsminister Jens Spahn als „Staatsfeind“ und wünschen Bayerns Ministerpräsident Markus Söder den Tod. Einer rappt in Richtung der Politiker: „Ich mach euch alle platt, geht ihr an unsere Kinder ran.“ Die Zulassung von Corona-Impfstoffen für Jugendliche wird aktuell intensiv diskutiert.
Beschämender Höhepunkt des Songs: Im Musikvideo posiert der Bremer Rapper Skitekk vor einem Impfzentrum, das kurz darauf in die Luft gesprengt wird. Zuvor hatte er noch einen als Mitarbeiter des Impfzentrums verkleideten Komparsen in den Bauch getreten.In der Gesamtschau wird also klar: Xavier Naidoo, der insgesamt viermal den Refrain singt, das Aushängeschild dieses Musikprojekts unter dem Gruppennamen Rapbellions ist, kann nicht entgangen sein, mit wem er da arbeitet.
Gipfel einer obskuren Entwicklung
Es sind Menschen, die in Liedern zum bewaffneten Umsturz aufrufen, antisemitische und okkulte Textbausteine verwenden und demokratisch gewählte Repräsentanten zu Feinden und Totgeweihten erklären. All das zeigt jedoch überdeutlich auf, was ohnehin längst als gesichert galt: Naidoo, der 2001 noch Refrainsänger des bis heute wichtigsten antirassistischen Rapsongs Deutschlands, „Adriano – Letzte Warnung“, war und 2006 mit „Dieser Weg“ den inoffiziellen Soundtrack zur Fußballweltmeisterschaft lieferte, rutscht immer mehr in zweifelhafte Kreise ab. So trat er in der Vergangenheit bei einer „Reichsbürger“-Versammlung auf. Im Lied „Marionetten“ bezeichnete er später Volksvertreter als „Puppenspieler“ und sang: „Wenn ich so einen in die Finger krieg, dann reiß ich ihn in Fetzen.“
Schon 2015 hatte es eine gewaltige Kontroverse um Naidoo gegeben, als ihn der Norddeutsche Rundfunk als deutschen Kandidaten zum Eurovision Song Contest nach Stockholm schicken wollte, diese Entscheidung aber nach breiten Protesten zurücknahm. Es folgte eine ganzseitige Solidaritätsanzeige in der FAZ, geschaltet von Konzertveranstalter Marek Lieberberg und unterzeichnet unter anderem vom alles dichtmachenden Schauspieler Jan Josef Liefers, dem volkstümelnden Rocker Andreas Gabalier und dem Fernsehkoch Tim Mälzer. Im März 2020 musste Xavier Naidoo schließlich die Jury der RTL-Sendung „Deutschland sucht den Superstar“ verlassen, weil sich Rassismusvorwürfe gegen ihn häuften – die Naidoo wie immer vehement abwehrte. Zuletzt hatte die Rostocker Bürgerschaft, das Parlament der Stadt, entschieden, Naidoo einen Auftritt in der Rostocker Stadthalle zu verwehren. Im entsprechenden Antrag hieß es, dass Naidoo „Reichsbürgern“ und der verschwörungserzählenden QAnon-Bewegung nahestehe und rassistische Ressentiments schüre.
Ob Naidoo trotz dieser zahlreichen Ausfälle bei seiner geplanten Tournee „Hin und Weg“ auf großes Publikum hoffen darf? Auf der Internetseite eines Ticketverkäufers heißt es zum Konzert auf der Loreley und anderen: „Ersatztermin folgt in Kürze.