Premiere Musiktheater
Wohl und Wehe in der Musik
Ein Meister auch der leisen Töne: Der Schauspieler Bruno Lehan zeigt in "Through Roses" eine beeindruckende Leistung.
Arek Glebocki für das Theater Koblenz. Arek Głębocki für das Theater Koblenz

Die Neuproduktion von Marc Neikrugs Musiktheater „Through Roses“ über einen Überlebenden der NS-Vernichtungslager am Theater Koblenz geht an die Substanz: starke Umsetzung für ein starkes Stück, das zeitlose Fragen stellt. 

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Ein Geiger bereitet sich auf eine Probe vor, die restlichen Mitglieder eines Streichquartetts kommen hinzu. Kurzes Stimmen, dann kann es losgehen – doch es kommt ganz anders, als es diese ersten Momente in der Neuproduktion des Theaters Koblenz zu Gast in der Kulturfabrik nahelegen. Denn in Marc Neikrugs Musiktheater „Through Roses“ von 1980 tauchen zwar auch fetzenhafte Quartettklänge auf, doch sie sind wie viele andere Musikzitate aus dem deutschen klassischen Musikkanon nur verzerrte Erinnerungen aus einem Musikerleben, das von einer Sekunde auf die andere zurückgeworfen wird in die Vergangenheit des namenlosen Geigers.

Er wird von einem Schauspieler dargestellt, und seine Texte collagieren eine erschütternde Biografie zusammen, die der historischen Realität entspringt: Aus seiner Karriere als Musiker heraus wurde der Geiger in ein Vernichtungslager der Nationalsozialisten transportiert, dort gezwungen, sowohl vor Mitgefangenen als auch vor der Lagerleitung aufzuspielen. Er überlebte, doch die Erinnerungen an diese Zeit kehren überfallartig immer wieder zurück.

Der Geiger (Bruno Lehan) sinniert über Noten über sein Leben nach in Marc Neikrugs Musiktheater "Through Roses" in Koblenz.
Arek Glebocki für das Theater Koblenz. Arek Głębocki für das Theater Koblenz

Seit seiner Uraufführung hat „Through Roses“ mehr als 500 Aufführungen in 15 Ländern erlebt – ein gewaltiger Erfolg für eine Musik, die grundsätzlich atonal konzipiert ist. Und fallen bereits rein konzertante Interpretationen durch einen Sprecher und ein Kammerensemble eindrucksvoll aus, so zeigt die Koblenzer Neuproduktion nachdrücklich auf, welchen zusätzlichen Raum die szenische Umsetzung eröffnen kann.

Dabei setzen Regisseur Leon Kohlstadt und Kati Stubbe (Bühne und Kostüm) zuallererst eine eindrucksvolle Spielsituation um, die das ohnehin berührende Stück noch intensiver erlebbar macht: Der Theatersaal in der Kulturfabrik ist kaum wiederzuerkennen, das Publikum sitzt nicht in den gewohnten Stuhlreihen, sondern in verschiedenen Arealen im Raum, ist umgeben von den ebenfalls verteilten Musikerinnen und Musikern des achtköpfigen Ensembles.

Felix Pätzold, scheidender Erster Kapellmeister des Theaters Koblenz, führt das achtköpfige Ensemble in Marc Neikrugs "Through Roses" mit einem umsichtigen und packenden Dirigat zu einer beachtlichen Leistung.
Arek Glebocki für das Theater Koblenz

Wenn den Sprecher (Bruno Lehan) der Fiebertraum der Erinnerung heimsucht, setzt die Musik Neikrugs ein, die unter dem umschtigen Dirigat von Felix Pätzold und in der hochkonzentrierten Umsetzung des Ensembles einen großen dramatischen Sog entwickelt. Die heraufscheinenden Erinnerungsmotive etwa aus Beethovens Neunter, aus Wagners „Tristan und Isolde“ oder eben aus Haydns „Kaiserquartett“, dessen Melodie bis die der deutschen Nationalhymne ist, erwachsen wie geisterhafte Visionen aus Neikrugs hochexpressiver, eigener Klangsprache heraus. So wird bereits in der musikalischen Umsetzung ein Grundthema des Stückes deutlich: Musik kann Wohl und Wehe sein, kann Schönheit und Grausamkeit gleichermaßen begleiten, kann von den besten wie von den schlechtesten Menschen für sich in Anspruch und in Besitz genommen werden.

Die Rolle des Geigers, der sich an sein Leben erinnert, kann – das haben auch prominente Interpreten gezeigt – Schauspieler schnell emotional aus der Kurve tragen. Bruno Lehan aber findet, unterstützt von einer den knapp eine Stunde langen Abend sehr gut strukturierenden Regie, ein großes Spektrum an Ausdrucksnuancen, reizt die Möglichkeiten vom neutralen Erzählerton bis zum Aufschrei der gequälten Seele wohldosiert aus. Und immer, wenn er zum leisen Schildern von Unglaublichem zurückfindet, wenn der Geiger etwa davon berichtet, wie er den Abtransport seiner Geliebten ins Krematorium mitansehen muss, während er zur Musik aufspielen muss, ist die Intensivität kaum auszuhalten.

Der Geiger (Bruno Lehan) erinnert sich an die im NS-Vernichtungslager getötete Geliebte (Laura Bormann) in Marc Neikrugs Musiktheater "Through Roses" in Koblenz.
Arek Glebocki für das Theater Koblenz

Diese Geliebte ist in der Partitur des Werks in der Oboenstimme nachgezeichnet. Und die Oboistin Laura Bormann tritt in Koblenz auch auf, macht so diese Liebe hör- und sichtbar – und steht am Ende inmitten des Bühnen/Zuschauerraumes. Ebenso wie ihre Mitmusizierenden ist sie ganz in Weiß gekleidet, was am Schluss noch eine Bedeutung erhält, die in diesem starken Stück des Erinnerns an jene gemahnt, die nicht das Glück des Überlebens beziehungsweise dessen Bürde zu tragen hatten.

Termine und Tickets unter www.theater-koblenz.de