Es gibt Ausstellungen, deren Wesensmerkmale lassen sich ohne große Umschweife beschreiben – und doch könnte sich hinter dem Offensichtlichen kaum viel mehr Inhalt verbergen, die damit verbundene Intention nicht merklich ambitionierter sein. Die Arbeitsgemeinschaft bildender Künstler am Mittelrhein (AKM) hat eine solche Schau zurzeit im Angebot: „P.U.R.“ lautet deren Titel; Poesie, Utopie und Realität sind an dieser Stelle gemeint, und damit drei Wegmarken, die im Koblenzer Haus Metternich nun sowohl lyrisch als auch visuell miteinander verwoben werden. Wenngleich „pur“ im Sinne von ungefiltert, unverfälscht, persönlich auch auf die gezeigten Arbeiten selbst zutrifft.
Eröffnet werden soll durch sie nicht weniger als ein „Möglichkeitsraum“, wie die AKM-Vorsitzende Violetta Richard erklärt, in dem „Resonanz, Begegnung und Perspektivwechsel“ erwünscht sind, der zugleich aber auch die „Poesie entfalten“ und „die Utopie selbst erfahrbar machen“ soll.
Schöpferische Synergieeffekte
Ein recht ehrgeiziges Unterfangen, dem sich eine Gruppe aus acht Kreativen zuletzt ein gutes Jahr lang gewidmet hat, bei dem die Kunst als kollektiver Prozess ergründet, Austausch, Zusammenarbeit und gegenseitige Inspiration gepflegt wurden – und die Zielsetzung des Projekts obendrein auch im Selbstversuch erprobt, denn: „Wir haben versucht, uns in einem demokratischen Miteinander so zu verbinden, wie es aus unserer Sicht für ein gutes Zusammenleben ideal wäre“, erklärt Stefanie Schmeink als eine der beteiligten Künstlerinnen – und ergänzt: „Wir haben viel gesprochen über Utopien, uns überlegt, wo wir herkommen und wo wir hinwollen, waren neugierig und haben einander zugehört.“
Den Themen Poesie, Utopie und Realität, resümiert die Malerin, habe man sich auf diese Weise schließlich auch spielerisch angenähert. Und tatsächlich sind es gerade diese unvoreingenommene Experimentierfreude, die schöpferischen Synergieeffekte des kreativen Zusammenwirkens, die der Ausstellung einen besonderen Geist einhauchen.

Wie der in Form realer Projektergebnisse und utopischer Visionen daherkommt, zeigt gleich im Erdgeschoss Toby Hummel, in dessen Arbeiten unberührt-verspielte Fantasywelten auf unverblümt-triste Wirklichkeiten treffen, hier der grünköpfige Alien, der – umgeben von verwaisten Betonbauten – recht verloren wirkt im Scheinwerferlicht des Spielzeugautos, das eine drahtige Kinderhand gerade von außen ins Bild reicht. Dort vier weiße, fast transparent gezeichnete Traumpferde, die aus dem angestauten Wasser in einem realen Schlagloch trinken. In beiden Fällen scheint die Utopie doch ernsthaft bedrängt durch das Alltägliche, sieht sich der schöne Traum dem ungefilterten Leben ausgesetzt.
Dabei geht es so offensichtlich wie hier längst nicht immer zu in der Schau: Bei Maryam Aghaalikhani beispielsweise muss die künstlerische Botschaft – im wahren Wortsinn – zunächst einmal gesucht werden, sind auf den ersten Blick nur weiße Umschläge sichtbar, über die die iranische Künstlerin sagt: „Ich brauche für meine Werke auch mutige Betrachter, die näher kommen und das Gezeigte entdecken wollen.“ Oder anders ausgedrückt: Die Wurzeln, mit denen sich Aghaalikhani in ihrer Serie beschäftigt, gilt es aufzubrechen, um zu den darin konservierten Gefühlen und Erinnerungen vorzudringen.
Erkenntnis durch Bewegung
Wer diesen Schritt wagt und die Umschläge öffnet, findet darin schließlich verschiedene Druckarbeiten, solche von Blättern etwa, deren zeichnerisch ergänzte Wurzeln sich gen Boden hin fortsetzen, aber auch kurze Texte, die die Künstlerin aus der Erfahrung der eigenen Entwurzelung heraus verfasst hat.
Wobei sich mit den hier implementierten Fragen nach Identität, Herkunft und (verlorener) Heimat auch viele weitere Werke befassen. Jene von Violetta Richard etwa, die inmitten farblich gestalteter Rechtecke einen Spiegel versteckt hat, daneben auch ein Porträt ihrer Mutter, alles verborgen hinter semitransparentem Verpackungsmaterial, sodass man sich – wie im wahren Leben – bewegen muss, um voranzukommen, nur so das Wesentliche hinter dem Vermeintlichen erkennt.

Stefanie Schmeink hingegen greift in ihren Arbeiten zwar ebenfalls das Thema Wurzeln auf, verortet ihre Vorstellung der Utopie allerdings in einer Serie gemalter Naturmotive, die um Zeichnungen oder Fotofragmente der Künstlerin selbst erweitert, oft zudem auch durch grelle Neonlinien unterbrochen werden. Wodurch sich in den Bildern einerseits ihre „starke Sehnsucht nach und die Verbundenheit mit der Natur“ spiegele, wie Schmeink betont, andererseits aber auch deren Grenzen in Gestalt einer zunehmend technisch entfremdeten Realität.
Es sind tiefgründige Arbeiten, wie sie auch Lucia Jacobs’ bereithält in ihren Ausstellungsgaben, darunter etwa ein mittels Fernbedienung beweglicher Spielzeughai im Fischglas, über den die Künstlerin sagt: „Der Hai ist gesellschaftlich sehr negativ aufgeladen; hier symbolisiert er die mentale Gesundheit, die Stimmungen, die uns zuweilen belasten.“ Während die danebenliegende Fernbedienung verdeutlichen soll, „dass man eben diese Stimmungen auch steuern kann, dass sie dazugehören und – wie der Hai – gar nicht so gefährlich sind, wie sie von außen scheinen“.

Zu dieser und fast allen anderen Arbeiten gibt es schließlich auch ergänzende (lyrische) Texte – nicht umsonst taucht die Poesie als eines von drei Schlagworten im Ausstellungstitel auf –, spannend sind, Stichwort „kollektiver Prozess“, allerdings auch die zahlreichen Positionen, die in Referenz auf respektive Zusammenarbeit mit anderen Künstlern in der Gruppe entstanden sind.
Die Installation Christiane Kleins etwa, zu der sich die Malerin von Else Lasker-Schülers Gedicht „Weltflucht“ hat inspirieren lassen, ein heimeliger Rückzugsort samt Schirmlampe, bemaltem Raumteiler und Sonnenliege, auf der sich eine aus Papier geformte und den Umrissen Lucia Jabobs’ nachempfundene Figur ausgebreitet hat. Oder die von Ute Bernhard und Gabriele Goehlen gemeinsam gestaltete Arbeit aus Verpackungsmaterial, auf dem die beiden Künstlerinnen – als Reaktion auf das jeweils Vorausgegangene – abwechselnd Worte, Gefühle niedergeschrieben haben.

Stefanie Schmeink und Jacobs wiederum haben ebenfalls kooperiert und zusammen ein Kurzfilm-Triptychon entworfen: drei parallel abgespielte Sequenzen, auf deren äußeren die Künstlerinnen jeweils allein in Bewegung zu sehen sind, in der Mitte zudem auch gemeinsam, wie sie hinfallen, sich – eigentlich selbstverständlich und doch utopisch – wieder aufhelfen, einander stützen und durch den Wald tragen.
Ein Miteinander, so Schmeink, das auf seine Art auch den Geist der Schau aufgreife – der sich unweit davon im Übrigen auch rund um jenen Wäscheständer manifestiert, auf dem Lucia Jacobs die weißen Kleidungsstücke ähnlich akkurat angebracht hat, wie sie es früher oft gemeinsam mit ihrem Ex-Freund (und jetzigen Ausstellungskollegen) Toby Hummel getan habe. Die Installation – auf deren Leinen zudem auch ein Gedicht „trocknet“, das Gabriele Goehlen für Jacobs verfasst und anschließend in Stoff eingenäht hat – sei ein Denkmal für ihre vergangene Beziehung, erklärt Jacobs. Die schöne Welt: Zumindest im Haus Metternich scheint sie noch zu existieren.
Die Ausstellung wird an diesem Samstag, 5. April, um 16 Uhr im Haus Metternich am Münzplatz eröffnet und ist dort in der Folge bis zum 4. Mai zu sehen. Am Mittwoch, 16. April, ist um 19 Uhr zudem ein Salon mit den beteiligten Künstlerinnen und Künstlern geplant. Weitere Infos auch unter www.akm-koblenz.de